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< Strukturwandel und Klimaschutz in Einklang zu bringen
03.09.2019 10:09 Alter: 5 yrs

Was kostet die Energiewende bis 2030?

Die Kosten der Energiewende stehen weiterhin in der Diskussion und mit dem beschlossenen Kohleausstieg bis zum Jahr 2038 erfährt das Thema eine aktuelle Dynamik.


In diese Diskussion bindet sich unser Autor Dr. Thomas Unnerstall ein. Seine Betrachtung stellt er unter die Überschrift: Was kostet die Energiewende bis 2030?

Foto: Michael Setzpfandt

Umfassende Studien zur Energiewende wie: BDI-Studie „Klimapfade für Deutschland“, DENA-Studie „Integrierte Energiewende“ und andere haben methodisch überzeugend dargelegt, dass das zentrale Klimaziel der Bundesregierung für 2030 – -55 % CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 – realistisch erreichbar ist.

Die genannten Studien haben auch die Kosten abgeschätzt, allerdings auf einer Zahlenbasis aus den Jahren 2015/2016. Deutlich sinkende Kosten für die Kerntechnologien der Energiewende – PV- und Windanlagen, Elektroautos, Speicher, synthetische Brennstoffe – lassen die Studien daher in diesem Punkt als veraltet erscheinen. Daraus ergibt sich die Frage, welche Entwicklung der Energiekosten aus aktueller Sicht durch die Energiewende bis 2030 zu erwarten ist.

Entwicklung der „Energiesystemkosten“

Betrachten wir zunächst die zurückliegende Entwicklung dieser „Energiesystemkosten“ - d. h. der gesamten Energieausgaben der Energieverbraucher (private Haushalte, Unternehmen, öffentliche Hand, etc.) - in den letzten knapp 30 Jahren. Trotz Energiewende liegen diese Kosten heute mit rund 200 Mrd. Euro pro Jahr im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht höher als in den 1990er Jahren. Wie aber stehen die Chancen, dass dies auch im Zuge der weiteren Energiewende so bleibt, d. h. dass die Relation Energiesystemkosten/ BIP auch 2030 im bisherigen Korridor von 6-8 % liegt?

Schauen wir dazu die drei Hauptbereiche des Energiesystems - Strom, Straßenverkehr und Wärme - zunächst getrennt an. In Anlehnung an die o.g. Studien legen wir zugrunde, dass das Klimaziel für 2030 im Energiesektor erreicht wird. Alle folgenden Zahlen sind inflationsbereinigt zu verstehen (Preise von 2019); es werden 6 % Verzinsung für Investitionen im Energiesystem veranschlagt. Schließlich ist vorausgesetzt, dass a) die Weltmarktpreise für die fossilen Energieträger in 2030 in etwa den heutigen Preisen entsprechen (sollten sie steigen, würden die Mehrkosten durch die Energiewende natürlich geringer ausfallen als nachfolgend dargestellt); und dass b) der Gesamtumfang der Steuern/Abgaben auf Energie (inkl. möglicher CO2-Steuern) in 2030 ungefähr dem 2018-Wert von ca. 55 Mrd. Euro entspricht.

Stromsystem

Das Stromsystem kostete die deutschen Stromverbraucher 2018 etwa 75 Mrd. Euro. Legt man die heute absehbaren bzw. geplanten Entwicklungen bis 2030 zugrunde – Reduzierung der Kohleverstromung um ca. 50 % (lt. Kohlekommission), Ausbau der erneuerbaren Energien (EE) auf 65 %, Netzausbau lt. aktuellen Planungen der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) –, lässt sich die Kostenentwicklung wie folgt abschätzen: EE-Ausbau: Aufgrund des drastisch gesunkenen Kostenniveaus der EE und da bis 2030 die besonders hoch subventionierten Anlagen der ersten Energiewende-Phase aus der EEGFörderung fallen, werden die reinen Stromkosten - d. h. Großhandelspreise + EEG-Umlage - im Jahr 2030 nicht höher sein als heute (EEG-Rechner von AGORA). Kohle-Ausstieg: Die zusätzlichen Auswirkungen des Kohleausstiegs auf die Großhandelspreise werden von der Kohlekommission mit max. 2 Mrd. Euro/a angegeben; im Gegenzug sinkt dadurch jedoch die EEG-Umlage, so dass der Nettoeffekt deutlich unter 1 Mrd. Euro/a beträgt. Hinzu kommen die Entschädigungszahlung für die Kraftwerksbetreiber und die Mehrkosten für den zusätzlichen Neubau von Gaskraftwerken, die zusammen mit 1 - 2 Mrd. Euro/a abgeschätzt werden können. Netzausbau: Der Ausbau des Übertragungsnetzes bis 2030 wird nach den im Januar 2019 von den ÜNB vorgelegten Schätzungen 60 - 70 Mrd. Euro an Investitionen erfordern. Hinzu kommen notwendige Investitionen in die Verteilnetze, die nach den Studien der letzten Jahre (BMWi, DENA) mit 20 - 30 Mrd. Euro abgeschätzt werden. Nimmt man beides annualisiert (6 %, 40 Jahre) zusammen, werden die Netzentgelte in 2030 etwa 5 - 6 Mrd. Euro höher liegen als heute.

