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Wird die Intention der Doppik ausgehöhlt?
Die Nachricht überraschte: Nordrhein-Westfalen schafft den kommunalen Gesamtabschluss für die Mehrzahl der Kommunen faktisch ab. Für die betriebswirtschaftliche Steuerung der Kommune und die Transparenz für Politik und Bürger wurde der Gesamtabschluss eingeführt – gewissermaßen eine konsolidierte Konzernbilanz, wie sie aus dem Handelsgesetzbuch bekannt ist. Doch bevor sich dieses Zahlenwerk flächendeckend durchgesetzt hat und seinen Nutzen entfalten konnte, wird es jetzt in NRW bereits wieder in Frage gestellt.
Zu dieser Entscheidung der Landespolitik exklusiv für THEMEN|:magazin eine Betrachtung von Dr. Bernd Eckstein, Senior Consultant im Bereich Public Sector bei der DATEV eG.
Foto: Steinbauer GmbH
Mit der Umstellung auf die Doppik sind Kommunen verpflichtet, auch einen Jahresabschluss zu erstellen. Dieser Einzelabschluss vermittelt allerdings in der Regel noch kein umfassendes Bild ihrer gesamten Vermögens-, Finanz- und Ertragslage. Oft sind öffentliche Aufgaben aus der Kernverwaltung ausgegliedert und finden dort deshalb keine Berücksichtigung.
Auch Stadtwerke, die als kommunale Eigenbetriebe oder Kapitalgesellschaften wirtschaften, tauchen im Jahresabschluss gegebenenfalls als Beteiligung, nicht jedoch mit deren Vermögens- und Schuldenpositionen auf. Für die betriebswirtschaftliche Steuerung der Kommune und die Transparenz für Politik und Bürger bedeuten diese Informationsdefizite erhebliche Nachteile. Um diesem Mangel zu begegnen, wurde der Gesamtabschluss der Kommune eingeführt. Doch die kürzlich in Nordrhein-Westfalen beschlossenen Befreiungsvorschriften bewirken eine faktische Abschaffung des kommunalen Gesamtabschlusses.
Der Stein des Anstoßes
Stein des Anstoßes ist das „Zweite Gesetz zur Weiterentwicklung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements für Gemeinden und Gemeindeverbände im Land Nordrhein-Westfalen und weiterer kommunalrechtlicher Vorschriften“ (2. NKFWG NRW). Es definiert unter anderem drei größenabhängige Eckwerte, die zur Befreiung von der Verpflichtung zum Gesamtabschluss führen können. Über die Grundidee, kleinere Kommunen von einem für sie unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand zu entlasten, ist der Gesetzgeber dabei allerdings hinausgeschossen.
Eine Befreiung ist möglich, wenn die Summe der Bilanzen unter 1,5 Milliarden Euro beträgt, die Erträge der Eigenbetriebe nicht 50 Prozent oder mehr des Gesamtertrags ausmachen und die Bilanzsummen der Tochterbetriebe unter 50 Prozent der Gesamt-Bilanzsumme liegen. Dabei genügt es, wenn Städte und Gemeinden zwei dieser drei Kriterien erfüllen. Die meisten kreisangehörigen Städte und Landkreise sowie rund ein Fünftel der kreisfreien Städte in NRW sind somit von der Aufstellungspflicht befreit. Sie müssen lediglich noch einen Beteiligungsbericht im Sinne des § 117 GO NRW erstellen.
Sinnvolles Werkzeug für Transparenz
Der Gesamtabschluss wurde ursprünglich verpflichtend eingeführt, weil er für die meisten Kommunen sinnvoll ist. Viele Städte und Gemeinden verfügen über eine konzernähnliche Struktur mit ausgegliederten Unternehmen und Einrichtungen oder sind an anderen privaten Unternehmen beteiligt. Die ausgegliederten Einheiten hatten vor der Einführung der kommunalen Doppik den Vorteil, ihr Rechnungswesen nach kaufmännischen Grundsätzen führen zu können.
Eine kaufmännische Ausrichtung der Kernverwaltung bot die Möglichkeit, das Auseinanderdriften der Rechnungssysteme durch einen Gesamtabschluss auf doppischer Grundlage zu beenden, die Einzelteile wieder zusammenzuführen und damit die Grundlage für eine „konzernweite“ Steuerung zu schaffen. Der Gesamtabschluss hat somit die Aufgabe, die Kernverwaltung und die in Betrieben ausgelagerten Aktivitäten so darzustellen, als ob es sich um eine einzige geschlossene Einheit handeln würde. Deshalb wurde der Gesamtabschluss mit Recht im doppischen Haushaltsrecht verankert.
