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Verteilnetzbetreiber in der Komplexitätsfalle
Die deutschen Verteilnetzbetreiber, in deren Netzen die praktische Umsetzung der Energiewende erfolgt, sehen sich immer komplexeren gesetzlichen Anforderungen gegenüber. Durch einzelne fachgesetzliche und behördliche Vorgaben werden immer weitere Detailbereiche ausführlich geregelt. Es fehlt allerdings an einer schlüssigen Gesamtkonzeption und Rollenverteilung zwischen Übertragungs-, Regional- und Verteilnetzbetreibern. Rechtsanwalt Dr. Jost Eder von Becker Büttner Held Berlin hält eine Akzeptanz und Definition der zukünftigen Rolle der Verteilnetzbetreiber als Grundlage für alle gesetzlichen Neuerungen für dringend erforderlich.
Unverkennbar haben sich die Paradigmen, an denen der europäische und der deutsche Gesetzgeber ihre Ziele ausrichten, seit der Liberalisierung der Energiemärkte grundlegend verändert. Die „zweite Energiestrategie“ der EU-Kommission mit den Energie- und Klimapaketen wird in Deutschland durch die sog. „Energiewende“ flankiert. Dabei kommt den Verteilnetzbetreibern eine zentrale Rolle zu: In ihren Netzen findet die Energiewende in der Praxis statt.
Stromverteilnetzbetreiber stehen vor einer Fülle von aktuellen Herausforderungen. Diese ergeben sich aus einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Bereiche: Zu beobachten ist eine steigende Komplexität der Marktprozesse durch eine Zunahme der Marktakteure. Die Abwicklung der an den Strompreis gekoppelten Umlagen (wie z. B. die Erweiterung der EEG-Umlage auf Eigenversorger) führt ebenso zu mehr Aufwand, wie die neuen Vorgaben für sogenannte „Kritische Infrastrukturen“, die IT-Sicherheit oder den Roll-Out intelligenter Messsysteme nach dem Messstellenbetriebsgesetz. Flankiert werden diese neuen Aufgaben durch einen fortgesetzten Druck auf die Erlöse im Verteilnetz durch die Anreizregulierung. Allerdings sollen die Verteilnetze zu sog. „Smart Grids“ umgebaut werden. Diese sollen zukünftig in der Lage sein, Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz und Lastvermeidung umzusetzen, die Anforderungen der Elektromobilität erfüllen, virtuelle Kraftwerke ermöglichen und auch die übrigen Systemelemente (erneuerbare Energien, Speicher, dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung und konventionelle Kraftwerke) sachgerecht einzubinden. Die Definition des Verteilnetzbetreibers im EnWG erschöpft sich dabei im Wesentlichen darin, dass ein Verteilnetz beschrieben wird als „ein Netz, das überwiegend der Belieferung von Letztverbrauchern über örtliche Leitungen (…) dient“.
Der Gesetzgeber handelt – meistens gegen die Verteilnetzbetreiber.
Analysiert man die Aktivitäten des Gesetzgebers im Hinblick auf die Rolle der Verteilnetzbetreiber, so wird deutlich, dass wir noch weit von einer aktiven Definition und Akzeptanz der Rolle der Verteilnetzbetreiber in der Energiewende entfernt sind. Es finden sich zahlreiche Vorgaben, die die Rolle der Verteilnetzbetreiber weiter erschweren. Ein aktuelles Beispiel betrifft das „Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende“ mit seinem Kernstück, dem Messstellenbetriebsgesetz (MsbG). In diesem Gesetz versucht der Gesetzgeber verschiedene systematische Ideen zu vereinen. Zum einen soll es im Bereich des Messstellenbetriebs bei einem „Wettbewerbsmarkt“ bleiben (jeder Kunde soll sich seinen Messstellenbetreiber frei wählen dürfen). Zugleich wird aber, staatlich vorgegeben, der Roll-Out intelligenter Messtechnik verbindlich angeordnet. Zur Umsetzung dieses Pflicht-Roll-Outs (den der Gesetzgeber in einem Wettbewerbsmarkt offensichtlich nicht für möglich hält) wird der Stromverteilnetzbetreiber verpflichtet. Obwohl für diesen mit dem System der Anreizregulierung bereits ein etabliertes System vorhanden ist, das sicherstellt, dass nur „effiziente Kosten“ von den Netznutzern auszugleichen sind, gibt der Gesetzgeber im Messstellenbetriebsgesetz sog. „Preisobergrenzen“ vor, und schafft für den Bereich Messstellenbetrieb eine „eigene Regulierung“ – eigentlich eine eigene Planwirtschaft.
