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15.02.2016 11:12 Alter: 9 yrs
Kategorie: Digitalisierung

Wohin entwickelt sich der CO2-Markt bis zur Handelsperiode 2021 - 2030?

Im Europäischen Emissionshandel und auf dem CO2-Markt sind die Blicke in die Zukunft gerichtet. Von der Gegenwart jedenfalls erwarten die Wenigsten noch nachhaltige Überraschungen. Ein Thema, das Politik, Energiewirtschaft und Industrie gleichermaßen bewegt. Ein Gastbeitrag von Dr. Ines Zenke, Rechtsanwältin und Partner, sowie Carsten Telschow, Rechtsanwalt, bei Becker Büttner Held (BBH) Berlin. Die Wirtschaftskanzlei nimmt in dem aktuellen Ranking "The Legal 500 Deutschland 2016" zusammen mit einer weiteren Kanzlei den ersten Platz im Energiesektor ein.


Fotos: BBH

Bei aller Unberechenbarkeit der Entwicklung des CO2-Preises ist es kaum wahrscheinlich, dass dieser den Trendkanal zwischen 5 und 8 Euro noch in der laufenden Handelsperiode 2013 bis 2020 nachhaltig nach oben verlassen wird – allen Bemühungen der Europäischen Kommission um eine Stabilisierung der CO2-Preise zum Trotz. Das sog. Backloading, durch das vorläufig immerhin 900 Mio. Zertifikate weniger auf den Markt gebracht wurden als ursprünglich vorgesehen, hat nur zu vorübergehenden Preisausschlägen geführt.

Dabei kann und will es Europa aber nicht bewenden lassen und will das von ihr erklärtermaßen zentrale Klimaschutzinstrument Emissionshandel zukunftsfähig machen. Was voraussetzt, dass dieses ein robustes Preissignal aussendet. Die Verabschiedung des Agreements von Paris auf der 21. Vertragsstaatenkonferenz (Conference of Parties, COP 21) vom 30.11. – 11.12.2015 gibt der Europäischen Union allen Grund zur Hoffnung, dass dies noch gelingen kann.

Nachdem die Staatengemeinschaft über mehrere Jahre hinweg erfolglos um ein Nachfolge- Abkommen für das Kyoto-Protokoll gerungen hatte, das wie dieses die Staaten auf verbindliche Emissionsminderungsziele verpflichtet, und die Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen praktisch ohne greifbares Ergebnis auseinander gegangen war, gab es erhebliche Zweifel daran, dass die Staatengemeinschaft sich überhaupt noch einmal auf ein verbindliches Abkommen würde verständigen können.

Hausaufgaben wurden gut abgearbeitet

Die Vorjahreskonferenz in Lima hatte den Staaten zwar Hausaufgaben mitgegeben. Diese sollten bereits im Vorfeld erklären, auf welche Klimaschutzziele sie sich verpflichten würden. Aber insbesondere erst unter dem Eindruck einer meisterhaften Organisation und hervorragenden Diplomatie gelang es in Paris, diese sog. „Intended nationally determinded contributions“ (INDCs) in der Schlussabstimmung am 12.12.2015 in ein für alle Parteien verbindliches Abkommen zu überführen. Gleichzeitig wurde das Ziel bekräftigt, die Erderwärmung nicht nur auf 2°C, sondern möglichst auf 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Die INDC der EU sieht eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 % im Vergleich zum Basisjahr 1990 vor. Die INDCs sind zwar nicht mit einem Sanktionsmechanismus bewehrt. Mit dem Selbstverständnis der EU als Vorreiterin in Sachen Klimaschutz wäre es aber kaum vereinbar, die selbst gesetzte Zielmarke nicht ernst zu nehmen.

Welchen Anteil an der Erreichung dieses Ziels dabei dem Europäischen Emissionshandel (auch ETS) zufallen wird, ist derzeit allerdings schwer zu beurteilen. Nach den Feststellungen der Europäischen Kommission besteht derzeit im ETS ein Überschuss von absolut 2,1 Mrd. Zertifikaten, das bis 2020 weiter auf 2,6 Mrd. Zertifikate anwachsen könnte – mit den beschriebenen Folgen für den CO2-Preis.

