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Über das Leitungsauskunftsverfahren in Deutschland: Wissen, wo was passiert
Die Nachfrage bzgl. Informationen von Infrastrukturbetreibern ist nicht nur im Krisenfall von Bedeutung. Doch wie gelingt der Spagat: einerseits der souveräne Umgang mit sensiblen Netzdaten; andererseits deren notwendige Bereitstellung bei berechtigtem Interesse? Ein Gespräch mit Markus Heinrich, Rechtsanwalt und Partner, Wolter Hoppenberg Rechtsanwälte Partnerschaft mbH und Vorstand der BIL eG.
„Im Kontext der Energiewende, dem damit verbundenen Ausbau oder der Änderung von Betriebskonzepten kommt einer schnellen digitalen Kommunikation eine hohe Bedeutung zu. Diese Anforderungen werden mit Hilfe des BIL-Portals bereits heute erfüllt.“ Markus Heinrich
Herr Heinrich, Sie haben mit Partnern einen aktuellen Fachbericht zum Thema Leitungsauskunft erstellt, aus welchem Anlass?
Jederzeit funktionierende Versorgungsinfrastrukturen sind die essentielle Basis unserer Gesellschaft. Eine Kommunikation, die Vertrauen schafft, ist deshalb unabdingbar. Das Leitungsauskunftssystem der BIL eG als unverzichtbarer Partner für die Planung und Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen nimmt hier den entscheidenden Platz ein.
Dieser Fachbericht hat den Anspruch, den aktuellen Status Quo der Situation in Deutschland rund um die Thematik Leitungsauskunft (LA) aus einem neutralen Blickwinkel zu beschreiben und zu analysieren. Neben dem Versuch, die Begrifflichkeiten, die im Markt – teilweise auch missverständlich – verwendet werden, voneinander abzugrenzen, werden die aktuellen Marktinstrumente transparent und anschaulich dargestellt, um Unsicherheiten und Missverständnisse unter den Beteiligten zu minimieren.
Was steht im Fokus der Marktstudie und wer sind die Adressaten?
Im Fokus dieser Marktstudie stehen:
» eine transparente Darstellung der aktuellen Marktinstrumente, die sich dem Thema LA widmen und Dienstleistungen in diesem Segment anbieten,
» eine anschauliche Beschreibung der rechtlichen Rahmenbedingungen und Regelwerke für die am Prozess beteiligten Marktteilnehmer (Bauausführende und Planende sowie Infrastrukturbetreiber),
» eine Betrachtung von Risiken und Chancen, die sich aus dem Zusammentreffen von gängiger Praxis am Markt und Erfüllung von Recht und Regelwerk aussprechen lassen,
» eine Empfehlung in Form eines Ausblicks für ein optimales LA-Verfahren.
Ein Schwerpunktthema ist der notwendige Rechtsrahmen, warum?
Der Rechtsrahmen bei der Einholung und Erteilung von Leitungsauskünften ist von übergreifender Bedeutung. Denn es gibt keine gesetzlichen Regelungen, die explizite Aussagen bezüglich der Verpflichtung zur Einholung (durch den Bauausführenden) bzw. Erbringung (durch den Betreiber) einer LA machen. Es sind ausschließlich technische Regelwerke (z. T. kostenpflichtig) und zahlreiche Gerichtsurteile, die sich explizit mit dem Thema befassen. Die Verpflichtung zur Einholung einer LA leitet sich aus der Sorgfaltspflicht des Bauausführenden ab – die Beschädigungen von Leitungen stellen ersatzpflichtige Eigentumsverletzungen im Sinne der §§ 823 ff. BGB dar, wenn diese nicht erfüllt wurde. Ein Versäumnis ist ein Verstoß gegen die erforderliche Sorgfalt und daher als fahrlässig und somit haftungsbegründend zu werten. Die Verpflichtung zur Erbringung der LA wiederum begründet sich aus den Verkehrssicherungspflichten des Betreibers gegenüber dem Tiefbauer – d. h. er muss dafür sorgen, dass von seinen Anlagen keine Gefahren für Dritte ausgehen – und aus seiner Pflicht gem. § 11 Abs. 1 S. 1 EnWG zur sicheren und zuverlässigen Energieversorgung.
Welche Rolle spielt hierbei das deutsche Rechtssystem?
Es ist ein elementarer Gedanke des deutschen Rechtssystems, dass man für die Einhaltung der Verkehrssicherungspflicht selbst aufkommen muss. So selbstverständlich, wie ein Autobesitzer selbst für das Funktionieren seiner Bremsen bezahlen muss, so muss ein jeder Infrastrukturbetreiber, unabhängig von seiner Branche und Sparte, eigens die Erbringung der LA finanzieren und mindestens einen kostenfreien Weg der Auskunftserteilung anbieten. In den Regelwerken der beiden Branchenverbände DVGW und VDE, also für Betreiber der Sparten Gas, Wasser und Strom, wird vorgegeben, wie sie ihre LA zu erbringen haben. Für die Branchen TK, Abwasser, Fernwärme, Öl und Chemie existieren momentan noch keine derartigen Regelwerke.
