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27.09.2014 11:15 Alter: 10 yrs

Zwei Gebotszonen oder noch mehr Bürokratie?

In der gesellschaftspolitischen Diskussion um die Energiewende wird zu wenig auf eine mögliche marktverzerrende Wirkung von politischer Regulierung geachtet. Staatliche Eingriffe führen zu einer Verteuerung der Stromversorgung und die Politik sucht nach Ansätzen, einen weiteren Strompreisanstieg zu vermeiden. Zum aktuell diskutierten Thema unterschiedlicher Preiszonen in Deutschland und ihrem Effekt auf Preise und Versorgungssicherheit äußert sich in einem Gastbeitrag Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Vorsitzender der Geschäftsführung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI).


Fotos und Grafik: EWI

Seit 1998 ist die deutsche und europäische Stromwirtschaft wettbewerblich organisiert. Der Sektor ist mittlerweile durch eine erhebliche Wettbewerbsund Innovationsdynamik und durch eine gestiegene Produktivität geprägt. Doch zeitgleich hat der Staat den deutschen Stromverbrauchern vielfache Mehrkosten aufgebürdet – vor allem Stromsteuer sowie EEG- und KWK-Umlagen – und einen wesentlichen Teil des Erzeugungssektors – nämlich den der Erneuerbaren Energien – staatlich durchreguliert und zum Dreh- und Angelpunkt der öffentlichen Bewertung der Entwicklung des Stromsektors gemacht. Die Dynamik und die Vorteile des wettbewerblichen Systems werden in der öffentlichen Meinung daher kaum mehr angemessen gewürdigt. Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Denn kommt es durch marktverzerrende Regulierung zu Fehlsteuerungen, so lautet der typische Reflex der deutschen energiepolitischen Debatte: „Mehr Staat, neue Regulierung“ statt „weniger Regulierung, mehr Wettbewerb“. Eine sich selbst verstärkende Spirale von staatlichen Eingriffen ist die Folge, wodurch die Stromversorgung unnötig verteuert und für die Marktteilnehmer immer unberechenbarer wird. Die aktuelle Debatte über die angebliche Notwendigkeit einer Anpassung des sogenannten „Design“ des deutschen Stromgroßhandelsmarkts ist exemplarisch für diesen Mechanismus.

Die Folgen der einheitlichen Gebotszone für Deutschland

Aufgrund einer politischen Festlegung müssen die deutschen Stromgroßhändler von der Fiktion einer einheitlichen Kupferplatte ausgehen, in der es keine nennenswerten Netzengpässe gäbe. Der Großhandelspreis für Strom wird durch Gesetzeszwang bundesweit in einer einheitlichen Gebotszone ermittelt. Bis zur schwarz-gelben Beschleunigung des Ausstiegs aus der Nutzung der Kernenergie im Jahr 2011 stellte diese Festlegung keine größere Einschränkung des Wettbewerbs dar. Engpasssituationen innerhalb von Deutschland traten nur vereinzelt auf und konnten durch überschaubare Redispatch-Maßnahmen ausgeglichen werden. Bei solchen Maßnahmen werden unausgelastete Kraftwerke hinter dem Engpass hochgefahren, auch wenn sie in der einheitlichen Gebotszone nicht wettbewerbsfähig waren, und die günstigeren Kraftwerke vor dem Engpass werden entsprechend nachträglich abgeregelt.

Doch mit der Abschaltung von immer mehr (süddeutschen) Kernkraftwerken hat sich das Ausmaß der Engpässe merklich erhöht, und die Situation wird sich mit dem Fortgang des Kernenergieausstiegs in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Aber anders als in Norddeutschland wurden in Süddeutschland in den vergangenen zehn Jahren kaum neue Kohle-, Gas- oder Windkapazitäten geschaffen. Und der Ausgleich der fehlenden Kapazitäten über Stromlieferungen aus Norddeutschland kann nicht stattfinden, weil die dafür notwendigen Übertragungsleitungen nicht fertig gestellt sind. Daher müssen die Übertragungsnetzbetreiber nun in weit größerem Umfang als früher Redispatch-Maßnahmen vornehmen, Tendenz weiter steigend.

Dabei wird im Engpassfall die Fehlsteuerung durch die einheitliche Gebotszone noch dadurch verschärft, dass die hinter dem Engpass liegenden südlichen Nachbarländer Deutschlands, also Österreich, die Schweiz und Frankreich, Strom zu dem günstigen deutschen Seit 1998 ist die deutsche und europäische Stromwirtschaft wettbewerblich organisiert. Der Sektor ist mittlerweile durch eine erhebliche Wettbewerbsund Innovationsdynamik und durch eine gestiegene Produktivität geprägt. Doch zeitgleich hat der Staat den deutschen Stromverbrauchern vielfache Mehrkosten aufgebürdet – vor allem Stromsteuer sowie EEG- und KWK-Umlagen – und einen wesentlichen Teil des Erzeugungssektors – nämlich den der Erneuerbaren Energien – staatlich durchreguliert und zum Dreh- und Angelpunkt der öffentlichen Bewertung der Entwicklung des Stromsektors gemacht. Die Dynamik und die Vorteile des wettbewerblichen Systems werden in der öffentlichen Meinung daher kaum mehr angemessen gewürdigt. Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Denn kommt es durch marktverzerrende Regulierung zu Fehlsteuerungen, so lautet der typische Reflex der deutschen energiepolitischen Debatte: „Mehr Staat, neue Regulierung“ statt „weniger Regulierung, mehr Wettbewerb“. Eine sich selbst verstärkende Spirale von staatlichen Eingriffen ist die Folge, wodurch die Stromversorgung unnötig verteuert und für die Marktteilnehmer immer unberechenbarer wird. Die aktuelle Debatte über die angebliche Notwendigkeit einer Anpassung des sogenannten „Design“ des deutschen Stromgroßhandelsmarkts ist exemplarisch für diesen Mechanismus. Durchschnittspreis beziehen können. Dieser kann aber – wegen des Engpasses – physisch gar nicht bis zu ihnen geliefert werden! Dadurch wird das Angebots- und Nachfrageverhalten dieser Nachbarländer verzerrt und die Engpassproblematik weiter vergrößert.

