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20.04.2021 08:49 Alter: 4 yrs

Vom Konglomerat zum Rückgrat der Energiewende

Eintritt in den Konzern 1989, seit 2004 Mitglied des Konzernvorstands und seit über 10 Jahren Vorstandsvorsitzender. Dr. Johannes Teyssen hat für E.ON die Weichen in die Zukunft gestellt und reflektierte dies auch in mehreren Beiträgen in unserem Magazin. Anlässlich des Wechsels an der Konzernspitze im April hatten wir nochmals Gelegenheit, mit ihm einen Blick auf seine Zeit als Vorstandsvorsitzender zu werfen.


Dr. Johannes Teyssen, Vorstandsvorsitzender, E.ON SE Foto: MartinLeclaire

„Es gibt nicht die Wirtschaft hier und die Menschen dort. Genauso wenig wie es den Staat hier und uns Bürger dort gibt. Wir alle gemeinsam sind Wirtschaft und Staat, gemeinsam können und müssen wir Lösungen finden und sie selbst umsetzen. Es geht um eine stabile Wertschöpfung, die bei den Menschen ankommt.“

Dr. Johannes Teyssen

Herr Dr. Teyssen, Sie sind mit Ende März aus Ihrem Amt ausgeschieden. Wie ist Ihr Blick auf 20 Jahre E.ON?

E.ON hat sich in diesen 20 Jahren nahezu vollständig verändert. Aus einem Unternehmen, das sich vorrangig auf die Energieproduktion in Kraftwerken bis hin zur Öl- und Gasexploration auf hoher See und in Sibirien konzentrierte, hin zu einem kundenfokussierten Unternehmen mit stark wachsenden Infrastrukturgeschäften und modernen Kundenlösungen für eine gelingende Energiewende. Geblieben ist aber unsere starke Unternehmenskultur, die es uns erlaubt hat, uns trotz diverser Rückschläge und Umbrüche immer wieder neu zu erfinden. Natürlich haben wir Fehler auf dem Weg gemacht, uns in der ersten Dekade zu zögerlich und nicht radikal genug bewegt und so auch Kraft und Kapital verloren.

In der zweiten Dekade haben wir dann aber unser Unternehmen schrittweise konsequent auf die Herausforderungen und Chancen ausgerichtet: Erst der beschleunigte Aufbau der Renewable-Geschäfte hin zur globalen Nummer 2 bei Offshore Wind und dem Verkauf der stark emissionsbelasteten und nicht zu uns passenden Öl- und Gasfördergeschäfte. Dann die Abspaltung des konventionellen Kraftwerks- und Commodity-Handelsgeschäfts auf die sich gut entwickelnde Uniper. Und schließlich das Tauschgeschäft mit RWE, durch das zwei starke europäische Player mit unterschiedlichem Portfolio und Anspruch entstanden. Heute ist der Umbau abgeschlossen und die Zeit reif für eine neue strategische Phase. Ich habe großes Vertrauen, dass mein Nachfolger Leo Birnbaum und sein neues Team sie mit großem Elan erfolgreich vorantreiben werden.

Welche Eckpunkte bestimmten die Entwicklung in den 20 Jahren?

Auch hier hilft der Blick auf die sehr unterschiedlichen beiden Dekaden. In den ersten 10 Jahren stand das Wachstum durch internationale Akquisitionen im Fokus. Ich erinnere an die Übernahmen der Ruhrgas, der britisch-amerikanischen Powergen, der schwedischen Sydkraft, der südeuropäischen Geschäfte von Endesa und der russischen Kraftwerksaktivitäten. Dies wurde unter anderem finanziert durch den starken Rückenwind anfänglich frei zugeteilter Emissionszertifikate bei gleichzeitig schnell steigenden Börsenpreisen für Strom.

Nach der Lehman-Pleite und dem sich schnell beschleunigenden Siegeszug der Erneuerbaren wie auch dem überraschenden neuen Kernenergieausstieg nach Fukushima stand zu Beginn der zweiten Dekade zuerst die Bilanzsanierung und Effizienzsteigerung im Vordergrund. Die Befreiung aus dem negativen Umfeld gelang dann durch den bereits genannten radikalen Umbau des Konzerns in Richtung kundennaher Zukunftsgeschäfte mit starken Wachstumschancen.