Neue aufwendige Prozesse bei der Abrechnung
Das Entgelt für den „intelligenten Messstellenbetrieb“ muss der Verteilnetzbetreiber nach der Konzeption des MsbG direkt beim Kunden abrechnen (und nicht wie bisher beim Netznutzer, im Regelfall also dem Lieferanten). Dadurch entstehen erhebliche Aufwendungen und neue Prozesse – und am Ende wird dem Kunden auch jemand erklären müssen, warum er nun eine zusätzliche Rechnung für den Messstellenbetrieb erhält.
Zusätzlich haben die Übertragungsnetzbetreiber durchgesetzt, dass sie im Rahmen der Energiemengenbilanzierung beim Einbau intelligenter Messtechnik nach dem Messstellenbetriebsgesetz die Bilanzierungsaufgaben der Verteilnetzbetreiber in weiten Teilen selbst übernehmen. Begründet wird dies mit einer angeblich höheren Effizienz und Datenqualität. Übersehen wird dabei, dass die Übertragungsnetzbetreiber dann zukünftig nicht nur aggregierte Mengen pro Bilanzkreis, sondern tatsächlich auch die einzelne Kunden- Lieferanten-Beziehung (und auch Lieferantenwechselprozesse) verwalten müssen. Es entstehen teure und aufwendige „Parallelwelten“, die am Ende ebenfalls die Stromkunden werden bezahlen müssen.
IT-Sicherheit – Inkonsistenz auch bei behördlichen Vorgaben
Die verbindlichen Vorgaben für Verteilnetzbetreiber im Bereich der sog. „Kritischen Infrastrukturen“, also für die IT-Sicherheit, sind vom Gesetz- und Verordnungsgeber mit der „BSI-Kritis“-Verordnung für alle Medien, auch für Strom- und Gasnetze mit Schwellenwerten versehen worden (ab denen die neuen Vorgaben greifen). Für Stromnetze gilt die Verordnung ab einer entnommenen Arbeit von 3.700 GWh/a, für Gasnetze ab einer entnommenen Arbeit von 5.190 GWh/a. Allerdings hat die Bundesnetzagentur für Strom- und Gasnetzbetreiber einen sog. „ITSicherheitskatalog“ aufgestellt, der grundsätzlich keine Schwellenwerte vorsieht und damit die Vorgaben des Gesetz- und Verordnungsgebers wieder aushebelt. Eine sachliche Begründung dafür ist nicht in Sicht.
Klare Entwicklungstendenzen
Eigentlich ist allen beteiligten Entscheidungsträgern klar, dass es zukünftig auf die Verteilnetzbetreiber vermehrt ankommen wird. Diese sind häufig sogenannte „Kombinationsnetzbetreiber“ und können die viel beschworene Sektorenkopplung am besten umsetzen (als Beispiel seien nur Verbundwarten für Wärme, Strom, Gas und Wasser genannt). Zugleich verschwimmen die Grenzen zwischen Marktakteuren, wie etwa Energieversorgungsunternehmen, der Wohnungswirtschaft, der Wärmeversorgung, der Verkehrsunternehmen und der Industrie. Führt man sich vor Augen, dass auch andere Marktakteure Inhalte und Produkte rund um die „Energiewende“ platzieren werden – Google hat zuletzt für 3,2 Mrd. Dollar den Thermostat- und Feuermelder-Hersteller „Nest Labs“ akquiriert – dann wird deutlich, dass die zukünftigen Auseinandersetzungen nicht zwischen Übertragungsnetzbetreiber und Verteilnetzbetreiber ausgetragen werden. Auch die Frage, wie viele Verteilnetzbetreiber erforderlich sind, wird keine zentrale Rolle mehr spielen. Stattdessen wird entscheidend sein, wie viel Anteil der Energiewende wir den klassischen Digitalisierungsunternehmen (wie beispielsweise Google und Amazon) künftig überlassen.
Was ist zu tun?
Der Gesetzgeber muss erkennen, dass eine Strukturpolitik durch die Hintertür einzelner fachgesetzlicher Regelungen zulasten der Verteilnetzbetreiber nicht zukunftsfähig ist.
Es ist zwingend erforderlich, die Rolle der Verteilnetzbetreiber im Rahmen der Energiewende zu akzeptieren und die überregionalen, regionalen und lokalen Aufgaben der Netzbetreiber klar zu definieren – und diese Definitionen auch als Leitmotiv für die Normsetzung heranzuziehen.