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< (Digitaler) Mehrwert für die neue Energiewelt
17.07.2017 09:01 Alter: 7 yrs

Systemstabilität verlangt kooperative Zusammenarbeit

Die „Neue Energiewelt“ kommt nicht von allein. Vielmehr vollzieht sich ein umfassender Transformationsprozess, der auch die Stromnetzbetreiber einschließt – mit Herausforderungen, die leider in der öffentlichen gesellschaftlichen Kommunikation kaum beleuchtet werden.


Boris Schucht, Sprecher der Geschäftsführung des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz Transmission GmbH blickt im Gespräch mit unserer Redaktion auf die Verantwortung der Netzbetreiber für die Systemstabilität.
Foto: 50Hertz

Herr Schucht, der Transformations­prozess des Energiesystems führt zu einem neuen Rollenverständnis der Stromnetzbetreiber. Zeigt sich dies auch bei 50Hertz?

Das Netzgebiet von 50Hertz ist schon heute Vorreiter, wenn es um die Integration Erneu­erbarer Energien in die Stromversorgung geht. Seit 2008 hat sich der Anteil Erneu­erbarer Energien (EE) am Stromverbrauch im Norden und Osten Deutschlands verdoppelt. In den Jahren 2015 und 2016 lag der Anteil bereits bei fast 50 Prozent – Tendenz steigend. In vielen ländlichen Regionen wird schon heute viel mehr Strom aus EE-Anlagen erzeugt, als verbraucht werden kann. 

Für die nächsten Jahre geht dieser Ausbau rasant weiter. Die Verteilnetzbetreiber (VNB) und wir als zuständiger Übertragungsnetz­betreiber (ÜNB) in unserer Regelzone sind davon in besonderem Maße betroffen. Die hohen Anteile volatil einspeisender EE-Anlagen bedingen dabei nicht nur eine Weiter­ent­wicklung der Maßnahmen zur Aufrecht­erhal­tung der Systemstabilität, sondern erfordern intensive Zusammenarbeit und abgestimmtes Vorgehen aller Netzbetreiber. Aus diesem Grund haben die VNB und 50Hertz bereits vor drei Jahren ein 10-Punkte-Pro­gramm beschlos­sen, um die notwendigen System­dienst­leis­tungen wie Frequenzhaltung und Span­nungs­­haltung, Betriebsführung und Ver­sor­gungs­wiederaufbau gemeinsam weiterzuentwickeln.

Zukunftsszenarien sehen in Bezug zur Sicherung der Systemstabilität eine Verschiebung von den ÜNB zu den VNB. Sehen Sie dies auch?

Was wir zukünftig verstärkt brauchen, ist mehr Flexibilität im System, um die wachsenden Mengen volatil einspeisender Energie aus Wind und Sonne im Sinne der Systemstabili­tät abzufedern. Quellen für mehr Flexibilität befinden sich künftig verstärkt auch im Ver­teilnetz. Diese, bei den VNB angeschlossene Flexibilität wird jedoch bereits heute in großem Umfang durch den ÜNB eingesetzt. Und die Prozesse laufen, das ist zumindest unsere Erfahrung, sehr effizient und sicher. Wir sehen hier also keine Verschiebung, sondern eher eine Ausdifferenzierung.

Sollten die Verantwortungsbereiche von ÜNB und VNB für Netz- und Systemstabilität klarer definiert und koordiniert werden?

Schon heute leisten die VNB selbst mehr Beiträge für die Systemdienstleistungen (SDL). Sie müssen bei der Spannungshaltung und bei der Bereitstellung von SDL des ÜNB im Sinne des Gesamtsystems mitwirken – immerhin ist ja das Gros der regenerativen Er­zeu­gungsanlagen im Verteilnetz angeschlossen. Der ÜNB hingegen muss auf horizontaler Ebene vermehrt geeignete Prozesse und Maß­nahmen koordinieren und mit den beteiligten Netzkunden und VNB umsetzen. Die Verän­der­ungen im Energieversorgungs­system machen eben neue Lösungen für die Erbringung von Beiträgen für SDL erforderlich. Bisher werden sie vorrangig von beim ÜNB angeschlossenen konventionellen Kraft­werken angeboten und bereitgestellt. Aber der Ausbau von erneuerbaren Energien hat eben zur Folge, dass á la longue mehr und mehr konventionelle Kraftwerke vom Netz gehen und wir daher die Erneuerbaren stärker in die Pflicht nehmen müssen. Das Potenzial ist da. Klar ist aber auch: Die Verantwortung der Verteilnetzbetreiber steigt mit dieser Ent­wicklung und auch der Bedarf an Ko­ordi­nierung zwischen den einzelnen Netz­ebenen.

