Nachricht
Zwischen Krisenbewältigung und Transformation zur Klimaneutralität
„Die Bundesregierung hat wichtige Verbesserungen auf den Weg gebracht, um Planung und Genehmigung zu beschleunigen. Es muss jedoch auf dem Weg zur Klimaneutralität noch viel mehr passieren.“ Kerstin Andreae
Die Transformation zur Klimaneutralität ist als Ziel formuliert, der Weg dahin jedoch mehr als einfach. Allein das vergangene Jahr war energiewirtschaftlich von drastischen Umwälzungen geprägt, so die Einschätzung des BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., der „einen“ Stimme der Energie- und Wasserwirtschaft. Im Vorfeld des BDEW-Kongresses 2023 sprach THEMEN!magazin zu aktuellen Herausforderungen für die Branche mit Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEWHauptgeschäftsführung und Mitglied des Präsidiums.
Frau Andreae, welche Botschaft wird der BDEWKongress 2023 vermitteln?
Ein schwieriges Jahr liegt hinter uns: Krieg in der Ukraine, fehlende Gaslieferungen aus Russland, hohe Energiepreise. Und die Herausforderungen werden nicht weniger. Denn nun geht es darum, langfristige Perspektiven für eine sichere unabhängige und klimaneutrale Energieversorgung der Zukunft zu schaffen. Umso wichtiger ist es, dass Politik, Energiewirtschaft und Wissenschaft auf dem BDEW Kongress 2023 zusammenkommen und gemeinsam diskutieren, wie wir die vor uns stehenden Aufgaben erfolgreich bewältigen können. Wir dürfen gerade jetzt nicht nachlassen, sondern müssen mit aller Kraft und Motivation die Aufgaben angehen.
Der BDEW Kongress 2023 steht daher unter dem Motto „Wir sichern Energie“. Die Energiewirtschaft übernimmt in der aktuellen Krise Verantwortung und arbeitet intensiv und mit hohem Tempo daran, dass Haushalte und Industrie trotz aller Unsicherheiten sicher mit Strom und Gas beliefert werden können. Besonders gefreut haben mich daher die Zusagen von Bundeskanzleramtschef Wolfgang Schmidt, Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck, Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung, der französischen Energieministerin Agnès PannierRunacher, der Botschafterin der Vereinigten Staaten von Amerika Dr. Amy Gutmann sowie des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz.
Wir sprechen über den Pfad zur Klimaneutralität, kommt die Energiewende wie gewünscht voran?
Vor uns liegt ein großes Ziel: Eine klimaneutrale Gesellschaft bis zum Jahr 2045. Dieses Ziel ist hoch-ambitioniert, aber machbar. Es wird uns alles abverlangen, in der Energiewirtschaft, aber auch in allen anderen Industriebranchen. Meine Branche, die Energiewirtschaft, hat sich längst entschlossen auf den Weg gemacht. Die Energiewende ist Teil ihres täglichen Handelns und Entscheidens geworden. Unsere Leitlinie dabei: Versorgungssicherheit, Energiewende und die dafür notwendigen Netzinfrastrukturen gehören zusammen. Klar ist allerdings, dass mit dem bisherigen Tempo die Klimaziele nicht erreicht werden können. Es ist verständlich, dass angesichts der aktuellen Krise der Fokus der Politik zuletzt an anderer Stelle lag. Doch mit einer erfolgreichen Energiewende schützen wir nicht nur unser Klima, sondern sie trägt auch dazu bei, unabhängig vom Import fossiler Energieträger zu werden.
Die Bundesregierung muss daher nun alle bestehenden Hemmnisse für die Energie- Wärme- und Verkehrswende beseitigen. Konkret bedeutet das: Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen, mehr Flächen für erneuerbare Erzeugungsanlagen, Netze und Ladeinfrastruktur bereitstellen, einen Markt für Wasserstoff schaffen und die Weichen für ein Marktdesign stellen, in dem sich auch Investitionen in steuerbare Stromerzeugungskapazitäten lohnen.
