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< Stadtwerke sind Umsetzer der Wärmewende vor Ort
28.04.2022 10:04 Alter: 2 yrs

Wie die Wärmewende in Deutschland gelingen kann

Spätestens bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden – das ist genauso notwendig wie ambitioniert. Der russische Angriff auf die Ukraine zeigt, dass die Abkehr von fossilen Energieträgern auch ein sicherheitspolitisches Gebot ist. Die deutsche Energieversorgung muss unabhängiger und resilienter werden. Und für die Einsparung von Treibhausgas-Emissionen benötigen wir neben einer Strom- und Verkehrs- auch eine Wärmewende. Ein Gastbeitrag von Henry Otto, Leiter Energy Consulting, PwC Deutschland.


Henry Otto, Leiter Energy Consulting PwC Deutschland Foto: Thüga, Dirk Bruniecki

„Die klimafreundlichste Wärme ist die, die gar nicht erst erzeugt werden muss. Neben den skizzierten alternativen Wegen für Energieund Wärmeversorgung müssen auch Einsparpotenziale viel stärker in den Blick genommen werden. Durch Gebäudesanierung (etwa Fassadendämmung), Energiemanagement und ein verändertes Verbrauchsverhalten lassen sich ebenfalls bedeutende Mengen an Treibhausgas-Emissionen einsparen.“ Henry Otto

Die Wärmewende betrifft vor allem den Gebäudesektor. Etwa 14 Prozent der deutschen CO2 -Emissionen werden hier nach Angaben der Bundesregierung direkt verursacht. Hinzu kommen indirekte Emissionen durch die Energiebereitstellung in noch einmal etwa der gleichen Höhe. Auch die Tatsache, dass mehr als neunzig Prozent der in Wohngebäuden und Nichtwohngebäuden verbrauchten Endenergie auf die Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser entfallen, zeigt, dass hier ein großes Potenzial für die Einsparung von TreibhausgasEmissionen besteht. Gleichzeitig muss sich dringend etwas ändern, denn 2020 verfehlte der Gebäudesektor – als einziger Sektor – sein Klimaziel.

Wärmepumpen: Schlüsseltechnologie der Wärmewende

Wie überall beim Klimaschutz werden wir auch bei der Wärmewende nur mit Technologieoffenheit und Pragmatismus vorankommen. Trotzdem ist jetzt schon absehbar, dass die Wärmepumpe in diesem Bereich eine Schlüsseltechnologie darstellen wird. Eine Studie, die PwC in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Wärmepumpe erarbeitet hat, zeigt, dass bereits mit dem heutigen Strommix durch den Einsatz einer Wärmepumpe mehr als fünfzig Prozent CO2 -Emissionen gegenüber einer Gasheizung eingespart werden können. Ölheizungen verursachen sogar fast dreimal soviel CO2 wie Wärmepumpen. Da der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix in Zukunft stark zunehmen wird, ist absehbar, dass die Wärmepumpe ihren Klimavorteil noch kontinuierlich steigern wird.

Bisher verfügen allerdings nur sechs Prozent der Bestandsgebäude in Deutschland über eine Wärmepumpe. Auch beim Zubau sind die Steigerungsraten dieser Zukunftstechnologie mit 3,5 verkauften Wärmepumpen pro 1000 Haushalten (2020) bisher noch eher gering. Im internationalen Vergleich liegt der vermeintliche Energiewende-Vorreiter Deutschland damit nur im unteren Drittel. Grund zum Optimismus gibt es allerdings trotzdem: Seit 2017 werden in Deutschland mehr Wärmepumpen als Gasheizungen montiert.

Beliebt ist die Wärmepumpe dabei bisher vor allem im Bereich der Ein- und Zweifamilienhäuser. Viele Menschen leben aber auch in den dicht besiedelten urbanen Kernen, die eher von größeren Altbauten geprägt sind. Wärmepumpen-Lösungen sind hier aufwendiger zu implementieren. Dadurch, dass sie keine Feinstauboder Stickoxidemissionen verursachen, tragen sie in diesen Gebieten – neben dem Klimaschutz – aber auch zur Verbesserung der Luftqualität bei.

Positiv ist, bereits 2020 wurden die Investitionszuschüsse für die Installation von Wärmepumpen erhöht. Dies hat sich bei den Absatzzahlen bemerkbar gemacht. Die hohen Strompreise und Unsicherheiten bei der Entwicklung von staatlichen Preisbestandteilen führen allerdings dazu, dass das Potenzial der Technologie bisher nicht ausgeschöpft wird. Doch gerade bei den langen Investitionszyklen im Gebäudesektor ist Planungssicherheit ein zentraler Faktor. Die Politik muss hier dringend geeignete Rahmenbedingungen schaffen – und erhalten.

