Nachricht
Warum die Mineralölwirtschaft auf Wasserstoff setzt
Grüner Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft und ein Hoffnungsträger der Energiewende. Die Idee: Strom aus Erneuerbaren Energien wird in Wasserstoff umgewandelt und als CO₂-freier Energieträger in der Industrie und anderen Sektoren genutzt. Daher können die Erzeugung von grünem Wasserstoff und der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur bedeutende Schritte auf dem Weg zur Erreichung der Klimaziele sein. Die Mineralölwirtschaft befindet sich seit längerem auf dem Weg in die Wasserstoffzukunft, wie Wolfgang Langhoff, Vorstandsvorsitzender BP Europa SE in seinem Gastbeitrag aufzeigt.
„Auch CO2-intensive Industrien wie beispielsweise Stahl und Chemie können ihre CO2- Emissionen drastisch reduzieren, wenn sie mit und durch grünen Wasserstoff ihre für die Menschen wichtigen Produkte herstellen. Damit eröffnet sich eine Perspektive, wie der Industriestandort Deutschland zu Klimaneutralität gebracht werden kann, ohne dass traditionelle Wirtschaftszweige aufgegeben werden müssen, die Deutschland seine ökonomische Leistungsfähigkeit verschafft haben. Das sorgt ganz nebenbei für Wachstum und sichert Beschäftigung.“ Wolfgang Langhoff
Die Corona-Krise stellt die Menschheit vor bislang weitestgehend neue Herausforderungen und viele spüren: Die Welt könnte an einer Wegscheide stehen, wenn Entscheidungen getroffen werden, die ein „weiter so wie bisher“ ausschließen. Zusätzlich könnten Entwicklungen beschleunigt werden, die schon vor dem Ausbruch der Pandemie begannen und jetzt durch die richtige Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rückenwind erhalten können. Dazu gehören die globale, europäische und nationale Energiewende.
Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energiehunger
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts sind die erneuerbaren Energien auf dem Vormarsch; sie haben seit Jahren die höchsten Wachstumsraten unter allen Energieträgern. Zugleich ist eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energiehunger eingetreten. Bis 2040 wird eine Verdopplung der globalen Wirtschaftsleistung erwartet, aber nur ein Zuwachs des weltweiten Energiebedarfs um gut 30 Prozent. Die CO2-Emissionen steigen noch langsamer, im selben Zeitraum um etwa 10 Prozent.
Dies bleibt jedoch eine schlechte Nachricht, denn der globale CO2-Ausstoß muss drastisch sinken, wenn entsprechend dem Pariser Klima-Abkommen ein Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf zwei Grad Celsius seit Mitte des 19. Jahrhunderts begrenzt werden soll. Die Zunahme der erneuerbaren Energien allein wird dafür nicht genügen. Es braucht zusätzliche Technologien, um die Hebelkraft erneuerbarer Energien für den Klimaschutz zu stärken.
Mineralölindustrie setzt auf Wasserstoff
Wasserstoff rückt dabei immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Er könnte sogar zur Schlüsseltechnologie der zukünftigen Energieversorgung werden. Die Energie von morgen wird langfristig klimaneutral sein; erneuerbare Energien werden im 21. Jahrhundert die Rolle einnehmen,
die im 19. und 20. Jahrhundert Kohle und Öl gespielt haben. Die Ölindustrie hat das erkannt und den Klimaschutz zu einem zentralen Eckstein ihrer Strategie für die Zukunft gemacht. Wasserstoff in klimaneutraler Form kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, also vor allem als sogenannter grüner Wasserstoff, der aus Elektrolyse- Anlagen gewonnen wird, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden.
Man hat sich jedoch bislang zu wenig mit der Frage beschäftigt, wie die grüne Energie flächendeckend über die Stromversorgung hinaus genutzt werden kann. Elektrizität ist und bleibt leitungsgebunden, unabhängig davon, ob sie mit Kohle, Windkraft oder Photovoltaik erzeugt wird. Aber wie können erneuerbare Energien vergleichbaren Erfolg wie in der Stromproduktion in Industrie, Mobilität und Gebäudewärme haben? Die Antwort darauf ist: Wasserstoff.
