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Transportund Logistikwirtschaft fordert Politik
„Wir wollen wichtigster Vordenker für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu Themen der Logistik sein.“
Die Bundesvereinigung Logistik (BVL) e. V. richtet den Blick nach vorn. An neuem Ort im Estrel Berlin und mit einem völlig neuen Konzept ist die BVL Supply Chain CX als Nachfolge-Event des Deutschen Logistik-Kongresses gestartet. Über 2.600 Teilnehmer erlebten über 220 Speaker auf acht Bühnen und die neue Expo-Area mit über 140 Ausstellern und umfassenden Netzwerkmöglichkeiten. THEMEN!magazin sprach mit dem neu gewählten Vorstandsvorsitzenden Kai Althoff, er ist CEO der 4flow SE, zur künftigen Interessenvertretung für die Branche.
Herr Althoff, Glückwunsch zur Wahl als Vorstandsvorsitzender, wie ist das neue Kongressformat angekommen?
Wir haben sehr viel positive Resonanz erfahren. Die Zielgruppe der Veranstaltung wurde insgesamt deutlich erweitert – zum einen um jüngere Fach- und Führungskräfte, zum anderen um neue Bereiche, die Supply Chains erst möglich machen – HR, IT, Tech-Unternehmen oder Versicherungen. Wir sind schon jetzt im Vergleich zu den letzten Kongressen mit 39 % mehr Besuchern deutlich gewachsen und haben im Estrel begonnen, dieses Potenzial zu nutzen. Im Lichte der aktuellen wirtschaftlichen Lage sind wir mit der diesjährigen ersten Ausgabe der BVL Supply Chain CX sehr zufrieden.
Wie ist die aktuelle Lage der Logistik in Deutschland einzuschätzen?
Als drittgrößter Wirtschaftssektor nach Handel und Automobilindustrie macht unsere Branche mit ca. 330 Milliarden Euro etwa 8 % der Wirtschaftsleistung in Deutschland aus und repräsentiert 25 % des europäischen Logistikmarktes. Das Wachstum des Wirtschaftsbereichs in Deutschland war zuletzt sehr schwach (nominell 1,2 % in 2024) und real sogar rückläufig (2024 -3 %). Für 2025 erwarten die Logistikweisen nach heute vorgestellten Zahlen ein nominelles Wachstum von 1,3 %, was real einer Stagnation entspricht (-0,1 %).
Wir würden uns mehr Wachstum wünschen, aber immerhin scheint die Talsohle jetzt erreicht. Laut Logistikindikator von BVL und ifo-Institut sind Geschäftsklima und -erwartung erstmals seit drei Jahren wieder oberhalb der Geschäftslage. Insgesamt ist der Wirtschaftsbereich Logistik in Deutschland gut aufgestellt, um auch in Zukunft eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft zu sein und diese Rolle noch auszubauen. Die Logistikweisen prognostizieren, dass die deutsche Logistik mit ihren branchenspezifischen Innovationen zum Beispiel im Bereich Automatisierung weltweit ihre Führungsposition in diesem Bereich behaupten wird. Auch im Bereich der Nachhaltigkeit kann die Logistik ihren Beitrag zum Erreichen der Ziele leisten. Wir erwarten 2026 eine Erholung mit neuem Wachstum.
Zum Kongress wurde auch eine Studie Logistik und Klimaschutz erstellt, warum?
Die Zunahme extremer Wetterereignisse, verschärfte regulatorische Vorgaben im Bereich Nachhaltigkeit und Klima sowie die zunehmende Aufmerksamkeit von Klimaklägern stellen auch unsere Branche vor neue Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund haben wir in einer Studie „Klimarisiken und Folgeschäden des Klimawandels 2024“ gemeinsam mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft untersucht, wie auch die Transport- und Logistikwirtschaft Klimarisiken und Folgen des Klimawandels in ihrem Risikomanagement berücksichtigt und welche Maßnahmen ergriffen werden, um den eigenen Einfluss auf den Klimawandel zu reduzieren.
