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< Die Schlüsselfunktion der Stromnetze für die Energiewende
10.08.2012 14:39 Alter: 12 yrs
Kategorie: Digitalisierung

Umbau des Energiesystems: Anforderungen an Energiemarktmodell 2.0

Die Ziele der Energiewende sind klar formuliert. Im Jahr 2021 wird in Deutschland das letzte Kernkraftwerk stillgelegt. Mit einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 55 Prozent bis 2030 und mindestens 80 Prozent bis 2050 sind auch die umweltpolitischen Ziele vorgegeben, viele Fragen hinsichtlich der Umsetzung sind jedoch offen. Ein klarer, langfristig angelegter Handlungsrahmen, bei dem alle Maßnahmen sinnvoll aufeinander abgestimmt sind, fehlt.   Dr. Gerhard Holtmeier, Mitglied des Vorstandes der Thüga AG beleuchtet Handlungsfelder, die für das Gelingen der Energiewende maßgeblich sind.


Foto: Thüga AG

Im Jahr 2050 soll der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung 80 Prozent betragen, dies verlangt einen radikalen Umbau der Erzeugungsstruktur. Neben 22 Prozent Strom aus der Kernenergie ist auch ein Großteil der Energiemenge zu ersetzen, die heute in Kohle- und Gaskraftwerken produziert werden. Langfristig muss deshalb ein Volumen von jährlich fast 500 Milliarden Kilowattstunden aus regenerativen Quellen zur Verfügung stehen.

Hierbei sollten jene Technologien besondere Aufmerksamkeit erfahren, die einen hohen Anteil an Erzeugung sichern, am effizientesten sind und das beste Kosten- Nutzen-Verhältnis bieten. Windkraft, Biomasse, Geothermie zeigen hier als zu präferierende Quellen eine höhere Verlässlichkeit in der Erzeugung und liegen gegenüber Photovoltaik deutlich näher am Marktpreisniveau der konventionellen Energieträger. Damit ist die Anforderung an das zu modifizierende EEG gestellt, die Förderung einer hoch volatilen Erzeugung aus der Photovoltaik deutlich zu kürzen. Gleichzeitig müssen sich alle Investoren – ob Industrie oder Hauseigentümer – darauf verlassen können, dass sich ihre Aufwendungen rechnen und ihre Entscheidungen langfristig rechtlich sicher sind. Wenn dies der Fall ist, kommt deutliche Dynamik in den Umbau des Systems. Einseitige Subventionen führen nicht zum Ziel.

Das Heizkraftwerk der Würzburger Versorgungsund Verkehrs-GmbH (WVV) mit Gas- und Dampfturbinen-Anlage arbeitet nach dem umweltschonenden Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung. Mit der Gasturbine können bis zu 85 % des in der Region Würzburg abgesetzten Stroms im Würzburger Heizkraftwerk erzeugt werden. Bei der Versorgung der Region mit Wärme erreicht das HKW sogar 90 %. Das Heizkraftwerk hat zwei Architekturpreise erhalten (Foto: Constantin Meyer)

