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Technologieneutralität statt Technikverbote
Zum Nikolaustag hat der Verband der Automobilindustrie (VDA) ein Wort an die deutsche Öffentlichkeit gerichtet. VDA-Präsident Matthias Wissmann informierte über die Entwicklung der Automobilmärkte, die Offensivstrategie der deutschen Automobilindustrie und das politische Umfeld.
In einem Gastbeitrag unterstreicht der VDA-Präsident, dass Klimaschutz einen breiten Antriebsmix braucht und Technologieneutralität statt Technikverbote der politische Rahmen sein muss.
Foto: Marcus Höhn
Auch wenn es mancher Kritiker nicht wahrnehmen will, die deutsche Automobilindustrie investiert massiv in die Mobilität von morgen – auf vielen Feldern. Insgesamt belaufen sich die jährlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung dieser Industrie auf rund 39 Mrd. Euro, ein Großteil davon fließt in alternative Antriebe.
Die Belegschaft in den FuE-Abteilungen steigt wesentlich schneller als die Gesamtbeschäftigung: In den letzten fünf Jahren entstand gut jede vierte neue Stelle in der deutschen Automobilindustrie in dem Bereich Forschung und Entwicklung, das sind über 25.000 zusätzliche hoch qualifizierte Arbeitsplätze. Rund ein Drittel aller weltweiten Patente im Bereich der Elektromobilität (34 %) und des Hybridantriebs (32 %) kommt aus Deutschland. Wir haben unsere Marktanteile bei der Elektromobilität deutlich gesteigert. In Europa (EU28+EFTA) sind es 53 %, in Deutschland 64 %, auf dem Leitmarkt Norwegen 58 %.
Luftqualität in Städten verbessern – Fahrverbote vermeiden
Seit Monaten wird, teilweise sehr emotional, eine öffentliche Debatte über den Verbrennungsmotor geführt, im Mittelpunkt steht dabei der Diesel. Es ist dringend an der Zeit, die öffentliche Diskussion weiter zu versachlichen. Entscheidend ist, dass Fahrverbote vermieden werden und die Autofahrer schnell Klarheit erhalten. Es gibt keinen Grund für Hysterie: Die Luft in unseren Städten ist heute besser denn je, die verkehrsbedingten Stickoxidemissionen sind im Zeitraum 1990 bis 2015 laut Umweltbundesamt um 70 % zurückgegangen – trotz gestiegener Verkehrsleistung. Es geht also nicht um ein flächendeckendes Problem, sondern um Hotspots in mehreren Städten.
Und es muss auch die Frage gestellt werden, ob die Festlegung der Grenzwerte immer sachgerecht erfolgte: Warum gelten etwa am Stuttgarter Neckartor 40 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft, im benachbarten Büro 60 Mikrogramm, und in der etwas weiter entfernt liegenden Fabrik 950 Mikrogramm? Ich will die Probleme damit nicht kleinreden, aber einordnen.
E-Fuels leisten notwendigen Beitrag für Klimaschutz
Eine zugespitzt geführte Stickoxiddebatte überlagert derzeit das längerfristig entscheidende Thema: Wie gestalten wir die Mobilität von morgen klimafreundlich? Die deutsche Automobilindustrie arbeitet kontinuierlich daran, die CO2-Emissionen ihrer Fahrzeuge weiter zu senken. Und es erfolgt über alle Antriebsarten hinweg. Denn Klimaschutz braucht einen breiten Antriebsmix und nur so kann eine Dekarbonisierungsstrategie für den Straßenverkehr erfolgreich sein.
Im Jahr 2025 werden Elektroautos voraussichtlich einen Anteil von 15 bis 25 % an den Pkw-Neuzulassungen haben. Das heißt umgekehrt: Ein Großteil der Fahrzeuge fährt weiterhin mit einem Verbrennungsmotor. Dies gilt umso mehr, wenn wir auf die internationalen Märkte schauen: In Lateinamerika, in weiten Teilen Asiens oder in Afrika wird es auch dann noch keine flächendeckende Ladeinfrastruktur geben.