Sollten die VNB hier mehr Aufgaben aus ihrem Netz heraus übernehmen?

Die Beiträge der VNB der verschiedensten Netzebenen werden und müssen auch steigen, da bin ich sicher. Gleichwohl wird die Haupt­verantwortung beim ÜNB liegen, schon aus Effizienzgründen. Denn ein effizienter Pro­zess zur Sicherung der Gesamtsystem­stabilität erfordert einen möglichst umfassenden Blick auf das System.

Ein lokales Optimum auf Basis einzelner lokaler Ver­teilnetze entspricht in aller Regel nicht dem volkswirtschaftlichen Effi­zienz­gebot.  Wichtig für den ÜNB ist es, die entsprechenden In­formationen beziehungsweise Daten zur Ver­fügung zu haben. Am Ende sitzen wir alle in einem Boot.

Sehen Sie Konfliktpotential im künftigen Zusammenspiel zwischen ÜNB und VNB?

Nirgendwo sonst in Europa gibt es so viele Verteilnetzbetreiber wie in Deutschland. Und deren Struktur ist sehr heterogen, sie reicht von sehr kleinen Stadtwerken bis hin zu Flä­chen­unternehmen. Entsprechend breit ist auch der Interessenrahmen. Dies kann hier und da im Verhältnis zu den ÜNB einmal zu Spannungen führen. Auch Unsicherheiten in Bezug auf die künftige Arbeitsteilung können zu Irritationen führen, keine Frage. Das Thema sternförmige Marktkommunikation mit direk­ter Beziehung des ÜNB zum Smart Meter-Kunden ist ein Beispiel dafür.

Welche Erwartungen stellen Sie an eine funktionierende Koordinierung von Flexibilitäten?

Letztlich haben wir die gemeinsame Aufgabe, einen sicheren und effizienten Netz- und Systembetrieb zu organisieren – und durch die strukturellen Veränderungen wird das in Zukunft nur durch noch intensivere  Koordi­na­tion, Kooperation und Informations­aus­tausch gelingen. Wichtig wird sein, Klarheit über die Aufgabenverteilung herbeizuführen. In unserem Netzgebiet sind wir mittendrin in diesem Prozess. Wesentliche Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit ist in jedem Fall die gemeinsame Diskussion auf Augen­höhe. Alle Betei­ligten sollten versuchen, die jeweils andere Seite bestmöglich zu verstehen. Es ist wichtig zu wissen, wie sich die jeweils andere Seite verhält und warum sie welche Informationen benötigt. Und für eine sichere und effiziente Koordi­nierung von Flexibilitäten muss sichergestellt sein, dass die notwendigen Informationen verlässlich ausgetauscht werden. Um die Kosten gering zu halten, sollte auf bestehenden Infrastrukturen und Prozessen aufgebaut werden. Für eine hohe Effizienz sollten einheitliche Standards verwendet und ein hoher Automatisierungs­grad angestrebt werden.

Wie sieht sich der ÜNB 50Hertz in einem künftigen Markt für Flexibilitäten?

Zunächst  muss weiterhin sichergestellt werden, dass den Akteuren am Strommarkt ausreichend Liquidität und Flexibilität zur Verfü­gung stehen, damit diese ihre Verant­wortung für einen Ausgleich der Bilanzkreise erfüllen können. Unvorhergesehene Abwei­chungen müssen dann durch den ÜNB mittels Einsatz von Regelleistung ausgeglichen werden.

Für diese Aufgabe sollten sich auch zunehmend Kleinanlagen und flexible Ver­braucher über virtuelle Kraftwerke oder Ag­gre­gatoren einbringen können. Deshalb ist es für uns ein weiterer, wichtiger Punkt zur Erhöhung der Effizienz des Redispatch-Prozesses, dass in Zukunft auch EE-Anlagen und Anlagen kleiner zehn Megawatt beziehungsweise flexible Verbraucher eingebunden werden. Die Vor­aus­setzungen dafür sind unter anderem mit dem Digitalisierungsgesetz geschaffen.

Um diese Prozesse zu testen, entwickeln wir in dem vom Bundeswirtschafts­ministerium geförderten SINTEG-Projekt WindNODE die Flexibilitätsplattform, über die die Kommuni­kation mit den Flexibilitäts­anbietern, aber auch eine Koordination zwischen den Netz­betreibern bei der Auswahl und dem Einsatz der Anlagen erfolgen soll. Damit wird auch eine Infrastruktur bereitgestellt, auf deren Basis die Versorgungs­netzbetreiber eigene Netz­engpässe effizient bewirtschaften können.

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