Wirtschaftlichkeit von Investitionen in Ersatzkraftwerken
Neben der Erzeugung aus Erneuerbaren Energien(EE) und der Entwicklung von Speichertechnologien sind langfristig auch der Ersatz und die Modernisierung von konventionellen Kraftwerken notwendig. In Abhängigkeit von der Entwicklung der Speicherverfügbarkeit ist bis zum Jahr 2050 ein Kraftwerkspark zu schaffen, der den Ausgleich für die nur unregelmäßig einspeisenden Windund Solaranlagen übernimmt. Hier bieten sich hochmoderne Gaskraftwerke (auch in KWK-Ausführung) aufgrund ihrer flexiblen Einsatzfähigkeit als Lösung an. Auch vor dem Hintergrund der zu entwickelnden Speichertechnologien sind diese Kraftwerkstypen zu bevorzugen. Ob es zu Errichtung und Betrieb von Gaskraftwerken kommt, hängt von der Wirtschaftlichkeit ab. Bereits heute beobachten wir, dass Bestandsanlagen keine auskömmliche Verzinsung erfahren (missing-money). Einerseits werden die Einsatzzeiten von Kraftwerken zunehmend kürzer, zum anderen verringert sich die Spanne zwischen Gaseinkaufspreis und Stromverkaufspreis. Der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien wird bis zum Jahr 2021 zu einer deutlichen Verschiebung der Merit-Order führen, jenem Grenzwert, ab dem sich der Betrieb eines Kraftwerkes noch wirtschaftlich rechnet. Die variablen Produktionskosten der EE liegen in Summe nahe gegen Null. Der Betreiber eines Kohle- oder Gaskraftwerks dagegen muss den Brennstoff für jede zu erzeugende Kilowattstunde bezahlen. In der Folge gewinnen Anlagen bei der Preisgestaltung zunehmend die Oberhand, die auf erneuerbare Energien setzen. Scheint mittags zur Spitzenlastzeit viel Sonne, dann verdrängt der Strom aus Photovoltaikanlagen den Strom aus Gaskraftwerken. Trotz ihrer Systemrelevanz werden Spitzenlastkraftwerke immer seltener das preisbestimmende Kraftwerk am Markt sein. Dieser Effekt wird sich bis zum Jahr 2050 verschärfen, wenn 80 Prozent der Erzeugung aus EE stammen. Mittel- bis langfristig muss deshalb die derzeitige Preisfindung nach der Merit- Order im Energy-Only-Markt überprüft werden. Bei einem Ertrag, der allein auf der gelieferten Arbeit beruht, fehlt der Anreiz zum Aufbau und Halten von Reservekapazitäten mit geringer Auslastung. Daher stehen wir vor der Frage, wie wir die Wirtschaftlichkeit der für die Versorgungssicherheit auch künftig benötigten konventionellen Kraftwerke sicherstellen können. 

Energiespeicher
 Die volatile Einspeisung der Erneuerbaren Energien verlangt mittel- und langfristig die Entwicklung neuer Speichertechnologien. Einen Weg der Kompensation bieten schnell hochfahrende Gaskraftwerke. Pumpwasserkraftwerke haben in Deutschland nur ein begrenztes Zubaupotential. Angesichts der hohen zu speichernden Energievolumina erlangt die Power-to-Gas-Technologie zunehmende Bedeutung. Dabei wird überschüssige EE genutzt, um über die Elektrolyse Wasserstoff beziehungsweise in einem weiteren Schritt Methan herzustellen. Beides kann in der bestehenden Gasinfrastruktur zwischengelagert und bei Bedarf den zuvor genannten Kraftwerken sowie der Industrie wie auch den Haushalten zur Verfügung gestellt werden. Aus unserer Sicht ist dies derzeit die erkennbare Technologie, um große Mengen Energie zu speichern und gleichzeitig die Stromnetze über ein eigenes Transportsystem zu entlasten. Allerdings ist der flächendeckende Ausbau dieser Speichertechnologie derzeit unwirtschaftlich und nicht im bestehenden Marktmodell abbildbar. 

Netzinfrastruktur vs. Regulierungsrahmen
 Die vorhandene Leitungsinfrastruktur verlangt für die Integration der Erneuerbaren Energien einen weiteren Ausbau und Ertüchtigung. Dies gilt auch für die Smart-Grid-Technologien und einer damit zunehmenden Bedeutung der Verteilungsnetze. 80 Prozent der EE werden in Endverteilungsnetze eingespeist und auch Smart-Grid-Technologien haben aufgrund der Schnittstelle zum Kunden ihren Platz in den Verteilnetzen. Das derzeitige Regulierungsregime in Deutschland ist allerdings nicht auf die anstehenden Investitionen ausgerichtet und es fehlen Anreizmomente. 

So hat die Bundesnetzagentur für die laufende erste Regulierungsperiode eine Zinsobergrenze von 9,29 Prozent auf das eingesetzte Kapital festgelegt. Nach unabhängigen Berechnungen liegt die tatsächliche Verzinsung bei 4,1 Prozent vor Steuern. Und dies für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren, den die Netzbetreiber vorfinanzieren, ohne aber Erlöse zu realisieren und Abschreibungen vornehmen zu können. Auch wenn man von einer für die zweite Regulierungsperiode vorgesehenen Absenkung auf 8,2 Prozent wieder Abstand genommen hat, sehen wir weiteren dringenden Gesprächsbedarf. 

