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Wasserwirtschaft - zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit
In Deutschland ist das Trinkwasser von höchster Qualität. Mit Know-how, Investitionen und vorausschauender Planung erfüllen rund 6.000 Wasserversorgungsunternehmen diese wichtige Aufgabe der Daseinsvorsorge. Die Unternehmen der Wasserwirtschaft wollen die anerkannt hohe Qualität des Trinkwassers auch in Zukunft sichern. Zugleich müssen sie sich immer stärker an wirtschaftlichen Anforderungen ausrichten.
Zu diesem Spannungsfeld von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit sprachen wir auf der wat 2018 mit Jörg Simon, Vorstandsvorsitzender der Berliner Wasserbetriebe AöR (BWB).
Foto: Die Hoffotografen GmbH Berlin
Herr Simon, welche Anforderungen an die nationale und europäische Wasserpolitik hat die wat 2018 diskutiert?
Höchste Trinkwasserqualität kommt nicht von allein. Aktuelle wasserpolitische Entwicklungen in Berlin und Brüssel erlangen zunehmende Bedeutung. Allein aus der Revision der Trinkwasserrichtlinie, den Strategien zu Gewässerschutz und Agrarpolitik sowie der Spurenstoffstrategie leiten sich große Herausforderungen für die Branche ab. Ein Beispiel dafür ist die EU-Trinkwasserrichtline. Sie soll nach den Vorstellungen der EU-Kommission im Frühjahr 2019 mit dem Ziel einer europaweit einheitlichen Regelung hygienischer Anforderungen an Materialien und Werkstoffe in der Trinkwasserversorgung in Kraft treten. Allerdings zeigt sich bereits hier ein grundlegender Widerspruch. Die EU will z. B. den den entsprechenden Artikel 10 der Trinkwasserrichtlinie streichen, während wir für Deutschland seine ambitionierte Weiterentwicklung fordern. Unser Argument als Wasserversorger: die Wasserqualität darf nicht unter Materialunzulänglichkeiten leiden.
Im Fokus steht auch der Gewässerschutz?
Notwendig ist, die nationale und europäische Wasserpolitik stärker am Gewässerschutz auszurichten. Der Gesetzgeber muss das nationale Düngerecht nachschärfen, um so der Nitratverschmutzung wirksam entgegen zu wirken. Damit verbunden, müssen Trinkwasser- Ressourcen insgesamt besser vor Schadstoffeinträgen geschützt werden. Beides erfordert Entscheidungen, die zunehmend im politischen Kontext getroffen werden. Unser Anspruch als Unternehmen der Wasser- und Abwasserwirtschaft ist es, diesen politischen Entscheidungsprozess mitzugestalten. Dazu brauchen wir den fachpolitischen Dialog gemeinsam mit Stakeholdern aus Politik und Wirtschaft, um Perspektiven zur Zukunftssicherung der Branche zu entwickeln.
Thema ist eine 4. Reinigungsstufe in Kläranlagen, kann das die Lösung sein?
Der Begriff 4. Reinigungsstufe ist zunächst einmal irreführend. Es gibt nicht DIE 4. Reinigungsstufe, sondern eine weitergehende Abwasserreinigung, deren Verfahrenstechnik abhängt von den Reinigungszielen der nachgeordneten Gewässer. In den meisten Fällen geht es hier um Phosphor und Nitrate. Die weitergehende Abwasserreinigung wird aber auch als Antwort auf die zunehmende Belastung der Gewässer mit Spurenstoffen, beispielsweise Rückstände von Arzneimitteln ins Gespräch gebracht.
Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass auch weitergehende Filter- und andere Reinigungstechniken nicht alle unerwünschten Stoffe aus dem Wasser entfernen und die jeweilige Technologie nur selektiv arbeitet. Zudem können im Reinigungsprozess teilweise neue Abbauprodukte entstehen, die dann in die Gewässer gelangen. Es ist eine Behandlung des Symptoms, nicht der Ursache.
Zumal die Techniken einer weiteren Klärstufe sehr kostenintensiv. sind. Würde man die Unternehmen der Wasserwirtschaft zum Einbau einer vierten Stufe in allen Kläranlagen verpflichten, müssten die Investitionskosten in Höhe von insgesamt rd. 1,2 Mrd. Euro auf die Gebührenzahler umgelegt werden. Dies würde für einen Vier-Personen-Haushalt eine Erhöhung der Abwassergebühren um rd. 17 Prozent bedeuten.