Ein besonderes Kapitel war in dieser Dekade natürlich das aufregende Hin und Her um die Kernenergie. Es war verbunden mit zahlreichen politischen Volten und ebenso vielen Prozessen, bis hin zum Bundesverfassungsgericht und einem internationalen Schiedsgericht in Washington. Aus heutiger Sicht könnte ich sagen: Viel Lärm bis endlich vernünftige Kompromisse erreicht wurden. Ich bin froh und stolz, dass wir heute bei E.ON wirtschaftlich wieder voll zurück sind beim berühmten Kernenergiekonsens mit der Schröder/Trittin-Regierung aus 2001. E.ON kann ohne Steuerbelastungen oder Sonderzahlungen die 32-jährigen Produktionsmengen all seiner Kraftwerke in eigenen Anlagen bis Ende 2022 realisieren. Darüber hinaus wurde erneut unter anderem durch Jürgen Trittin vermittelt eine neue faire Arbeitsteilung zwischen Unternehmen und Politik vereinbart und umgesetzt. Der Rückbau ist dabei in industrieller Hand, Zwischen- und Endlagerung in staatlicher Verantwortung.

Es gab also wirklich immer aufregende Themen. Am Ende konnte aber bei vielen schwierigen Problemen dieser Jahre der gordische Knoten zerschlagen und unsere E.ON gut und sicher neu aufgestellt werden.

Zum Jubiläum erschien auch das Buch „Changing Energy - wie sich der E.ON-Konzern neu erfindet“. Welche Aussage ist für Sie besonders interessant?

„Interessant“ muss ich etwas relativieren, weil ich ja viele der Ereignisse aus nächster Nähe erlebt habe und in der Geschichte der E.ON auch vorher schon halbwegs sattelfest war. Sonst wäre ich als CEO auch fehl am Platze gewesen. Wirklich gelungen fand ich aber die Art und Weise, wie das Autoren Team seine externe Sicht zu einer lebhaften und alles andere als trockenen Lektüre verdichtet hat. Die Publikation ist ja keine klassische Chronik oder historisch-wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine von Zeitzeugen geprägte Erinnerung und lebendige Darstellung der Entwicklung der Energiewirtschaft. Angefangen bei der nationalen Monopolwirtschaft der 90er Jahre bis hin zu den Treibern und Gestaltern einer neuen nachhaltigen und wettbewerbsintensiven Energiewirtschaft am Beispiel des E.ON-Konzerns. Klug war es, dass die Autoren die Entwicklungen mit Abstand auf die nachhaltigen Trends und Entwicklungsschübe untersucht haben und sich nicht in langweiligen chronologischen Beschreibungen von Details verloren haben. Interessant war schließlich für mich vor allem die Sichtweise vieler meiner Mitstreiter aus dem eigenen Konzern wie aus der Öffentlichkeit. Jetzt nach meinem Ausscheiden bei E.ON wird dieses „Stück Erinnerung“ für mich mit jedem Tag spannender.

Auf der Handelsblatt Jahrestagung Energie 2017 haben Sie gefordert, Energie neu zu denken. Hat sich hier etwas bewegt?

Absolut. Ich erinnere mich noch an ein Interview mit Ihrem Magazin zu dieser Zeit, als ich sinngemäß sagte: „Die Energiezukunft wird nicht mehr in Parteizentralen, Ministerien oder Behörden gemacht. Sie wird auch nicht in Unternehmenszentralen gemacht. Sie wird vom Kunden gemacht, und sie muss vom Kunden gedacht werden.“ Ich füge hinzu, dass der wichtigste zusätzliche Erfolgsfaktor die positive und schnelle Entwicklung neuer technologischer Möglichkeiten geworden ist. Denken Sie nur an die überraschenden Innovations- und Kostensprünge bei Renewables und Batterien oder an die neuen Chancen bei grünem Wasserstoff. Das Ziel einer vollständigen Dekarbonisierung der Volkswirtschaften ist heute nicht nur Mainstream, sondern wird auch von den Investoren getrieben. Auch bei uns in Deutschland sind endlich erste Schritte für eine nachhaltige Ausrichtung aller Systeme auf dieses Ziel umgesetzt. Schrittweise soll nicht mehr saubere Energie, sondern richtigerweise schmutziges CO2 bepreist werden. Es wird auch zunehmend verstanden, dass sich der Erfolg und das Tempo in den Infrastrukturen, besonders in regionalen und örtlichen Energienetzen entscheidet, wie auch in den kommunalen Wärme- und Kältenetzen und den immer wichtiger werdenden privaten Arealnetzen für Gewerbeparks und neue Wohnquartiere. Hier kommen das neue Angebot von Renewables und die wachsende Nachfrage durch die Elektromobilität, Wärmepumpen und die Elektrifizierung von Industrie und Gewerbe zusammen. Für all dies steht E.ON, es gibt kein spannenderes Thema für die nächsten Dekaden.

Welche Rolle wird die Digitalisierung in diesem Prozess übernehmen?