Insbesondere hinsichtlich des bestehenden Zeitverzugs bei der Kostenanerkennung und einer notwendigen Kurskorrektur durch die Bundesnetzagentur für den Bereich der Verteilnetze. Nur über eine angemessene Verzinsung kann ein akzeptabler Weg für den weiteren Netzausbau gefunden werden.

Mit dem Waldwindpark Biebersdorf am Nordrand des Spreewaldes in Brandenburg errichtet Thüga Erneuerbare Energien Ihren ersten Windpark. 14 Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 28 Megawatt sollen künftig 15.600 Haushalte mit Ökostrom versorgen. Dadurch können jährlich rund 50.000 Tonnen CO2-Emmissionen eingespart werden. (Foto: Thüga Erneuerbare Energien)

Effizienz und Innovationen
 Energieeffizienz ist neben der Speichertechnologie der Schlüssel zum Gelingen der Energiewende. Jede nicht verbrauchte Kilowattstunde entlastet die Volkswirtschaft und die Umwelt. Ein riesiges Effizienzpotential schlummert im Bereich des Wärmemarktes. Von den bundesweit im Einsatz befindlichen 17,8 Mio. Heizungsanlagen gelten rund 10 Millionen Anlagen als veraltet. 

Würden diese Heizungsanlagen durch moderne Heizungssysteme ausgetauscht, insbesondere mit Erdgas/Bioerdgas, erreicht man nahezu die bis 2020 angestrebte CO2-Minderung von 93 Mio. t/a. Experten bestätigen, die Erdgas-Brennwerttechnik in Kombination mit Solarthermie und/oder Bioerdgas ist die effiziente, preiswerte und bewährte Lösung. Die spezifischen CO2-Vermeidungskosten, die entstehen, wenn die Vorgaben des Energiekonzeptes realisiert würden, betragen ca. 120 Euro je vermiedener Tonne CO2. Nach einer aktuellen Studie der DVGW-Innovationsoffensive könnte der gleiche Effekt jedoch auch mit 30 Euro realisiert werden, wenn man dem technologieoffenen Ansatz „Dämmung + Heizungserneuerung im Bestand“ folgt.

Energiemarktmodell 2.0
 Die im Beitrag zuvor genannten Handlungsfelder können durch einzelne, in sich geschlossene Förder-/ Anreizsysteme erschlossen werden. Aus Sicht der Thüga empfiehlt es sich jedoch, das gegenwärtige „energy-only“ Marktmodell auf seinen Systemcharakter zu überprüfen. 

Ziel sollte ein konsistentes, langfristig angelegtes Marktmodell sein, welches auf unterschiedliche Marktelemente in einem in sich abgestimmten System statt auf Subventionen setzt. Es muss geeignet sein, die Energieeffizienz zu fördern und Anreize für den Leitungsund Speicherbau zu schaffen. Ebenso sind Versorgungssicherheit und Preisstabilität Schwerpunkte. Und schließlich sollte das neue Marktmodell mit dem europäischen Energiemarkt kompatibel sein. Ein solches Marktmodell sollte sichern, dass Arbeit und Leistung getrennt am Markt in Form von gesicherter Arbeit bzw. nichtgesicherter Arbeit bepreist werden. Der Vertrieb würde dem Kunden in Abhängigkeit von dessen Bedürfnissen ein Produkt aus Arbeit und Leistung konfektionieren. Unterschiedliche Marktelemente würden dann um die beste und effizienteste Lösung konkurrieren. Gleichfalls würde man Anreize zur Modernisierung von Bestandskraftwerken auslösen und eine Entwicklung zu einem reinen Leistungsmarkt ermöglichen. 

Eine dauerhafte Subventionierung von nicht leistungsgesicherter EE bleibt jedoch notwendig, da sonst kein Neubau im EE-Bereich erfolgt. Durch solche Leistungsbepreisung wird es möglich, Investitionen in Kraftwerke, „Demand- Side-Management“ sowie Speicher zu finanzieren. Denn Investitonen für den Umbau der Erzeugung sind Voraussetzung, um diese Aufgabe erfolgreich umzusetzen und damit auch einen deutlichen Vorteil für den Standort Deutschland darzustellen. 

Weitere Informationen unter: Opens external link in new windowwww.thuega.de