Wie ist hier die Position der Wasserwirtschaft?
Die Abwasserwirtschaft kann nicht der Reparaturbetrieb unserer Gesellschaft sein – zumal Kläranlagen auch mit neuen Techniken nicht alle Stoffe herausfiltern können. Wir müssen an der Quelle der Verschmutzung ansetzen, und das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Verursacherprinzip muss gestärkt werden. Von daher brauchen wir einen Mechanismus, der die Hersteller von Arzneimitteln dazu bringt, verstärkt auf umweltschonende Stoffe zu setzen.
Gibt es konkrete Vorschläge?
Ein Vorschlag liegt auf dem Tisch mit einer Abgabe auf Arzneimittel. Basis sind die prognostizierten Kosten von rd. 1,2 Mrd. Euro pro Jahr für die Einführung einer 4. Klärstufe. Dies entspricht einer Abgabe in Höhe von 2,5 Cent pro definierter Tagesdosis auf die rezeptpflichtigen Medikamente in Deutschland. Bezogen auf die Einnahme eines Medikaments beispielsweise über 30 Tage ergäbe sich so eine vergleichsweise geringe Belastung von 0,75 Euro. Solch eine Finanzierung über Medikamente wäre verursachungsgerecht und würde die Kosten auf alle Beteiligten, also Hersteller, Handel, Apotheken, Krankenkassen und ggf. Patienten verteilen.
Auch eine Fondslösung wäre eine Variante. Die Hersteller pharmazeutischer Produkte würden entsprechend der Umweltbelastung von Medikamenten Gelder in einen Fonds einzahlen. Aus diesem Fonds werden dann Maßnahmen zur Beseitigung der entstandenen Umweltschäden finanziert. So würde Verursachungsgerechtigkeit mit einem geringen Verwaltungsaufwand kombiniert.
Ein Thema ist auch der Werterhalt der Trinkwassernetze?
Politische Initiativen sind unbedingt beim Werterhalt der Trinkwassernetze gefordert. Das zuverlässige System aus Anlagen und Leitungsnetz muss unter den geänderten Vorzeichen von Klimawandel, Demographie und Digitalisierung genauer betrachtet werden, denn wir wollen weiterhin die Versorgung mit dem Lebensmittel Nr. 1 auf höchstem Niveau gewährleisten. Entscheidend ist, dass die Politik klar Stellung bezieht, welchen gesellschaftlichen Wert Trinkwasser als Standortfaktor für die Wirtschaft, aber auch als Garant für Lebensqualität hat. Die Aufwendungen der Branche zum Erhalt der Netze und Anlagen müssen gefördert werden. Der Nationale Wasserdialog, den das Bundesumweltministerium aktuell gestartet hat, ist ein richtiger Schritt, um mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft den Stellenwert des Trinkwassers neu zu bestimmen.
Welche aktuellen Herausforderungen stehen für die Berliner Wasserbetriebe?
Der Klimawandel stellt an alle Unternehmen der Wasserversorgung neue Herausforderungen. Anhaltende Trockenheit und regionale Starkregenereignisse haben das Wetter in Deutschland in 2017 und 2018 geprägt. Die Folgen der demographischen Entwicklung, der Mangel an qualifiziertem Personal, das Auftreten von Spurenstoffen in den Gewässern und das hartnäckige Nitrat-Problem sind deshalb drängende Branchenthemen, die z. T. auch uns betreffen.
In Berlin vertrauen rd. 3,6 Millionen Menschen auf die Qualität unseres Trinkwassers und die Reinigung ihres Abwassers auf höchstem Niveau. Wir fördern unser Wasser aus 650 Brunnen und liefern es in einwandfreier Qualität durch 8.000 Kilometer Rohrnetz in die Stadt zu unseren Kunden. Berlin ist auch eine Wasserstadt. Fast ein Viertel der Fläche Berlins ist deshalb dem Wasserschutz gewidmet. Unser Trinkwasser gewinnen wir aus dem Uferfiltrat der Flüsse und Seen, sozusagen aus „eigenem Anbau“. Die sechs Klärwerke der Berliner Wasserbetriebe reinigen bei Trockenwetter täglich rund 665.000 Kubikmeter Abwasser. Geklärt fließt es dann in die Spree und in die Havel. Das gereinigte Klarwasser gelangt so zurück in den natürlichen Wasserkreislauf.
