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< Die Zukunft der Kraft-Wärme-Kopplung ist in Gefahr
29.04.2015 12:26 Alter: 10 yrs

Wer, wenn nicht die Stadtwerke, soll die Energiewende vor Ort gestalten?

„Die Stadtwerke sterben“, titelte 1999 eine große deutsche Tageszeitung. Nach dem Start des Wettbewerbs im Strommarkt im Jahr 1998 war die These vom Untergang kommunaler Unternehmen durchaus hoffähig. Dass es anders kam, lehrt die jüngere Vergangenheit. Doch nun, so scheint es, könnte das damalige Orakel doch noch wahr werden.   Ein Gastbeitrag von Ingela Marré, Conference Director bei EUROFORUM Deutschland SE.


Foto und Grafik: EUROFORUM Deutschland SE

So ungemütlich wie aktuell war die Lage für Stadtwerke in Deutschland noch nie. Einerseits hat der zäh gestartete Wettbewerb mächtig Fahrt aufgenommen. Andererseits wurden viele EVU von den Folgen der nach Fukushima forciert vollzogenen Energiewende überrascht. Und drittens bedeutet das immer filigraner ausdefinierte Regulierungsregime besonders für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) eine Überforderung. Jüngstes Beispiel: REMIT. Und als zusätzliche große Herausforderung, die praktisch alle Geschäftsprozesse überlagert und infiltriert, hat die Digitale Revolution (Internet of everything everywhere, Social Media) begonnen – mit unabsehbaren Risiken und Nebenwirkungen, wie es scheint.

Steigerung der Prozesseffizienz ist kurzfristig das A und O

Auf was kommt es für Stadtwerke in diesen turbulenten Zeiten an? Am dringlichsten ist Entlastung an der finanziellen Front. Um die inzwischen hauchdünnen Margen im Vertrieb zu stabilisieren, bleibt im Wesentlichen nur eine selbst beeinflussbare Stellschraube: Steigerung der Prozesseffizienz. Dafür müssen vielerorts alte Zöpfe abgeschnitten werden. Prozessautomatisierung verlangt nach IT-Einsatz. Prozessketten müssen ganzheitlich betrachtet und optimiert werden, das heißt End-to-end über Abteilungsgrenzen hinweg. Und all das sollte möglichst schnell passieren, denn der wirtschaftliche Druck wächst.

So wie die Bundesregierung die Energiewende aktuell steuert, kündigt sich für Stadtwerke weiteres Ungemach an. Stromerzeugungsanlagen, die fossile Brennstoffe einsetzen, werden unwirtschaftlich, weil Erzeugungsleistung und Einspeisungen von Wind- und PV-Anlagen weiter wachsen. Einem Kapazitätsmarkt, der Erzeugungsbereitschaft honoriert, traut der Bundeswirtschaftsminister nicht. Sogar die Kraft-Wärme-Kopplung, eine klassische Effizienztechnologie, scheint nicht mehr genügend Fürsprecher in der Politik zu finden.

Die Branche hat auf diese politische Positionierung mit der Gronauer Erklärung reagiert. Bisher haben sich knapp 120 kommunale Energieversorger dieser Erklärung angeschlossen, um für die Zukunft der Kraft-Wärme- Kopplung zu kämpfen. Zu spät haben auch die meisten Unternehmen begonnen, für sich selbst regenerative Erzeugungsportfolien aufzubauen oder sich in der Direktvermarktung zu engagieren.

Was tut man klassischerweise in der Not? Zusammenrücken und kooperieren! Diese Tendenzen sind auch im Energiemarkt verstärkt zu beobachten. Seit langem erfolgreiche Stadtwerke- Kooperationen wie Thüga oder Trianel beispielsweise, die verschiedene Querschnittsfunktionen für ihre Mitglieder wahrnehmen, haben es vorgemacht. In jüngerer Vergangenheit etablieren sich beispielsweise Kooperationsmodelle im Bereich des Messwesens.

A propos intelligente Messsysteme: Ihre Einführung ist eine der Aufgaben, die KMU allein nicht stemmen können. Die Verlangsamung des Rollout-Tempos laut Eckpunktepapier lässt Kooperation sogar noch wichtiger werden, weil kaum ein Unternehmen allein wirtschaftlich darstellbare Mengengerüste erreicht.

Innovationen und Kooperationen sind die Schlüssel zur Zukunft

Innovation und Kooperation können zwei Schlüssel sein, die verhindern, dass Stadtwerke von der Landkarte verschwinden. Innovationen sorgen dafür, dass Prozesse schlanker, schneller, intelligenter werden, dass neue Produkte entwickelt und neue Tätigkeitsbereiche erschlossen werden.

Extrem wichtig ist in diesem Kontext, die Digitalisierung nicht zu verschlafen. Nicht nur in Bezug auf die Abläufe im Unternehmen, sondern auch mit Blick auf neue potenzielle Geschäftsfelder in den Bereichen Daten- und Telekommunikation sowie Smart Home beispielsweise. Wer früh und mit Augenmaß startet, sammelt wertvolle Erfahrungen, die in Wettbewerbsvorteilen münden können.

Kooperationen sind der Königsweg, Kompetenzen und Ressourcen zu bündeln sowie Größennachteile auszugleichen und unabhängig von der Unternehmensgröße selbstständig zu bleiben. Auch vertikale Partnerschaften sind ein häufig beschrittener Weg. Vereinzelt beteiligen sich Energieversorger an externen Dienstleistern (IT, Anlagenbauer, Services), um sich breiter aufzustellen. Outsourcing, verstanden als Auslagern nicht wertschöpfender und nicht zur Kernkompetenz zählender Prozesse, dient ebenso der Zukunftssicherung.

Chancenorientiertes Denken und Aufbruchsstimmung gefragt

Es mehren sich die Anzeichen, dass die kommunalen Energieversorger die Zeichen der Zeit erkannt haben, dass sie nicht mehr nur paralysiert nach Berlin schauen und die Gesetzgebung als permanente Zumutung begreifen. Wo Risiken bestehen, gibt es immer auch neue Möglichkeiten. Chancenorientiertes Denken und Aufbruchsstimmung sind gefragt. Und ein Selbstbewusstsein, gespeist aus dem Wissen um eigene Potenziale und Wettbewerbsvorteile. Kundennähe und Dezentralität sind starke Alleinstellungsmerkmale und ein Faustpfand für eine gute Zukunft. Die Energieversorgung wird dezentral. Wer, wenn nicht die Stadtwerke, soll diesen Wandel vor Ort federführend gestalten?

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