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Kategorie: Digitalisierung
Wieviel Leistungselektronik verträgt das Netz?
MIGRATE geht an den Start. Das Internationale Projekt untersucht Anforderungen an Europas Stromnetz der Zukunft. Projektpartner aus 13 Ländern Europas untersuchen Potenziale, Grenzwerte der Einspeisung aus leistungselektronischen Netzteilnehmern und schaffen Voraussetzungen für die künftige Netzregelung.
Zum Projekt informiert im Gespräch Dr. Urban Keussen, Vorsitzender der Geschäftsführung TenneT TSO GmbH.
Herr Dr. Keussen, was verbirgt sich hinter dem Projekt MIGRATE?
Der Projektname leitet sich ab aus dem Forschungsthema „Massive InteGRATion of power Electronic devices“.
Ziel ist die Erarbeitung unterschiedlicher Lösungsansätze für wichtige technische Fragen rund um die Themen Netzstabilität, Netzqualität, Steuerung und Versorgungssicherheit, die sich als Herausforderung durch immer mehr Einspeisequellen von Erneuerbaren Energien ergeben. Das auf vier Jahre ausgelegte Projekt wird von der EU mit rund 17 Mio. Euro gefördert und gehört zum EU-Rahmenprogramm „Horizont 2020“ für Forschung und Innovation.
Was war der Anlass, dieses Projekt ins Leben zu rufen?
In der Zukunft wird an verschiedenen Stellen das europäische Verbundnetznetz zu bestimmten Zeitpunkten mit viel Strom aus Wind- und Sonnenenergie vor neue Herausforderungen gestellt. Einerseits wird die Stromproduktion durch den steigenden Anteil von Erneuerbaren Energien und andererseits aber auch der Verbrauch durch beispielsweise die Implementierung von Energieeffizienzsystemen immer häufiger durch Leistungselektronik an das Stromnetz gekoppelt.
Gerade bei Netzbetreibern sorgen diese Effekte für technische Herausforderungen bei der Netzführung. Das resultiert aus der fehlenden Massenträgheit z. B. eines Kraftwerkgenerators, die für die notwendige Frequenzstabilität von 50 Hertz sorgt.
Diese herausfordernden Themen haben eine europäische Tragweite bekommen, denn die Energiewende ist ein europäisches Thema geworden. Und das führt uns in ganz Europa zu der Frage: Wieviel Leistungselektronik verträgt das Stromnetz? Das ist genau die Fragestellung, die wir in dem Projekt MIGRATE untersuchen werden.
Welche Aspekte stehen dabei im Fokus?
Die Untersuchungsschwerpunkte, die vor dem Hintergrund eines künftig stark CO2- reduzierten Energiesystems wesentlich werden, sind zum einen die Maximierung der Anzahl an Einspeisequellen aus Erneuerbaren Energien bei gleichzeitig zu erhaltender Netzstabilität.
Zum anderen analysieren wir zukünftige potenzielle Probleme und Herausforderungen an das Stromnetz der Zukunft und prüfen mögliche Lösungsansätze. Außerdem wollen wir im Projekt MIGRATE die Notwendigkeit neuer Kontroll- und Schutzschemata untersuchen sowie gegebenenfalls auch Anpassungen der Netzanschlussregeln entwickeln.
Wie teilen sich die 24 Projektpartner die Aufgaben auf?
Die genannten Fragestellungen sind auf acht Arbeitspakte heruntergebrochen und auf Arbeitsgruppen, in denen verschiedene Projektpartner mitarbeiten, verteilt worden. Wesentlich ist dabei die Entwicklung und Validierung von technologie-basierten Lösun gen vor dem Hintergrund eines pan-europäischen Elektrizitätssystems, das einer raschen Zunahme an Leistungselektronik sowohl auf der Seite der Erzeugung als auch auf der des Verbrauchs unterliegt.
In welchem Zeitraum sollen die Lösungen erarbeitet werden?
Kurz- bis mittelfristig sind technologiebasierte, schrittweise einzuführende, innovative Methoden und Anwendungen nötig, um den sicheren Betrieb der bestehenden Drehstrom- Hochspannungsnetze bei wachsender Erzeugung und Verbrauch von über Leistungselektronik angebundener Energie zu gewährleisten. Langfristig gilt es, neuartige Lösungen zu finden, die den Umbruch zu einem Drehstrom- Hochspannungssystem ermöglichen, in welchem die gesamte Erzeugung und der Ver brauch annähernd vollständig über Leistungselektronik angeschlossen ist. Dabei sind innovative Kontroll-Algorithmen in Verbindung mit neuen Netzanbindungsstandards gefordert.
Wie geht es jetzt konkret weiter, was sind die next steps?
Die Arbeitsgruppen treffen sich regelmäßig zum Austausch ihrer Arbeitsergebnisse. Das nächste Treffen des Executive Boards, dem alle in dem Projekt involvierten ÜNB angehören, findet im Sommer statt, um erste Untersuchungsergebnisse vorzustellen und sich untereinander weiter abzustimmen. Nicht nur die Konsortialpartner werden bis dahin aktiv an den gestellten Aufgaben arbeiten, auch andere, nicht im Projekt organisierte Über tragungsnetzbetreiber und For schungs gruppen können sich bei Interesse an der Thematik inhaltlich einbringen.
In Kürze wird dazu eine sogenannte Referenzgruppe ins Leben gerufen, die als Input- und Austauschplattform gedacht ist. Unter der E-Mail-Adresse migrate@tennet.eu können sich alle Projekt-Interessenten mit TenneT in Verbindung setzen, denn TenneT ist Koordinator und Kon sortialführer von MIGRATE.