Kohle und Öl hätten ohne Dampfmaschine, Verbrennungsmotor und Pipelines ihren weltweiten Siegeszug nicht antreten können. Erneuerbare Energien werden ihre Dominanz in allen Bereichen nur mit Hilfe von Wasserstoff erreichen. Das ist eine Erkenntnis, die sich erst seit wenigen Jahren auf breiter Front herausgebildet hat, aber inzwischen so gut wie Konsens ist.
Wasserstoff vs. Batterie-Elektromobilität
Auch für Mobilität und Gebäudewärme hat Wasserstoff das Potenzial, zu dem entscheidenden Medium zu werden, um beide Bereiche auf lange Sicht CO2-neutral zu machen. Allerdings ist diese Einschätzung umstritten. Denn die herrschende Meinung setzt in der Mobilität auf die Batterie- Elektromobilität und in der Gebäudetechnik vor allem auf Solarenergie und das Null-Emissions-Haus. Auf diese Weise würden sich die erneuerbaren Energien in Transport und Wärme ebenso durchsetzen. Warum sollte man sich dann noch mit der Option Wasserstoff beschäftigen?
Der große Vorteil der Batterie-Elektromobilität ist die direkte Nutzung der Elektrizität, so dass es keine Umwandlungsverluste wie bei fossilen oder auch biogenen Kraftstoffen gibt. Die noch bestehenden Nachteile der Batterietechnik wie unzureichende Lade-Infrastruktur, begrenzte Reichweite von batteriegetriebenen Elektro- Autos, großes Gewicht von Batterien und hohe Kosten werden sich mit Verbesserungen der Batterietechnik und dem Infrastruktur-Ausbau reduzieren oder vielleicht sogar beseitigen lassen. Eine Schattenseite der Batterie- Elektromobilität ist allerdings noch nicht in das allgemeine Bewusstsein eingedrungen. Sie ist wegen der Notwendigkeit des ständigen Batterie-Aufladens an die jederzeitige Nähe zu Stromleitungen gebunden.
Auf dem Weg zu synthetischen Kraftstoffen
In diesem sehr wichtigen Punkt hat synthetischer Kraftstoff auf der Basis grünen Wasserstoffs einen großen Vorteil. Wird grüner Wasserstoff zusammen mit CO2 aus industriellen Prozessen oder aus der Erdatmosphäre (carbon capture and usage = CCU) zu synthetischem Kraftstoff verarbeitet, kann dieser überall auf der Welt hergestellt und an beliebigen Orten eingesetzt werden. Da sonnenreiche Regionen global so viel Potenzial zur Erzeugung grünen Wasserstoffs bieten, fallen die energetischen Umwandlungsverluste bei der Herstellung synthetischer Kraftstoffe nicht ins Gewicht.
Die räumliche Trennung von Produktion und Nutzung synthetischer Kraftstoffe entpuppt sich als entscheidender Vorteil gegenüber der von der Nähe zu Stromleitungen abhängigen Batterie-Elektromobilität. Kritiker bemängeln, zur Herstellung von synthetischen Kraftstoffen in Deutschland sei noch weit mehr an grüner Elektrizitätserzeugung nötig als ohnehin schon geplant. Doch dieses Argument gegen die Nutzung von synthetischen Kraftstoffen im heimischen PKW-Verkehr greift mit Blick auf den internationalen Ansatz ins Leere. Denn der Weltmarkt mit seinen sonnenreichen Regionen bietet alle Möglichkeiten zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe, gerade und auch für den PKW-Verkehr.