Wie steht es um die Vorab-Zuständigkeitsprüfung?
In Deutschland gibt es weder eine zentrale Anlaufstelle für den Bautätigen noch eine Verpflichtung für die Betreiber, ihre Zuständigkeitsflächen (z. B. Korridor um Leitungen oder Fläche des Versorgungsgebiets) öffentlich bekannt zu machen – bspw. über ein zentrales System. Deshalb haben sich am Markt verschiedene Lösungen etabliert, um den Bauausführenden die Recherche nach zuständigen Betreibern abzunehmen.
Falls Quellen zur Zuständigkeitsprüfung hinzugezogen werden, die nicht unmittelbar durch die Betreiber zur Verfügung gestellt werden, so sind Begriffe wie „Leitungsrecherche“ oder „Leitungserkundung“ transparente Bezeichnungen. Im Fokus sollte dabei immer stehen, dass der Bauausführende genau weiß, welche Quellen bei der Inanspruchnahme der Dienstleistung verwendet wurden, um die Zuverlässigkeit des Ergebnisses richtig einschätzen zu können.
Wann ist eine Zuständigkeitsprüfung regelkonform?
Das Hauptunterscheidungsmerkmal verschiedener Verfahren ist die angewandte Methodik der Vorab-Zuständigkeitsprüfung. Das ist die Ermittlung der für ein Bauvorhaben zuständigen Betreiber, die dann zur Erbringung einer LA aufgefordert werden. Diese sollte auf Informationen basieren, die direkt von den Betreibern stammen, da nur so im Anschluss passendes Planwerk (rechts-)sicher bereitgestellt werden kann.
Gemäß den beiden technischen Regelwerken für Gas, Wasser (GW 118, DVGW) und Strom (VDE-AR-N 4203, VDE) ist nur die Zuständigkeitsprüfung basierend auf Betreiberinformationen regelwerkskonform. Empfehlung an Dienstleister ist somit, mit dem Begriff „Erbringung von Leitungsauskunft“ sorgsam umzugehen und diesen nicht zu nutzen, wenn die Dienstleistung auf lediglich recherchierten Informationen basiert. Diese rechtskonformen Anforderungen erfüllt die Leitungsauskunft der BIL eG als Unternehmen im Eigentum diverser Netzbetreiber, welches ausschließlich mit durch diese zur Verfügung gestellten Informationen arbeitet.
Infrastruktur- und Pipelinebetreiber aus den Bereichen Strom, Gas, Öl und Chemie haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam ein bundesweites Informationssystem für Leitungsrecherchen (BIL) zu betreiben. Darüber erhalten Bauausführende eine (rechts-)sichere Leitungsauskunft (LA), die ausschließlich auf aktuellen Informationen der Betreiber basiert, die das Portal für die LA nutzen (die Pipelinebetreiber der Sparten Gashochdruck, Öl und Chemie sind vollständig über das Betreiberportal BIL erreichbar sowie drei der vier Übertragungs - netzbetreiber Strom).
Was wäre ein Optimales Leitungsauskunftsverfahren?
Zur Erfüllung seiner Verkehrssicherungspflicht ist jeder Betreiber verpflichtet, Dritten auf Anfrage Einsicht in die Planwerke über seine Anlagen zu gewähren. Doch ist dies nur dann möglich, wenn er angefragt wird. Der Bauausführende wiederum kann den Betreiber nur dann anfragen, wenn er von dessen Existenz weiß – ein klassisches Henne-Ei-Problem.
Ein Lösungsansatz für diese Problematik, der sich bereits z. B. in Form von Hotelsuchen oder Online-Shoppinganfragen in unserem privaten Alltag durchgesetzt hat, sind Online-Portale. Im Umfeld der Leitungsauskunft zeigt sich jedoch, dass dort dieses Bewusstsein nicht automatisch vorherrscht, was die Existenz von Recherchediensten erklärt. Bei einigen Betreibern überwiegt die Furcht vor Datenmissbrauch. Eigene Individuallösungen werden einem Gemeinschaftsportal oftmals vorgezogen, um die Datenhoheit über die eigenen Anlagen zu behalten und sicherzustellen, dass die Daten nicht in falsche Hände geraten.