In der Gesamtbetrachtung dürfte das Stromsystem im Jahr 2030 also 7 - 8 Mrd. Euro oder rund 10 % mehr kosten als heute. Gedanklich hinzunehmen könnte man noch die 2 - 3 Mrd. Euro/Jahr aus Steuermitteln, die für die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen an Strukturhilfen vorgesehen sind – obwohl diese Mittel in ihrer Wirkung natürlich weit über den Energiesektor hinausgehen werden.

Straßenverkehr

Die Energieausgaben im Straßenverkehr für Benzin und Diesel lagen 2018 bei ca. 75 Mrd. Euro. Allein etwa 50 % dieser Kosten davon entfallen auf Steuern, weitere gut 35 % auf die Mineralölimporte. Nach den aktuellsten Prognosen ist eine Entwicklung durchaus realistisch, in der - Batteriegetriebene E-Autos spätestens ab 2025 nicht teuer sein werden als herkömmliche PKW, - die E-Autos bis 2030 einen Anteil von ca. 20 - 25 % an der Pkw-Flotte haben werden; diese rund 10 Mio. E-Autos werden dann 20 - 30 TWh Strom verbrauchen und - die nötige Lade-Infrastruktur bis dahin Investitionen von 30 - 40 Mrd. Euro erfordert.

Die Systemkosten des Straßenverkehrs im o. g. Sinn werden bei dieser „Verkehrswende“ im Jahr 2030 jedoch nur wenig höher liegen als heute, denn die Lade-Infrastrukturkosten betragen annualisiert (6 %, 20 a) ca. 3 Mrd. Euro/a; die Mineralölimporte werden um etwa 4 Mrd. Euro/a zurückgehen und die zusätzlichen Stromkosten im System betragen maximal 2 Mrd. Euro/a.

Wärmesystem

Die Kosten für Wärmeenergie - d. h. in erster Linie Raumwärme-Kosten für die Gebäude und Prozesswärme-Kosten für die Industrie – lagen 2018 in einer Größenordnung von 50 Mrd. Euro. Davon entfallen etwa 20 Mrd. Euro auf die Importe von Öl, Erdgas und Kohle, weitere 30 Mrd. Euro für Erdgas- und Fernwärmenetze, Raffinerien, Handel, Steuern.

Im Zuge einer erfolgreichen Energiewende im Gebäudesektor – v. a.: 3 Mio. zusätzliche Wärmepumpen in 2030, energetische Sanierung mit der gleichen Rate wie in den letzten Jahrzehnten – wird der Einsatz fossiler Energieträger und damit die Import-Rechnung im Wärmesystem bis 2030 um 10 - 15 % sinken. Andererseits sind hierfür zusätzliche Investitionen von etwa 30 Mrd. Euro in Wärmepumpen erforderlich, die mit Kapitalkosten von gut 2 Mrd. Euro in 2030 zu Buche schlagen. Im Industriebereich gibt es lt. BDIStudie in der hier unterstellten Referenzentwicklung kaum Mehrkosten. Zusammengefasst ist zu erwarten, dass die Kosten des Wärmesystems in 2030 in einer ähnlichen Größenordnung liegen wie heute.

Fazit

Mit einiger Sicherheit ist davon auszugehen, dass die Energiesystemkosten – inkl. der Kapitalkosten für die in den einzelnen Bereichen erforderlichen Investitionen – in 2030 auch unter den eingangs genannten Voraussetzungen nicht mehr als rund 10 Mrd.Euro über den heutigen jährlichen Kosten von 200 Mrd.Euro liegen werden. Dies entspricht einer Steigerung von etwa 5 %. Anzunehmen ist, dass das BIP in diesem Zeitraum durchschnittlich um mindestens 0,5 %/Jahr real wachsen wird, d.h. insgesamt um mindestens 5 %.

Die Relation Energieausgaben/BIP wird demnach nicht steigen, auf jeden Fall aber im Korridor von 6 - 8 % bleiben. Damit erscheint die nicht selten geäußerte Befürchtung einer „Kostenexplosion“ bei den Energieausgaben für Haushalte und Unternehmen durch die Energiewende unbegründet.

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