Damit dies so bleibt, investieren wir bis in das
Jahr 2024 rd. 2,3 Mrd. Euro in unsere Infrastruktur.
Davon allein 600 Mio. Euro in die
Verbesserung der Reinigungsleistung unserer
Kläranlagen. Und wir konnten bisher rund 80
Prozent der Kanalschäden sanieren. Da Berlin
einen Einwohnerzuwachs von rd. 40.000
Menschen im Jahr verzeichnet, investieren
wir auch in die weitergehende Erschließung.
Wie steht es um Innovationen bei den Berliner Wasserbetrieben?
Sehr gut. Wir haben eine eigene Forschungsund Entwicklungsabteilung, die gemeinsam mit Universitäten im In- und Ausland an Projekten arbeitet, die direkt unsere Arbeit tangieren und uns innovativer und leistungsfähiger machen. Aktuelle Ergebnisse sind etwa verbesserte Methoden der Kanalreinigung und –instandsetzung, der Einbau einer verbesserten Abwasserreinigung zur Spurenstoffentfernung sowie Maßnahmen zu Klimawandelanpassung und Regenwassermanagement. Auch im IT-Bereich sind wir gut aufgestellt, machen unsere Anlagensteuerung schneller und flexibler. Es gilt die Wirtschaftlichkeit der zentralen Verteilsysteme auch bei Minimalauslastung sicherzustellen. Messungen werden immer schneller, größere Datenmengen müssen in immer kürzerer Zeit verarbeitet, versendet und zur Verfügung gestellt werden.
Neue Anforderungen ergeben sich auch an die Netzführung. Das Lastenheft heute reicht von optimierten Netzstrukturen über eine adäquate Ausstattung mit Mess-, Regel- und Automatisierungstechnik bis zu angepassten Betriebskonzepten. Der Einsatz von Informationstechnologie ist immer mit Qualitäts- und Effizienzsteigerung verbunden, er bedeutet aber zugleich ein verändertes Bedrohungs- Szenario für die Unternehmen und deren Kernprozesse.
Wasserversorgung als kritische Infrastruktur, ist die Branche darauf eingestellt?
Wie wir unsere Netze und Anlagen sichern, war in der Wasserwirtschaft schon immer ein Thema. Doch mit wechselnden Bedrohungslagen und wachsenden technischen Möglichkeiten sowohl der Manipulation als auch der Absicherung steigen natürlich die Anforderungen an Betreiber kritischer Infrastrukturen, diese nach dem aktuellsten Stand der Technik abzusichern. Deshalb diskutieren wir, wie Sicherheitskonzepte und -maßnahmen ständig angepasst und erweitert werden können, welche finanziellen Belastungen damit verbunden sind und wie Interessenkonflikte zwischen Wirtschaftlichkeit, Handhabbarkeit und umfassender Sicherheit gelöst werden können.
Reicht das vorhandene Instrumentarium aus?
Die Branche hat mit der Entwicklung des B3S, dem branchenspezifischen Sicherheitsstandard, einen großen Schritt nach vorn gemacht – übrigens als eine der ersten Branchen in Deutschland. Aber Sicherheit ist kein statisches Thema, vielmehr muss man immer in Bewegung bleiben. Demzufolge ist auch der B3S kein statisches Dokument, er gibt Gefährdungen und Maßnahmen nicht abschließend wieder, sondern zeigt branchenspezifische „Best Practices“ auf.
Der Standard ist so konzipiert, dass Anwender mit ihm in der Lage sind, auf veränderte Bedrohungslagen zu reagieren. Jeder Versorger ist deshalb angehalten, die allgemeine und branchenspezifische Gefährdungslage zu beobachten. Als Berliner Wasserbetriebe etwa stehen wir dazu in regelmäßigem Austausch mit den Sicherheitsbehörden und anderen Infrastrukturbetreibern der Stadt.