Wir müssen also alle Antriebsarten nutzen, auch Wasserstoff und Erdgas. Wer die CO2- Frage ernst nimmt, kommt an klimaneutralen Kraftstoffen, so genannten E-Fuels, nicht vorbei. Die Technologie für diese Kraftstoffe aus erneuerbaren Quellen ist vorhanden. Noch sind die Kosten vergleichsweise hoch, doch sie werden sinken. Mit E-Fuels gibt es die Chance für klimaneutrale Verbrennungsmotoren. Und damit ein Instrument, um CO2-Emissionen im gesamten Fahrzeugbestand massiv zu senken, nicht nur bei Neuzulassungen. Hinzu kommt: Wir machen uns unabhängiger von fossilen Energieträgern und können in großem Umfang Grünstrom „lagern“.
Technologieneutralität statt Technikverbote
Die CO2-Bilanz eines modernen Diesels oder Benziners mit E-Fuels kann besser sein als die eines Elektroautos, das hauptsächlich mit Kohlestrom geladen wird. Das zeigt: Der Weg in die klimaneutrale Mobilität braucht alternative und synthetische Kraftstoffe, Elektromobilität und Brennstoffzelle. Deswegen sollte die Politik Rahmenbedingungen und Ziele setzen, aber nicht den Weg dahin vorschreiben. Quoten oder Technikverbote weisen den Weg in die wirtschaftliche, sozialund klimapolitische Sackgasse. Wer Klimaschutz und Industriepolitik in der Balance halten will, muss dem Grundsatz der Technologieneutralität folgen.
Digitalisierung – Deutsche Automobilindustrie Patentweltmeister
Der zweite große Innovationstrend – neben der Elektromobilität – ist die Digitalisierung. Wir investieren dafür in den nächsten drei bis vier Jahren 16 bis 18 Mrd. Euro. Die deutsche Automobilindustrie ist bereits heute der Patentweltmeister beim vernetzten und automatisierten Fahren: An den seit 2010 weltweit erteilten Patenten auf diesem Feld hält sie einen Anteil von 52 %. Unter den Top-10 befinden sich sechs Unternehmen aus Deutschland – davon vier Hersteller und zwei Zulieferer auf den Plätzen 1 und 3. Wir sprechen von der digitalen Transformation einer ganzen Branche durch das vernetzte und automatisierte Fahren. Die Vorteile: mehr Effizienz, mehr Komfort.
Politische Rahmenbedingungen verbessern
Ein Wort zum politischen Umfeld. Ich kann mich in den letzten zwei Jahrzehnten nicht an eine solche Situation erinnern: Einerseits weltweit viele handelspolitische Risiken, etwa protektionistische Tendenzen von Iran bis China oder die unklare Zukunft von NAFTA. Hinzu kommen Herausforderungen wie die Zukunft Europas mit Blick auf Großbritannien und den Brexit.
Andererseits sehen wir insgesamt ordentlich laufende Automobilmärkte, selbst erste Hoffnungszeichen in Russland und Brasilien. Die deutsche Automobilindustrie hat sich in diesem ungewöhnlich anspruchsvollen Umfeld 2017 gut behauptet. Doch wer eine solide Rechnung auf die Zukunft machen will, darf sich nicht auf ein „Weiter so“ beschränken. Das gilt für unsere Unternehmen genauso wie für die Politik.
Die Unternehmen müssen den Wandel, der mit den Stichworten Digitalisierung, Vernetzung, alternative Antriebe umrissen ist, gestalten. Dafür sind enorme Investitionen und Innovationen nötig. Politik muss dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen.
Ich bin davon überzeugt: Die Politik sollte jetzt die Chance nutzen und die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen − einer Senkung der Energie- und Nebenkosten bis zur steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes − in guten Zeiten verbessern. Ein Dach erneuert man ja auch bei gutem Wetter − und wartet nicht solange, bis es an vielen Stellen hineinregnet. Eine kommende Bundesregierung wäre daher gut beraten, wenn sie die Weichen sehr viel stärker auf Wachstum und Investitionen stellt, statt auf öffentlichen Konsum.
Dafür wird der Verband der Automobilindustrie zusammen mit vielen anderen Industrieverbänden engagiert werben und eintreten. Auf ein solches, für Deutschland wichtiges Zukunftsleitbild sollte sich die nächste Bundesregierung verständigen.
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