Es geht auch um die schnellere Bereitstellung der benötigten Flächen für Erneuerbare Energien, wie etwa beim Windenergie-Ausbau. Die bislang beschlossenen Maßnahmen gehen zwar in die richtige Richtung, allerdings muss noch viel mehr passieren, damit der Windenergieausbau auf die Überholspur kommt. Das zeigen vor allem die Ausbauziele. Um diese zu erreichen, ist eine Vervierfachung der Ausbaugeschwindigkeit bei Windenergieanlagen an Land notwendig. Und das ist nur mit dem Abbau von bürokratischen Hürden möglich.
Kohle war im Jahr 2022 wie bereits in den Vorjahren der wichtigste Energieträger für die Stromerzeugung in Deutschland. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) nach vorläufigen Ergebnissen mitteilt, kam ein Drittel (33,3 %) des in Deutschland erzeugten und ins Netz eingespeisten Stromes aus Kohlekraftwerken. Damit nahm die Stromerzeugung aus Kohle gegenüber dem Vorjahr um 8,4 % zu. Zweitwichtigste Energiequelle war die Windkraft, deren Anteil an der Stromerzeugung nach einem vergleichsweise windarmen Vorjahr um 9,4 % auf knapp ein Viertel (24,1 %) stieg. 9. März 2023
Wie sieht der BDEW das Thema Versorgungssicherheit?
Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, was ansteht, um dem energiewirtschaftlichen Dreieck gerecht zu werden, bei dem alles unter Druck geraten ist: Klimaneutralität bedeutet, den Ausbau bei den Erneuerbaren in einem Maße zu beschleunigen, wie wir es bis heute nicht kennen. Versorgungssicherheit heißt, kurzfristig Ersatz für russisches Gas zu beschaffen, aber langfristig einen Investitionsrahmen für eine stabile Deckung der Residuallast zu setzen, der Unternehmen Planungs- und Investitionssicherheit gibt. Und Bezahlbarkeit adressiert, dass Deutschland immer auch die Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrie wie auch die soziale Frage im Blick haben muss. Die 2020er Jahre werden damit zum herausforderndsten Jahrzehnt der Energiewende: Der Ausstieg aus Kohle- und Kernenergie führt in Deutschland zu einem Wegfall von rund 50 Gigawatt gesicherter Erzeugungsleistung bis 2038. Es braucht also intelligente Konzepte, um auch zukünftig eine jederzeit stabile Stromversorgung und somit Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Neben Erneuerbaren Energien, gewinnen dabei weitere Technologien an Bedeutung, wie neue, [BDEW] klimafreundliche Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und Speichertechnologien.
Die Rolle von klimaneutralen Gasen wird stark diskutiert ...
Zur Erreichung der klima-, industrie- und energiepolitischen Ziele der EU sowie in Hinblick auf die zukünftige Versorgungssicherheit, ist ein schneller Hochlauf der europäischen Wasserstoffwirtschaft dringender denn je. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die Verabschiedung des US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) verändern die energiepolitischen Rahmenbedingungen grundlegend. Diese Entwicklung muss die Europäische Energie- und Industriepolitik auch beim Thema Wasserstoff stärker berücksichtigen. Wir müssen aufpassen, dass wir in Europa im internationalen Rennen um die Vorreiterrolle bei der Umstellung auf Wasserstoff nicht abgehängt werden. Der Wasserstoffhochlauf darf nicht ausgebremst werden, bevor er überhaupt Fahrt aufnimmt. Bei der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für erneuerbaren Wasserstoff ist deshalb insbesondere in der Hochlaufphase auch weiterhin Pragmatismus gefragt.
Welche Forderungen gehen in Richtung Politik zur Wärmewende?
Klar ist: Die Wärmewende muss vor Ort umgesetzt werden. Wichtig ist dabei jedoch den Ansatz auch zu Ende zu denken. Das heißt: Die Bundesregierung sollte Ziele für den Pfad zu einer klimaneutralen Wärmeversorgung aufstellen, die konkrete Umsetzung jedoch technologieoffen den Kommunen überlassen. Sie können in Anbetracht regionaler Gegebenheiten, der vorhandenen Leitungsinfrastruktur und dem Zustand und Alter der Häuser am besten entscheiden, wie sich die Wärmeversorgung vor Ort schnell und effizient dekarbonisieren lässt.