Zumutbare Komplexität?
Erforderlich sind dafür eine konsolidierte Ergebnisrechnung, eine konsolidierte Bilanz, eine Kapitalflussrechnung und Eigenkapitalübersicht sowie ein Konsolidierungsbericht beziehungsweise ein Gesamtlagebericht und Gesamtanhang. Somit ist der Aufstellungsprozess in jedem Fall ein anspruchsvolles Projekt, sowohl in personeller und zeitlicher als auch in fachlicher Hinsicht. Denn er geht über die schlichte Addition der einzelnen Bilanzen von Kernverwaltung und Tochterorganisationen hinaus. Der Aufwand variiert dabei je nach Art und Umfang der Beteiligungsverhältnisse. Finanzielle Verflechtungen und Leistungsbeziehungen zwischen den Beteiligten müssen nach bestimmten, dem Handelsgesetzbuch entlehnten Methoden gegeneinander aufgerechnet werden. Genau darin, nämlich die in den Einzelabschlüssen vorhandenen Innenumsätze ausfindig zu machen und zu bereinigen, also die Binnenverbräuche aus den Zahlenwerken herauszurechnen, liegt eine Herausforderung.
Die Verhältnismäßigkeit der durch diese komplexen Rechenschritte an die Kommunen gestellten Herausforderungen dürfte in NRW den Ausschlag zur Aufweichung der Vorschrift gegeben haben. Begründet wird die dortige Neuregelung zwar damit, das Konstrukt des Gesamtabschlusses bleibe hinter den Erwartungen in Sachen Transparenz zurück. Doch im weiteren fällt der Blick auf die Ressourcen: Es fehle den Kommunen an den nötigen personellen und organisatorischen Voraussetzungen, der Verpflichtung zur Aufstellung der Gesamtabschlüsse fristgerecht nachzukommen.
Der Nutzen überwiegt
Diese Argumentation ist nachvollziehbar, trifft aber nicht den Kern. Eine betriebswirtschaftliche Steuerung der Kommune wird durch den fehlenden Gesamtabschluss massiv beeinträchtigt; dies kann auf Basis eines bloßen Beteiligungsberichtes nicht gelingen. Vor allem die Innenumsätze, also Lieferungen und Leistungen innerhalb des Konzerns Kommune sowie dadurch entstehende Zwischenergebnisse, sind nicht mehr transparent. Gewinne und Verluste können so bilanzpolitisch in Mutterkommune oder Tochterbetrieb verlagert werden.
Fakt ist, Gesamtabschlüsse sind ja auch in der Privatwirtschaft gefordert und dort funktioniert das Verfahren problemlos. Möglicherweise kann eine kleine Kommune für einen Gesamtabschluss, der nur einmal im Jahr zu erstellen ist, das nötige Spezial-Know-how nicht vorhalten. Doch ist dies nicht zwingend erforderlich: Die Erstellung ist wesentlich wirtschaftlicher und letztlich kostengünstiger auch als Dienstleistung zu beziehen.
Eine gefährliche Argumentation
Die Argumentation führt auf einen gefährlichen Weg. Denn oft ist das Problem weniger der Konzernabschluss an sich. Zahlreiche Kommunen haben schon bei der Erstellung eines einfachen Jahresabschlusses große Schwierigkeiten. Hier gäbe es in der Tat Möglichkeiten, das komplexe System aus Finanz-, Vermögens- und Ergebnisrechnung zu vereinfachen. Bisher fehlt aber zum Glück die Forderung, den Einzelabschluss ebenfalls abzuschaffen. Dennoch ist dieser bei fehlendem Gesamtabschluss entwertet.
Das Ziel darf nicht sein, systemzerstörende Vereinfachungen vorzunehmen, wenn Transparenz und Vergleichbarkeit der Rechnungslegung nach wie vor gewünscht sind. Diese wären ohne Gesamtabschluss auch bei einfachen Konzernstrukturen schon nicht mehr gegeben. In Kommunen, die einen beträchtlichen Anteil ihres Vermögens in den sogenannten verselbstständigten Bereichen angelegt haben, wird die Einschätzung der Vermögenslage und der Leistungsfähigkeit der Kernkommune deutlich schwieriger, fehlt der Gesamtabschluss.
Auch für den interkommunalen Vergleich, bezogen auf die tatsächliche Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kommunen, ist dies ein Rückschritt. Es bleibt zu hoffen, dass der Vorstoß Nordrhein-Westfalens, wenn er schon nicht wieder rückgängig gemacht wird, zumindest keine negative Signalwirkung für andere Bundesländer entfaltet.
Weitere Information: www.datev.de