Extremes Wetter, beschädigte Infrastruktur, gestörte Lieferketten: Die deutschen Transport- und Logistikunternehmen spüren zunehmend die Auswirkungen des Klimawandels. 67 Prozent der Unternehmen waren in Folge von Klimarisiken von Ressourcenknappheit betroffen, beispielsweise durch Lieferengpässe oder erhöhte Preise für Rohstoffe oder Energie. Mehr als die Hälfte der Unternehmen (51 Prozent) mussten Schäden an der Infrastruktur verzeichnen, zum Beispiel an Gebäuden oder Straßen. 46 Prozent bemängeln Versorgungsengpässe durch gestörte Lieferketten aber auch fehlendes Material.
Neben diesen operativen Auswirkungen sind die Unternehmen mehrheitlich auch von mehr Regulatorik betroffen: So gaben 75 Prozent der Unternehmen an, dass Klimarisiken und Folgeschäden des Klimawandels wahrnehmbar zu verschärften Gesetzen und Richtlinien etwa durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) führen.
Im Ergebnis des Kongresses stellt die BVL Forderungen an die Politik?
Der Ausbau und Sicherung der Logistik in Deutschland und Europa verlangt eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Logistik. Ein Beispiel sind verstärkte Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, bei der alleine in der Straßeninfrastruktur ein Investitionsstau von 100 Milliarden Euro besteht. Im Schienenverkehr liegen die Pro-Kopf-Investitionen in vielen anderen europäischen Ländern 3-4mal so hoch wie in Deutschland. Weitere Schwerpunkte mit Blick auf notwendige Investitionen sind der Ausbau der Infrastruktur für alternative Antriebe sowie die Förderung entsprechender Technologien. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Deregulierung und den Bürokratieabbau zu richten. Die Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, etwa bei der Installation von PV-Anlagen auf Logistikimmobilien, sowie die Überarbeitung komplexer Regularien wie des Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes müssen unbedingt im Fokus stehen.
Auch die berufliche Qualifikation spielt für die Logistik eine zentrale Rolle, da die Branche mit rund 100.000 offenen Stellen einen erheblichen Fachkräftemangel verzeichnet. Allein der Fahrermangel verursacht jährliche Mehrkosten von etwa 10 Milliarden Euro für die deutsche Wirtschaft. Der Wirtschaftsbereich Logistik war immer international und von der Zusammenarbeit verschiedenster Kulturen geprägt. Nicht nur mit Blick auf den demografischen Wandel brauchen wir die gezielte Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte dringend und begrüßen diese ausdrücklich.
Nicht genug betonen können wir die Bedeutung des freien Welthandels und fairer Handelsbedingungen. Zunehmende Handelsbeschränkungen erhöhen die Risiken für die Supply Chains enorm. Die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen lässt sich langfristig nicht durch reduzierten globalen Handel sichern, sondern nur durch freien Warenverkehr und eine Verbesserung der genannten Rahmenbedingungen. Hierfür muss die Politik eintreten.
Auf der Logtech Stage mitten im Expo-Bereich wurden vor allem Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz, Robotik und Software diskutiert.
Hier im Bild: Kamil Christoph Kasprowicz, Geschäftsführer Baur Hermes Fulfilment (links) und Dr. Bernd Heinrichs, Chief Growth Officer bei Neura Robotics, die zum Thema „Cognitive Robotics, AI and Platforms“ informierten.
Mit welcher Vision werden Sie Ihre Verantwortung für die BVL wahrnehmen?
Für eine zukünftige positive Entwicklung der Logistik müssen entsprechende Rahmenparameter geschaffen werden. Um das Potenzial der Branche als bedeutende Säule der deutschen Wirtschaft noch besser ausspielen zu können, wird sich die BVL in Zukunft stärker mit den politischen Entscheidungsträgern vernetzen. Hierbei werden die Themen Infrastruktur, Digitalisierung, Fachkräftemangel, Energiewende und globale Lieferketten aufgrund ihrer Bedeutung für die Logistik im Fokus stehen.
Die BVL hat sich für 2032 eine ambitionierte Vision gesetzt: Bis dahin wollen wir das bedeutendste Netzwerk und wichtigster Vordenker für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu Themen der Logistik sein. Damit ist auch meine Verantwortung gesetzt.