 

Ist der Fahrplan realistisch?

Den Abbau des Überschusses stellt sich die Europäische Kommission nun folgendermaßen vor: Zum einen wurde am 06.10.2015 die Einführung einer sog. Marktstabilitätsreserve (MSR) beschlossen. In diese sollen ab 2019 überschüssige Zertifikate überführt werden. Die Europäische Kommission wird hierzu jährlich ermitteln, wie viele Zertifikate im Umlauf sind, die nicht für die Erfüllung der Abgabeverpflichtungen der Anlagenbetreiber benötigt werden. Von diesem Überschuss sollen jeweils 12 % dem Markt entzogen werden, indem die Zahl der durch Versteigerung angebotenen Zertifikate entsprechend reduziert und diese Menge in die MSR verschoben wird. Umgekehrt sieht der Mechanismus vor, dass die MSR wieder Zertifikate freisetzt, wenn die festgestellte Umlaufmenge weniger als 400 Mio. Zertifikate beträgt. Hiervon ist der Markt aber – wie gesagt – derzeit weit entfernt.

Zum anderen soll eine weitere Verknappung des Angebots an Zertifikaten nach einem Vorschlag der Europäischen Kommission vom 15.07.2015 dadurch erreicht werden, dass der sog. lineare Kürzungsfaktor, durch den sich das europäische Zertifikatebudget jährlich verringert, von derzeit 1,74 % auf 2,2 % angehoben werden soll. Dies entspricht einer zusätzlichen Einsparung von 556 Mio. t CO2 bis 2030. Eine Ausweitung der Emissionshandelspflicht auf weitere Sektoren wie etwa den Gebäude- und Verkehrssektor ist dagegen nicht geplant.

 

Entlastung energieintensiver Industrie bleibt ein Thema

Keinen unmittelbaren Einfluss auf das Gefüge des CO2-Budgets, wohl aber auf die individuelle Kostenbelastung der Unternehmen, hat der Plan der Europäischen Kommission, die Entlastung der abwanderungsbedrohten Industrien (Stichwort: Carbon Leakage) künftig zielgerichteter vorzunehmen. Konkret ist hier beabsichtigt, nur noch um die 50 Branchen von der degressiven Kürzung der kostenlosen Zuteilung auszunehmen. Und auch diese kostenlose Zuteilung soll künftig knapper bemessen werden; ihr sollen strengere Effizienzvorgaben zugrunde gelegt werden. Bestehen bleiben soll dabei die Möglichkeit der Staaten, besonders durch CO2-Bezugskosten belasteten Branchen eine Förderung zukommen zu lassen, wie in Deutschland die sog. Strompreiskompensation.

Einigen Marktteilnehmern gehen die Maßnahmen der Europäischen Kommission nicht weit genug. So fordert beispielsweise die European Federation of Energy Traders (EFET) u.a., dass die MSR jährlich nicht nur 12 %, sondern 33 % der Überschüsse aufnimmt. Man verspricht sich hier klarere Preissignale. Außerdem wird gefordert, etwas gegen das bestehende Nebeneinander verschiedener Klimaschutzinstrumente zu unternehmen, die sich potenziell gegenseitig neutralisieren. In der Tat dürfte das künftige Funktionieren des ETS ganz wesentlich davon abhängen, dass bei der Bemessung des CO2-Budgets die durch andere Klimaschutzinstrumente erzielten Einsparungen Berücksichtigung finden.
Im Ergebnis lassen die derzeitigen Entwicklungen noch keine Rallye am CO2-Markt erwarten. Bei aller Vorsicht, die gerade bei Prognosen hinsichtlich des CO2-Preises geboten ist, dürfte die mittel- bis langfristige Tendenz hier aber nach oben weisen.

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