Die Betreiber, die diese Ängste abgebaut haben und denen das Prinzip der Zuständigkeitsprüfung gefällt, haben sich Betreiberportalen oder über eine Schnittstelle an einen Recherchedienst angeschlossen – abhängig davon, ob sie dem Anfragenden einen kostenfreien Zugang ermöglichen wollen oder nicht. Das BIL-Leitungsauskunftsportal ist als bundesweite Plattform für alle Versorgungssparten das Betreiberportal, welchem sich mit großem Abstand die meisten Betreiber angeschlossen haben, so unter anderem sämtliche Gasfernleitungsbetreiber, drei der vier Übertragungsnetzbetreiber Strom sowie sämtliche deutsche Betreiber von Öl- und Chemiepipelines.
Kann die Leitungsauskunft über die Sicherheit auf der Baustelle weitere Fragestellungen bedienen?
Im Zuge der höheren Auslastung von Netzen sowie des Netzausbaus kann es zu einer elektromagnetischen Beeinflussung der Versorgungsinfrastruktur anderer Betreiber kommen. Daher fordern die aktuellen §§ 49a und 49b des Energiewirtschaftsgesetzes die Ermittlung der möglicherweise betroffen Betreiber und Führung eines entsprechenden Nachweises. Zur Ermittlung der potenziell von der elektromagnetischen Beeinflussung betroffenen Betreiber technischer Infrastrukturen genügt dabei gemäß dem Gesetzeswortlaut „[…] eine Anfrage und die Nachweisführung durch den Übertragungsnetzbetreiber unter Verwendung von Informationssystemen zur Leitungsrecherche, die allen Betreibern technischer Infrastrukturen für die Eintragung eigener Infrastrukturen und für die Auskunft über fremde Infrastrukturen diskriminierungsfrei zugänglich sind.“ Im Kontext der Energiewende und dem in deren Rahmen zwingend erforderlichen Ausbau von Infrastruktur sowie der Änderung von Betriebskonzepten kommt einer schnellen digitalen Kommunikation eine hohe Bedeutung zu. Diese Anforderungen werden mit Hilfe des BIL-Portals bereits heute erfüllt. Hinzu tritt die Bereitstellung offizieller Katastrophenmeldungen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, welche über das BIL-Portal für die Betreiber zuständigkeitsgeprüft werden. Hierdurch erhalten diese über BIL gezielt nur solche Meldungen, die ihnen die Kenntnisnahme kritischer Ereignisse in ihrem eigenen Trassenbereich ermöglichen. Es zeigt sich somit, dass auch Fragestellungen der Betriebssicherheit Teil eines modernen „Ökosystems“ Leitungsauskunft werden.
Wir danken für das Gespräch
Anfragen an den Autor: heinrich@wolter-hoppenberg.de Weitere Informationen: www.bil-leitungsauskunft.de
Auf welche Problemlagen ist hinzuweisen?
Am Markt haben sich Dienstleister etabliert, die die Betreiberrecherche sowie die Einholung von Leitungsauskünften im Auftrag Dritter übernehmen. Deshalb: Ein Verfahren ist nur dann regelwerkskonform, wenn es auf Informationen direkt vom Betreiber basiert. Basiert die ermittelte Betreiberliste auf eigens durch den Dienstleister recherchierten Informationen, so ist das Verfahren kein LA-Verfahren gemäß aktuell geltendem Regelwerk für die Sparten Gas, Wasser und Strom.
Als weitere Informationsquelle im Zuge der LA wird häufig auf die Existenz der von den Kommunen geführten Listen „Träger öffentlicher Belange“ (TöB) verwiesen. Diese haben jedoch den Gesetzeszweck, als Informationsgrundlage für Kommunen bei der Bauleitplanung zu dienen und nicht für die LA. Hinzu kommt, dass der Begriff nicht einheitlich gefasst ist und sich von Bundesland zu Bundesland unterscheidet, so dass eine große Anzahl (kritischer) Betreiber teils per Definition nicht in TöB-Listen enthalten ist.
Problematisch ist außerdem, dass eine Pflicht der Kommune, eine (vollständige) TöB-Liste zu führen und diese an Dritte weiterzugeben, nirgendwo gesetzlich geregelt ist. Somit haben Mängel/Unvollständigkeiten der TöB-Listen keine rechtlichen Auswirkungen, weshalb in der Folge die Listen vieler Kommunen veraltet, unvollständig oder überhaupt nicht vorhanden sind. Sie sind daher für die Recherche im Kontext der Einholung von LA kritisch zu sehen.
Die TöB-Listen, die von den Kommunen geführt werden, sind zusammengenommen KEIN zentrales bundesweites und spartenübergreifendes Register für Deutschland, in dem alle Netzbetreiber verlässlich gelistet sind. Sie sind somit KEINE gute/verlässliche Informationsquelle im Zuge der Leitungserkundung.