Positiv für den Klimaschutz
Über Verwendungsmöglichkeiten von synthetischen Kraft- und Treibstoffen in anderen Bereichen der Mobilität als dem PKW-Verkehr herrscht weitgehende Einigkeit. Gerade in der Luftfahrt besteht großes Potenzial für synthetische Flugkraftstoffe. Flugzeuge werden vor allem auf mittleren und langen Distanzen noch für sehr lange Zeit mit Jet Fuel betrieben werden. Dieses fossile Kerosin durch synthetisches zu ersetzen, hat unstreitig positive Klimaschutz-Auswirkungen.
Jetzt hat sich die Bundesregierung mit ihrer neuen Nationalen Wasserstoffstrategie die Unterstützung für syn- thetisches Jet Fuel auf die Fahnen geschrieben. Auch für den LKW-Verkehr scheint sich eine solche Öffnung anzubahnen. Denn Batterien sind für den Elektro-Antrieb von LKW zu schwer, so dass für deren CO2-freien Betrieb nur die Optionen synthetischer Kraftstoff oder Brennstoffzelle bleiben. Für beides braucht man jedoch grünen Wasserstoff. Nicht zuletzt deswegen will die Bundesregierung bis 2030 mit ihrer Nationalen Wasserstoffstrategie zusätzliche Elektrolyse-Kapazitäten zur Erzeugung grünen Wasserstoffs in Deutschland im Umfang von fünf Gigawatt (GW) schaffen (vielleicht auch bis zu 10 GW, die Entscheidung des Bundeskabinetts bleibt abzuwarten). Nur sollte man nicht bei Luft- und LKW-Verkehr stehen bleiben, sondern auch den PKW-Verkehr mit einbeziehen.
Synthetische Kraftstoffe für den PKW-Markt der Zukunft
Dafür sprechen nicht nur die technologischen Gründe, sondern die Prognosen über die Entwicklung des PKWMarktes bis zum Jahr 2030. Gegenwärtig verfügt Deutschland über einen PKW-Bestand von 46 Millionen Fahrzeugen. Obwohl gerade engagierte Klimaschützer hoffen und daran arbeiten, diese Summe um die Hälfte oder mehr zu reduzieren, ist es weitaus wahrscheinlicher, dass auch in zehn Jahren noch weit mehr als 40 Millionen PKW’s auf unseren Straßen unterwegs sein werden. Wenn selbst nach den positivsten Szenarien von Bundesregierung und Autoindustrie in 2030 bis zu zwölf Millionen Elektrofahrzeuge in Verkehr gebracht worden sind, bleiben immer noch etwa 30 Millionen oder mehr Autos, die zumindest teilweise mit einem Benzin- oder Dieselmotor betrieben werden.
Flüssige Kraftstoffe werden also auch noch in einem Jahrzehnt unentbehrlich sein. Darüber ist sich sogar die Interessensgruppen übergreifende Nationale Plattform Mobilität der Bundesregierung einig. Flüssige Kraftstoffe müssen deshalb ihren CO2-Fußabdruck reduzieren. Dafür kommen mehrere Technologien in Betracht: Die synthetischen Kraftstoffe, aber auch klimaeffiziente Biofuels und die Verwendung von grünem Wasserstoff in den Raffinerien zur Herstellung von Benzin und Diesel. Auf keine dieser Optionen kann verzichtet werden. Sonst wird
Gebäudewärme nicht vergessen
Bleibt die Gebäudewärme. Hier geht es vor allem darum, eine zusätzliche Option parat zu haben, in Häusern, die wegen ihrer Lage oder fehlenden Anbindung an leitungsgebundene Energien weiter auf eine Ölheizung angewiesen sind, Klimaschutz mit synthetischen Brennstoffen voran zu bringen. Dies wäre ein weiteres Feld für grünen Wasserstoff als Medium, um den erneuerbaren Energien auch im Gebäudesektor über ihre direkte Nutzung hinaus zusätzliche Verbreitung zu verschaffen. Grüner Wasserstoff zeigt auch hier seine große Bedeutung für die Nutzungvon erneuerbaren Energien über die Stromerzeugung hinaus. Eine insgesamt gewaltige Herausforderung – auch ohne Corona-Krise.
Weitere Informationen unter: www.bp.de