Geothermie: Alleskönnerin durch Erdwärme

Thermische Ressourcen sind bereits heute erfolgreich kommerziell nutzbar. So deckt Island beispielsweise inzwischen ein Viertel des Strom- und etwa neunzig Prozent seines Wärmebedarfs mit Geothermie. Island ist durch seine geologischen Gegebenheiten sicherlich ein Sonderfall – doch auch in Deutschland könnte theoretisch die Hälfte des Wärmebedarfs mit den bisher bekannten Ressourcen gedeckt werden. Mittlerweile gibt es hierzulande schon mehr als 370.000 Geothermie-Anlagen, die Gebäude mit Wärme versorgen. Hinzu kommen mehr als dreißig Geothermiekraftwerke, die Strom und Wärme erzeugen.

Geothermie-Wärme kann entweder direkt zum Heizen verwendet oder mit einer Wärmepumpe auf die gewünschte Temperatur gebracht werden. Besonders vielversprechend sind daneben die Speichermöglichkeiten, die Geothermie bietet. So kann überschüssige Wärme im Sommer gespeichert und im Winter zum Heizen genutzt werden. Separate Speicher können gleichzeitig im Winter Kälte speichern, die im Sommer zur Gebäudekühlung verwendet wird – ein ressourcenschonender Weg, sich den immer heißeren Sommern anzupassen. Die entsprechende Technologie ist keine Zukunftsmusik, sondern wird beispielsweise im Reichstagsgebäude in Berlin seit langem erfolgreich genutzt.

Die so genannte Tiefe Geothermie, die Tiefenlagen zwischen 400 und 5000 Metern nutzt, verfügt über noch größeres Potenzial. Sie liefert witterungsunabhängig Energie aus lokalen Gesteinsschichten. Laut der Roadmap Tiefe Geothermie für Deutschland von FraunhoferInstitut und Helmholtz-Gemeinschaft könnte die Tiefe Geothermie mehr als ein Viertel des deutschen Wärmebedarfes decken.

Fern- und Nahwärmenetze ausbauen, aber pragmatisch

Wenn wir bei der Dekarbonisierung schnelle Fortschritte erzielen wollen, dürfen wir die existierenden Fern- und Nahwärmenetze nicht aus dem Blick verlieren. Durch die Nutzung von Wasserstoff und Grüngas können diese zunehmend emissionsärmer betrieben werden. Auch dies erfordert jedoch beträchtliche Investitionen, die sowohl auf Erzeuger- als auch auf Kundenseite bisher häufig noch gescheut werden.

Die Politik ist auch in diesem Bereich aufgerufen, Investitionen zu unterstützen und durch passende Rahmenbedingungen Planungssicherheit zu schaffen. Das bedeutet zum Beispiel, nach Möglichkeit den Ausbau und Verdichtung bestehender Wärmenetze zu fördern sowie über die Schaffung isolierter Wasserstoffnetze nur dort nachzudenken, wo es beispielsweise durch industrielle Anforderungen keine Alternativen gibt. Das schafft Planungssicherheiten für alle Verbrauchssektoren. Damit ein ziel- und bedarfsgerechtes Vorgehen sichergestellt werden kann, müssen vor allem auch lokale Akteure wie Kommunen, Stadtwerke und Verteilnetzbetreiber eingebunden werden.

Die Mischung macht‘s

Ohne die Wärmewende wird Deutschland nicht klimaneutral. Um die ambitionierten Klimaziele einzuhalten, muss die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, um einen möglichst breiten Einsatz aller für die Wärmepumpe zur Verfügung stehenden Optionen zu ermöglichen. Der Blick muss dabei auch zukünftige Entwicklungen beispielsweise bei den Energiepreisen und Anlagenkosten berücksichtigen, um nicht aus heutiger Sicht vermeintlich unattraktive Lösungen auszuklammern.

»All diese Ansätze müssen stets zusammengedacht werden. Die Aufgaben sind so gewaltig, dass zwingend alle verfügbaren Lösungen genutzt werden müssen.«

Henry Otto, PwC

Neben der Förderung des Einsatzes von Wärmepumpen heißt das, auch die umfassende Nutzung der Geothermie und die Dekarbonisierung von gasförmigen Energieträgern nachhaltig voranzutreiben, um damit die Grundlage für beispielsweise „grüne“ Fern- und Nahwärmeversorgung zu schaffen. Großes Potenzial hat daneben auch die Nutzung von industrieller Abwärme, vorausgesetzt die Prozesswärme in der Industrie wird in Zukunft ebenfalls klimaneutral erzeugt.

All diese Ansätze müssen stets zusammengedacht werden. Die Aufgaben sind so gewaltig, dass zwingend alle verfügbaren Lösungen genutzt werden müssen. Werden diese Lösungen intelligent kombiniert – dann stehen wir vor einer Herausforderung, die ambitioniert ist, aber auch machbar.

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Quellen: PwC (2020) Chancen und Risiken für die deutsche Heizungsindustrie im globalen Wettbewerb | Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (2022) Roadmap Tiefe Geothermie für Deutschland | TÜV Süd: Geothermie https://www.tuvsud.com/de-de/indust-re/klima-und-energie-info/erneuerbare-und-umweltfreundliche-energiequellen/geothermie | Bundesregierung: Klimaschutz / Bauen & Wohnen https://www.bundesregierung.de/bregde/themen/klimaschutz/klimafreundlich-wohnen-1672900 | Dena-Gebäudereport 2021