Die große Herausforderung in der Wärmewende ist es, den Bestand so umzubauen, dass klimaneutral geheizt werden kann. In Anbetracht der vielen Millionen privater Hauseigentümer und Vermieter muss die Politik mit sehr viel Fingerspitzengefühl vorgehen. Die Hauseigentümer dürfen weder mit komplexen Anforderungen zur Wärmeversorgung und energetischen Sanierung ihrer Gebäude verunsichert, noch dürfen sie finanziell überfordert werden. Es ist richtig, dass Wärmepumpen und Fernwärme im Zentrum der Wärmewende stehen. Wir brauchen aber künftig bezahlbare praxistaugliche Lösungen und dazu zählen auch gasbasierte (Hybrid-) Systeme – betrieben mit erneuerbaren und dekarbonisierten Gasen, wie Wasserstoff und Biogas. Wichtig ist nun die richtigen Weichen zu stellen und die Wärmewende als entscheidenden Hebel in Richtung Klimaneutralität voranzutreiben.
Im Sektor Energiewirtschaft sind die Treibhausgasemissionen mit rund 10,7 Mio t bzw. 4,4 % abermals angestiegen. Zum zweiten Jahr in Folge stiegen die Steinund Braunkohleeinsätze zur Gewinnung von Strom und Wärme und damit auch die daraus resultierenden Emissionen an. Ebenso stiegen die Einsätze von Mineralölen in der Energiewirtschaft, insbesondere von leichtem Heizöl. Hintergrund für diese Anstiege ist insbesondere die Kompensation des gesunkenen Erdgasverbrauches, welcher 10,8 % unter dem Vorjahreswert lag. Eine erhöhte Stromproduktion war auch als Beitrag für die Versorgungssicherheit im europäischen Ausland nötig, als etwa die Hälfte der französischen Kernkraftwerke im Sommer ausfielen. (Umweltbundesamt, 15. März 2023)
Werden energiepolitische Positionierungen des EU-Parlaments unsere Energieversorgung beeinflussen?
Für das Gelingen der Energiewende benötigen wir in den kommenden Jahren einen Investitions-Turbo in saubere Technologien. Dazu gehören allen voran der Ausbau der Erneuerbaren Energien aber auch die dazugehörige Netzinfrastruktur sowie der Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft. Einige Positionierungen des Europäischen Parlaments gehen in die richtige Richtung. Dies gilt insbesondere für die Entflechtungsregeln für künftige Wasserstoffnetze. Der Erhalt wettbewerbsorientierter Marktstrukturen ist auch für die Entstehung eines Wasserstoffmarktes essenziell. Dafür bedarf es wie bei Gasnetzen auch für Wasserstoffnetze einer effektiven Entflechtung. Fallen die Entflechtungsvorgaben für Wasserstoffnetzbetreiber allerdings strenger aus als sie aktuell für Gasnetze gelten, insbesondere für Verteilnetze, haben Gasnetzbetreiber keinerlei Anreiz, in die Ertüchtigung ihrer Netze für den Wasserstofftransport zu investieren. Dies würde den Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft bremsen und hätte direkten Einfluss auf die zukünftige Energieversorgung mit Wasserstoff in Deutschland.
Das gleiche gilt für die Novelle der Gebäudeenergieeffizienz-Richtlinie (EPBD). Ich begrüße ausdrücklich, dass das EU-Parlament bei allen vorgeschlagenen Maßnahmen eine technologieoffene Umsetzung unterstützt. Sinnvoll ist auch die verstärkte Berücksichtigung von netz- bzw. systemdienlichen Aspekten. Nicht zielführend ist aus Sicht des BDEW hingegen, dass die Abgeordneten den Mitgliedsstaaten zukünftig ermöglichen wollen, individuelle Anforderungen an gasbasierte Technologieoptionen zu stellen. Für energetische Anforderungen an Wärmeerzeuger im EU-Binnenmarkt gilt eigentlich der Ökodesignrahmen, der einzelstaatliche Marktbarrieren verhindern soll.
In vielen Bereichen spüren wir den Einfluss der Positionierungen der EU deutlich. Es ist daher umso wichtiger, an einem Strang zu ziehen und einen starken EUBinnenmarkt in Richtung Klimaneutralität zu schaffen. Die Energiewende ist schon längst keine rein nationale Aufgabe mehr, sondern vielmehr eine europäische und internationale Herausforderung.