Das Energiesystem der Zukunft ist viel aufregender als das konventionelle System der Vergangenheit. Abermillionen von einspeisenden und verbrauchenden Geräten sowie sich stetig wandelnde Bedürfnisse der Kunden prallen hier im Millisekundenbereich auf die Möglichkeiten und Grenzen der Infrastrukturen. Ohne die Digitalisierung ließe sich ein solches System überhaupt nicht aussteuern. Künftig werden Maschinen die Signale von Maschinen wie auch die Signale der Menschen lesen. Und Algorithmen werden die Datenflüsse steuern – optimiert auf Basis künstlicher Intelligenz. Es braucht aber Menschen und Unternehmen, um die Gesamtsignale und Trends zu interpretieren. Sie müssen „Ermöglicher“ sein, die Infrastrukturen stetig weiterentwickeln und den Kunden die am besten geeigneten Lösungen anbieten. Die konsequente und vollständige Digitalisierung des Systems und der Unternehmen ist also die Pflichtaufgabe der Energiewirtschaft. Deswegen treiben wir bei E.ON mit starken Partnern aus der IT- und Digitalwirtschaft das Thema voran. Auch hier sehe ich fast unendliche Chancen.

Eine Ihrer Kernbotschaften ist, Klimaschutz verlangt Vernunft. Kommen wir hier voran?

Ist es vernünftig, in immer weiteren Abstimmungsschleifen immer kleinteiligere Klimaziele auszurufen und für jeden Anwendungsfall und jede Technologie eigene Gesetze und Regeln zu beschließen? Die Energiewende ist so vielfältig und komplex, dass der Versuch politisch alles „richtig“ zu machen scheitern muss. Daher ist es viel vernünftiger, den Weg zu ebnen und die Innovationskräfte des Marktes anzuzapfen. Die Energiewende ist doch längst keine moralische Frage mehr. Es ist eine Umsetzungsfrage. Das Tempo dieser Umsetzung wird aber am Ende nicht durch Öko- Pioniere entschieden, sondern durch die breite Masse der Energieverbraucher. Wenn selbst Klimawandelleugner mit Grünstrom tanken, weil es günstiger ist, dann sind wir auf einem guten Weg. Da sind wir noch nicht. Aber die Bundesregierung hat erkannt, dass sie der unverhältnismäßigen Belastung von Strom durch Abgaben und Umlagen ein Ende bereiten muss. Dann kann grüner Strom fossile Energieträger wie Benzin und Schweröle verdrängen. Nicht durch Verordnungen oder Verbote, sondern durch die Kraft von Angebot und Nachfrage. Das wäre vernünftig.

Um die ambitionierten Klimaziele im Energiesektor zu erreichen, müssen Umlagen und Abgaben grundlegend reformiert werden. Die EEG-Umlage muss komplett gestrichen und über eine umfassende, steuerbasierte Lösung ersetzt werden.

Sieben Windräder, drei Projektpartner, eine Wasserstoffproduktion

Blick auf das Areal der Salzgitter AG mit der ersten industriellen Sektorkopplung in Deutschland an einem Standort. Foto: E.ON

Zusammen mit der Salzgitter AG und Linde zeigt E.ON, wie Sektorkopplung funktioniert: Herausragend bei diesem in Deutschland einzigartigen Projekt „Windwasserstoff Salzgitter – WindH2“ sind nicht nur die sieben 170 m hohen Windräder, denn auf dem Gelände des Hüttenwerks in Salzgitter wird künftig grüner Wasserstoff erzeugt, um damit die CO2- Emissionen in der Stahlherstellung bis zum Jahr 2050 um etwa 95 Prozent zu verringern.

Welche Botschaften geben Sie für die weitere Diskussion zur Energiewende und den Dialog mit der Politik?

Genau diese: Weniger Grundsatzdebatten und volle Kraft auf die Umsetzung. Saubere Energie günstig machen, dreckige Energie teuer. Dazu noch Bürokratiestau und Regulierungswust entschlacken, auf Technologieoffenheit und marktwirtschaftliche Lösungen setzen – dann erreichen wir unsere Klimaziele.

Herr Dr. Teyssen, wir wünschen Ihnen nach Ihrer Verabschiedung bei E.ON alles Gute für Ihre Zukunft!

Vielen Dank! Ich werde jetzt sicher den notwendigen Abstand zur Branche suchen, um den Kopf frei zu bekommen für neue spannende Themen. Sicher ist, dass ich dabei „meinem Unternehmen“ immer emotional verbunden bleibe, aber genauso sicher nicht als Aufsichtsratsvorsitzender zurückkommen werde.

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