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< Ein Strommarkt für die Energiewende
05.08.2015 16:15 Alter: 9 yrs

Versorgungssicherheit europäisch denken

Im Zuge der Diskussionen um das Strommarktdesign der Zukunft und der Vision einer europäischen Energieunion hat der Weltenergierat – Deutschland eine Studie zur Integration der europäischen Strom- und Leistungsmärkte veröffentlicht. Die Studie belegt den Nutzen einer weiteren Integration des Stromsystems; die Voraussetzungen dafür sind europaweit aber noch nicht erfüllt.   Dr.-Ing. Leonhard Birnbaum, Vorsitzender der Europagruppe des Weltenergierates und Mitglied des Vorstandes E.ON SE zeigt in einem Gastbeitrag auf: Versorgungssicherheit europäisch denken lohnt sich!


Foto: E.ON

Wir erleben ein Europa der Energiewenden: die EU-Mitglieder unterziehen ihr Energiesystem einer gewaltigen Transformation – jeder auf seine Weise aber nicht unabhängig voneinander: Denn die Aktionen eines Landes beeinflussen immer auch die die restlichen Märkte in Europa. Die immense Transformation wird aber schwieriger, wenn die Vorteile nachbarschaftlicher Kooperation nicht genutzt werden. Dabei bringt ein kooperativer Ansatz nicht nur ökonomische Vorteile und sorgt für eine sichere Versorgung – am Ende kann auch nur eine auf Kooperation basierende Energiewende als Vorbild für andere Länder und Regionen dienen: Wer zeigt, dass er von anderen zu lernen und mit Nachbarn zusammenzuarbeiten versteht, wird als nachahmenswert empfunden. Heldenhafte Alleingänge sind eher was für Hollywood.

Die Energiewenden in Europa

Die EU hat durch ihre Ziele für 2020 und 2030 die Basis für eine Energiewende gelegt. Als Ergebnis sahen wir z. B. in Spanien einen starken Ausbau der Erneuerbaren, bis ökonomische Zwänge das Fördersystem für Erneuerbare zu einem Ende brachten. Wir sehen im Vereinigten Königreich einen starken Zubau CO2-freier Technologien – auch der Kernenergie. Frankreich setzt auf Erneuerbare, um damit den Anteil an Nuklearstrom zu senken. Die resultierenden Herausforderungen sind dabei in allen EU-Ländern die gleichen: Bezahlbarkeit, Integration von Erneuerbaren und Versorgungssicherheit.

Nationale Alleingänge nutzen die Chancen einer europäischen Zusammenarbeit nicht, obwohl die technischen Antworten in allen Fällen die gleichen sind. Angesichts der Energiewenden in den EU-Mitgliedsstaaten und damit verbundener Möglichkeit, sehr frühzeitig die Transformationen durch ein europäisches Regelwerk zu synchronisieren führt dies leider zu mehr Fragmentierung, statt einer gemeinsamen Lösung.

Sobald die europäischen Mitgliedsstaaten nicht nur ihre nationale Energiewende betrachten, sondern verstehen, dass alle Länder ihr Energiesystem umbauen, eröffnet sich so eine echte Chance durch ein zukunftsfähiges Konzept, das von Beginn an Europa mitdenkt. Damit kann die Transformation des Energiesystems bezahlbarer gemacht werden.

 

Technische Innovation als Treiber

Der Einfluss der Politik auf das Energiesystem eines Landes befindet sich ebenfalls in einer Transformation: Lag der Schwerpunkt in der Vergangenheit bei der Erzeugung, so liegt er in Zukunft stärker auf Transport & Verteilung und Versorgungssicherheit.

Die technischen Fortschritte bei dezentraler Erzeugung – sei es bei PV-Modulen oder BHKWs, sei es für Haushalte oder Industrieunternehmen – führen zu einer zunehmend fragmentierten Erzeugungslandschaft mit einer Zunahme von Eigenerzeugung. Konsequenterweise sinkt damit der politische Gestaltungsrahmen, weil Subventionen durch Innovationen als Treiber der Entwicklung abgelöst wurden.

