Nachricht
Vermiedene Netzentgelte: Nicht Äpfel mit Birnen verwechseln!
Das Bundeswirtschaftsministerium möchte die Netznutzungsentgelte absenken. Es schlägt u. a. vor, ab 2021 die Kompensationszahlungen an dezentrale Erneuerbare Energien-Anlagen für die geringere Netznutzung, die sogenannten Vermiedenen Netznutzungsentgelte (vNNE) abzuschaffen. Problem: Gemäß EU-Beihilferecht müsste diese Streichung dann auch für KWK-Anlagen gelten. Derzeit laufen Beratungen dazu in Brüssel. Die Hintergründe und was dies für Stadtwerke bedeuten würde, erklärt Dipl.-Betriebswirt Elmar Burgard, Geschäftsführer der Stadtwerke Gotha GmbH. Foto: Jacob Schröter
In unserem handelspunktorientierten Energiemarktsystem werden die Preis- und Entgeltzahlungsflüsse nach einem komplizierten System geregelt. Im heutigen transaktionsunabhängigen, börsenfähigen Bezahlmodell werden in einer Regelzone 1 die Erreichbarkeit eines Bilanzkreises vollständig von der vorhandenen Netzinfrastruktur getrennt. Der Strom wird unabhängig von der Einspeisenetzebene in Bilanzkreisen auf Übertragungsnetzebene bereitgestellt. Dies erfolgt, indem ein Verbraucher für die Entnahme von Energie Netznutzungsentgelte aller Netzebenen von der Entnahmeebene bis einschließlich des Höchstspannungsnetzes bezahlt. Er bezahlt damit den Transportweg der elektrischen Energie vom Handelspunkt zu seiner Abnahmestelle.
In den sich ergebenden Marktpreis fließen nun allerdings lediglich die jeweiligen Produktionskosten ab „Kraftwerkszaun“ ein. Aufgrund der geringeren Kraftwerksgrößen müssen dezentrale Erzeugungsanlagen direkt mit der durch Skaleneffekte preiswerteren Produktion in Großanlagen der Höchstspannungsebene konkurrieren, ohne dass die gegenläufigen Netzkostenunterschiede für die Abnehmer Relevanz haben. Da dieses Modell in der reinen Form allerdings dezentrale Erzeuger gegenüber Großkraftwerken benachteiligt hätte, hat man es modifiziert. So gibt es Kompensationszahlungen an dezentrale Kraftwerke in Form vermiedener Netznutzungsentgelte (vNNE), die den Netzkostenvorteil der dezentralen Erzeugung abbilden. Die Kompensationszahlung orientiert sich in ihrer Höhe an den Netznutzungsentgelten, die für den Transport von der Höchstspannungsebene zurück zu der dem Kraftwerk tatsächlich vorgelagerten Netzebene verrechnet würden. Hierdurch wird die hohe Leistungsverfügbarkeit der dezentralen Erzeugung zu Zeiten hoher Netzlasten – technisch-wirtschaftlich richtig – finanziell belohnt. Damit konnte im Rahmen des Handelspunktmodells durch die Einführung von Zahlung der vNNE der Vorteil dezentraler Kraftwerke durch lastnahe Erzeugung angemessen berücksichtigt werden. Soweit die Vorgeschichte. Die neuesten Vorschläge des Bundeswirtschaftsministeriums nun, die Zahlung der vNNE an die Anlagenbetreiber Erneuerbarer Energien Anlagen zu streichen, halten wir als Stadtwerke für sachgerecht und richtig. Insbesondere in Ostdeutschland, mit einer hohen Anzahl von Erneuerbare Energien-Anlagen, einem großen Netzausbaubedarf sowie vNNE in großem Umfang als Folge, würde dies regional für große Entlastung bei den EVU sorgen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der ausgeprägte Netzausbau in den neuen Bundesländern sorgt für hohe Netzentgelte, die deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegen. Bliebe alles beim Alten, droht in Ostdeutschland in den nächsten fünf bis acht Jahren im Vergleich zum Bundesdurchschnitt eine Verdopplung der Netzentgelte. Die von der EU geforderte gleichzeitige Abschaffung der Vergütung für vermiedene Netznutzungsentgelte bei KWK-Anlagen hingegen lehnen wir als fachlich völlig verfehlt ab.