Grenzen derzeitiger Regelungen

Damit der Redispatch-Mechanismus funktionieren kann, muss es also immer genügend viele unausgelastete Kraftwerke hinter dem Engpass geben. Doch diese verdienen mit dem Redispatch kein Geld - der ökonomische Mehrwert von Kraftwerken hinter dem Engpass wird nicht deutlich. Im Extremfall werden dann Kraftwerke stillgelegt, die in der einheitlichen Gebotszone nicht im Geld sind, die aber für den Redispatch dringend benötigt werden! Mit der Reservekraftwerksverordnung will die Bundesregierung solche negative Folgen für die Netzstabilität verhindern. Im Einzelfall wird geprüft, ob ein Kraftwerk systemrelevant ist, bei Bedarf werden zusätzliche Kapazitätszahlungen geleistet, um den Betrieb des Kraftwerks zu gewährleisten. Solange sich die dafür zuständige Bundesnetzagentur auf wenige Einzelfälle beschränken kann, mag dieses Vorgehen vertretbar sein. Doch dürften die Fälle in den nächsten Jahren deutlich zunehmen, und die bilateral vereinbarten Zahlungen sind weder transparent noch wettbewerblich ermittelt. Es wächst daher der Druck auf die Politik, eine systematische Alternative zur einzelfallorientierten Reservekraftwerksverordnung zu entwickeln. Vielfach wird dann in diesem Zusammenhang die Einführung neuer Regulierungsmechanismen gefordert, beispielsweise eines auf Süddeutschland fokussierten Kapazitätsmechanismus. Mehr und neue Regulierung also. Die gegenläufige Richtung hin zu einem transparenteren Wettbewerb wird im politischen Raum und in der öffentlichen Meinung hingegen kaum propagiert. Und das, obwohl die Ursache für die Problematik nicht ein Versagen des Marktmechanismus an sich ist, sondern der ungeeignete geographische Zuschnitt der Gebotszone.

Engpassorientierte Gebotszonen als wettbewerblicher Lösungsansatz

Denn mit der Einrichtung von zwei Gebotszonen – einer in Norddeutschland, der anderen in Süddeutschland – würde das Engpassproblem knappheitsgemäß aufgedeckt. Der sich in der süddeutschen Preiszone einstellende Großhandelspreis würde den wahren Wert des dort erzeugten Stroms widerspiegeln. Er würde zugleich einen Anreiz bieten, in neue Kraftwerke zu investieren. Auch der Ausbau der Windenergienutzung in Süddeutschland würde mit einer solchen Markt-Splittung neuen Schub bekommen, weil es sich dann, nach Übergang zum Ausschreibungsmodell, lohnen könnte, auch an den windärmeren Standorten im Süden Windkraftwerke zu errichten. Zudem würde die Preisdifferenz zwischen der norddeutschen und der süddeutschen Zone auch den Wert des Netzausbaus ausweisen. Und schließlich würden die südlichen Anrainerstaaten den tatsächlichen Wert des süddeutschen Stroms zahlen müssen. Ihr Marktverhalten würde sich dann – korrekter Weise – an den Realitäten des süddeutschen Strommarktes statt – ineffizient – an den verfälschten deutschen Durchschnittspreisen orientieren.

Gebotszonen, die sich an realen Engpässen statt an politisch motivierten Gebietsgrenzen orientieren, werden bereits im gemeinsamen Strommarkt Skandinaviens praktiziert. Die dortigen Erfahrungen zeigen, dass eine engpassorientierte Marktaufteilung zu hervorragenden Ergebnissen führen kann, und dass die vielfach vorgebrachten Vorbehalte bezüglich fehlender Liquidität und zu großer Marktmacht nicht überzeugend sind. Würde man diesem Vorbild auch in Kontinentaleuropa folgen und den Zuschnitt der Gebotszonen ausschließlich an wirtschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen – und eben nicht an Staatsgrenzen – orientieren, liefen die resultierenden Gebietsgrenzen in vielen Fällen quer durch die Mitgliedsstaaten. Dem Wettbewerb wäre damit geholfen, weil Transparenz für alle Marktteilnehmer geschaffen würde. Und damit könnten die Herausforderungen für die Netzsicherheit dramatisch verringert werden – auch ohne zusätzliche staatliche Eingriffe in den Markt. www.ewi.uni-koeln.de