Die zunehmend dezentrale Erzeugung führt zu einer drastischen Veränderung im System: Stabilität wird nicht mehr durch Zugriff auf wenige, zentrale Anlagen erreicht, sondern durch Zugriff auf Daten und Fahrweise vieler, dezentraler Anlagen. Innovationen im IT-Bereich – hier fallen dann zumeist die Schlagworte „Big Data“, „Smart Grid“ und „Prosumer“ – werden das neue Rückgrat des Energiesystems bilden: neben Stromkabeln werden Datenverbindungen wichtiger Bestandteil der Versorgungssicherheit.

 

Vorteile der europäischen Kooperation

„Versorgungssicherheit europäisch denken“ , heißt die Vorteile enger Kooperation zu nutzen, wie es die kürzlich erschienene Studie der Prognos AG im Auftrag von Weltenergierat – Deutschland eindrucksvoll nachweist: Unter der Voraussetzung eines Stromnetzes, das nicht mehr durch die jetzigen Netzengpässe eingeschränkt wird, wären in den sieben Ländern des Pentalateralen Forums (Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweiz) im Jahr 2030 zwischen 2 und 15 Gigawatt Leistung weniger nötig, im wahrscheinlichsten Fall zwischen 8 und 10 Gigawatt. Hierzu müssten in Europa Verbrauch und variierende Einspeisung durch Erneuerbare besser aufeinander abgestimmt werden – im Wesentlichen eine IT-Aufgabe. Im gesamten Untersuchungsraum von fünfzehn Ländern Europas wären es sogar zwischen 15 und 50 Gigawatt Leistung, im wahrscheinlichsten Fall zwischen 27 und 34 Gigawatt. Das Potenzial ist also groß - gehoben werden kann es aber nur mit Hilfe einer engeren Abstimmung zwischen den europäischen Nachbarn.

Ein weiteres Ergebnis der Studie ist eine genauere Berechnung der gesicherten Leistung von Windenergie. Während im Grünbuch des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie 7 % national bzw. 14 % EU-weit gesicherte Leistung aus Windenergie im Jahr 2020 aufgeführt wird, ergab die Studie, dass je nach Szenario nur von 1,3 % (Länder des Pentalateralen Forums) bis 4 % (gesamter Untersuchungsraum) gesicherter Leistung in 2030 ausgegangen werden kann.

Umso wichtiger wird, den Ausbau der Erneuerbaren besser mit dem hierfür notwendigen Netzausbau zu synchronisieren. Auch hier ist also eine bessere Abstimmung unerlässlich, um optimale Erträge durch den Ausbau der Windenergie erwirtschaften zu können. Entscheidend dafür ist die Entwicklung eines gemeinsamen Ansatzes der Leistungsbilanzierung.

 

Können Alleingänge Vorbildfunktion entfalten?

Eine Vorbildfunktion für andere Länder werden diejenigen EU-Mitglieder erreichen, die auch bereit sind aus den Erfahrungen anderer Länder zu lernen und mit den Nachbarn zu kooperieren. Ein überzeugendes Vorbild ist nicht, wer glaubt, nur die anderen müssten vom eigenen Beispiel lernen. Ein Vorbild in Bezug auf grenzüberschreitende Kooperation lernt von den Entwicklungen in den Nachbarländern und zielt ab auf eine gemeinsame und damit langfristig verträglichere Lösung.

Gerade für Europa gilt, dass hier kein Land eine Insel ist. Der Weltenergierat begrüßt daher die „Erklärung zur regionalen Kooperation“ im Strombereich, die von den Energieministern Deutschlands und seiner Nachbarstaaten im Rahmen des EU-Energieministerrates unterzeichnet wurde. Es ist ein erster Schritt auf dem Weg zur Vollendung des EU-Energiebinnenmarkts – viele weitere sind noch nötig.

www.weltenergierat.de