Hierbei sind wir uns mit Branchenverbänden wie dem BDEW, dem AGFW und dem VKU einig. Eine Abschaffung der Vergütung für vermiedene Netznutzungsentgelte auch bei KWK-Anlagen würde z. B. für die Stadtwerke Gotha eine Reduzierung ihrer Einnahmen von über 600.000 Euro pro Jahr bedeuten und die Erzeugung der Fernwärme, die überwiegend auf Basis von umweltfreundlichen KWK-Anlagen basiert, in Frage stellen. Die Mindereinnahmen müssten vollständig die Kunden ausgleichen. Mittelfristig wird damit der Einsatz von KWK-Anlagen für den Bereich Fernwärme nicht mehr wirtschaftlich. Die damit einhergehende mögliche Absenkung der Netzentgelte für Stromkunden würde ungerechtfertigter Weise voll zu Lasten der Fernwärmekunden gehen. Damit würde es zu einer Wettbewerbsverzerrung kommen zu Lasten der umweltfreundlichen Fernwärmeversorgung. Unserer Ansicht nach sollten angesichts der stark ansteigenden dezentralen Energieerzeugung die vermiedenen Netzentgelte die Entlastung des vorgelagerten Netzes angemessen reflektieren und deshalb nur solchen Anlagen gewährt werden, die aus Netzbetreibersicht steuerbar einspeisen und somit das Netz entlasten. Entsprechend müssen die vermiedenen Netzentgelte für volatile Wind- und Photovoltaikeinspeisungen entfallen, die dem ursprünglichen Sinn der vermiedenen Netzentgelte nicht entsprechen. In den letzten Jahren ist erhebliche Erzeugungskapazität aus Basis volatiler und nicht steuerbarer Erneuerbarer Energien errichtet worden. Vorgelagerte Netzkosten werden durch den starken Ausbau von dezentralen volatilen Erneuerbaren Energien Anlagen daher nicht mehr grundsätzlich vermieden: Wind- und Photovoltaikanlagen speisen ihre Energieproduktion völlig nachfrageunabhängig ein. Die Netze müssen deshalb zum einen für den Transport dieses Stroms in Richtung vorgelagerte Netze ausgelegt werden, wenn die Einspeisung an windstarken bzw. sonnenreichen Tagen den lokalen oder regionalen Bedarf übertrifft. Zum anderen muss bei Windflaute, starker Bewölkung oder Schneeabdeckung der Solarzellen sichergestellt sein, dass der lokale und regionale Bedarf durch einen Stromtransport über die vorgelagerten Netzebenen auch längerfristig in Zeiten hoher Nachfrage gedeckt werden kann. Dies führt dazu, dass durch volatile Einspeisungen trotz einer teilweisen Abdeckung des regionalen Bedarfs im lokalen Netz, im vorgelagerten Netz keine Kosten eingespart werden. Insgesamt dreht sich die Situation sogar und es ist oftmals ein erheblicher Netzausbau nötig. Für diese Anlagen ist damit eine Berücksichtigung von vermiedenen Netzentgelten nicht (mehr) sachgerecht und sollte gestrichen werden. Bei steuerbaren dezentralen Erzeugungsanlagen ist die Lage nach wie vor anders. Hier tritt insbesondere die notwendige Reservefunktion des vorgelagerten Netzes nicht in dem Maße auf, da diese Anlagen aus wirtschaftlichen Gründen bedarfsorientiert einspeisen und zu einer verlässlichen Verringerung des Bezugs aus dem vorgelagerten Netz beitragen. Dies gilt für konventionelle Anlagen ebenso wie für EEG-Anlagen auf Basis etwa von Biomasse. Zudem sind diese Anlagen aufgrund ihrer hohen Steuerbarkeit in der Lage, auf Preissignale zu reagieren, die von der Systematik der vermiedenen Netzentgelte ausgehen (Vermeidungsleistung).
Fazit: Ostdeutschlands Stadtwerke, viele von ihnen wie die Stadtwerke Gotha auch, Betreiber von KWK gespeisten Fernwärme-Netzen hoffen dass die Neuregelung bei den vNNE zu einer spürbaren Entlastung bei den Netzentgelten führt und dabei die Wirtschaftlichkeit von KWK-Anlagen gewahrt bleibt. www.stadtwerke-gotha.de