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Systemstabilität verlangt kooperative Zusammenarbeit
Die „Neue Energiewelt“ kommt nicht von allein. Vielmehr vollzieht sich ein umfassender Transformationsprozess, der auch die Stromnetzbetreiber einschließt – mit Herausforderungen, die leider in der öffentlichen gesellschaftlichen Kommunikation kaum beleuchtet werden.
Boris Schucht, Sprecher der Geschäftsführung des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz Transmission GmbH blickt im Gespräch mit unserer Redaktion auf die Verantwortung der Netzbetreiber für die Systemstabilität.
Foto: 50Hertz
Herr Schucht, der Transformationsprozess des Energiesystems führt zu einem neuen Rollenverständnis der Stromnetzbetreiber. Zeigt sich dies auch bei 50Hertz?
Das Netzgebiet von 50Hertz ist schon heute Vorreiter, wenn es um die Integration Erneuerbarer Energien in die Stromversorgung geht. Seit 2008 hat sich der Anteil Erneuerbarer Energien (EE) am Stromverbrauch im Norden und Osten Deutschlands verdoppelt. In den Jahren 2015 und 2016 lag der Anteil bereits bei fast 50 Prozent – Tendenz steigend. In vielen ländlichen Regionen wird schon heute viel mehr Strom aus EE-Anlagen erzeugt, als verbraucht werden kann.
Für die nächsten Jahre geht dieser Ausbau rasant weiter. Die Verteilnetzbetreiber (VNB) und wir als zuständiger Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) in unserer Regelzone sind davon in besonderem Maße betroffen. Die hohen Anteile volatil einspeisender EE-Anlagen bedingen dabei nicht nur eine Weiterentwicklung der Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Systemstabilität, sondern erfordern intensive Zusammenarbeit und abgestimmtes Vorgehen aller Netzbetreiber. Aus diesem Grund haben die VNB und 50Hertz bereits vor drei Jahren ein 10-Punkte-Programm beschlossen, um die notwendigen Systemdienstleistungen wie Frequenzhaltung und Spannungshaltung, Betriebsführung und Versorgungswiederaufbau gemeinsam weiterzuentwickeln.
Zukunftsszenarien sehen in Bezug zur Sicherung der Systemstabilität eine Verschiebung von den ÜNB zu den VNB. Sehen Sie dies auch?
Was wir zukünftig verstärkt brauchen, ist mehr Flexibilität im System, um die wachsenden Mengen volatil einspeisender Energie aus Wind und Sonne im Sinne der Systemstabilität abzufedern. Quellen für mehr Flexibilität befinden sich künftig verstärkt auch im Verteilnetz. Diese, bei den VNB angeschlossene Flexibilität wird jedoch bereits heute in großem Umfang durch den ÜNB eingesetzt. Und die Prozesse laufen, das ist zumindest unsere Erfahrung, sehr effizient und sicher. Wir sehen hier also keine Verschiebung, sondern eher eine Ausdifferenzierung.
Sollten die Verantwortungsbereiche von ÜNB und VNB für Netz- und Systemstabilität klarer definiert und koordiniert werden?
Schon heute leisten die VNB selbst mehr Beiträge für die Systemdienstleistungen (SDL). Sie müssen bei der Spannungshaltung und bei der Bereitstellung von SDL des ÜNB im Sinne des Gesamtsystems mitwirken – immerhin ist ja das Gros der regenerativen Erzeugungsanlagen im Verteilnetz angeschlossen. Der ÜNB hingegen muss auf horizontaler Ebene vermehrt geeignete Prozesse und Maßnahmen koordinieren und mit den beteiligten Netzkunden und VNB umsetzen. Die Veränderungen im Energieversorgungssystem machen eben neue Lösungen für die Erbringung von Beiträgen für SDL erforderlich. Bisher werden sie vorrangig von beim ÜNB angeschlossenen konventionellen Kraftwerken angeboten und bereitgestellt. Aber der Ausbau von erneuerbaren Energien hat eben zur Folge, dass á la longue mehr und mehr konventionelle Kraftwerke vom Netz gehen und wir daher die Erneuerbaren stärker in die Pflicht nehmen müssen. Das Potenzial ist da. Klar ist aber auch: Die Verantwortung der Verteilnetzbetreiber steigt mit dieser Entwicklung und auch der Bedarf an Koordinierung zwischen den einzelnen Netzebenen.
Sollten die VNB hier mehr Aufgaben aus ihrem Netz heraus übernehmen?
Die Beiträge der VNB der verschiedensten Netzebenen werden und müssen auch steigen, da bin ich sicher. Gleichwohl wird die Hauptverantwortung beim ÜNB liegen, schon aus Effizienzgründen. Denn ein effizienter Prozess zur Sicherung der Gesamtsystemstabilität erfordert einen möglichst umfassenden Blick auf das System.
Ein lokales Optimum auf Basis einzelner lokaler Verteilnetze entspricht in aller Regel nicht dem volkswirtschaftlichen Effizienzgebot. Wichtig für den ÜNB ist es, die entsprechenden Informationen beziehungsweise Daten zur Verfügung zu haben. Am Ende sitzen wir alle in einem Boot.
Sehen Sie Konfliktpotential im künftigen Zusammenspiel zwischen ÜNB und VNB?
Nirgendwo sonst in Europa gibt es so viele Verteilnetzbetreiber wie in Deutschland. Und deren Struktur ist sehr heterogen, sie reicht von sehr kleinen Stadtwerken bis hin zu Flächenunternehmen. Entsprechend breit ist auch der Interessenrahmen. Dies kann hier und da im Verhältnis zu den ÜNB einmal zu Spannungen führen. Auch Unsicherheiten in Bezug auf die künftige Arbeitsteilung können zu Irritationen führen, keine Frage. Das Thema sternförmige Marktkommunikation mit direkter Beziehung des ÜNB zum Smart Meter-Kunden ist ein Beispiel dafür.
Welche Erwartungen stellen Sie an eine funktionierende Koordinierung von Flexibilitäten?
Letztlich haben wir die gemeinsame Aufgabe, einen sicheren und effizienten Netz- und Systembetrieb zu organisieren – und durch die strukturellen Veränderungen wird das in Zukunft nur durch noch intensivere Koordination, Kooperation und Informationsaustausch gelingen. Wichtig wird sein, Klarheit über die Aufgabenverteilung herbeizuführen. In unserem Netzgebiet sind wir mittendrin in diesem Prozess. Wesentliche Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit ist in jedem Fall die gemeinsame Diskussion auf Augenhöhe. Alle Beteiligten sollten versuchen, die jeweils andere Seite bestmöglich zu verstehen. Es ist wichtig zu wissen, wie sich die jeweils andere Seite verhält und warum sie welche Informationen benötigt. Und für eine sichere und effiziente Koordinierung von Flexibilitäten muss sichergestellt sein, dass die notwendigen Informationen verlässlich ausgetauscht werden. Um die Kosten gering zu halten, sollte auf bestehenden Infrastrukturen und Prozessen aufgebaut werden. Für eine hohe Effizienz sollten einheitliche Standards verwendet und ein hoher Automatisierungsgrad angestrebt werden.
Wie sieht sich der ÜNB 50Hertz in einem künftigen Markt für Flexibilitäten?
Zunächst muss weiterhin sichergestellt werden, dass den Akteuren am Strommarkt ausreichend Liquidität und Flexibilität zur Verfügung stehen, damit diese ihre Verantwortung für einen Ausgleich der Bilanzkreise erfüllen können. Unvorhergesehene Abweichungen müssen dann durch den ÜNB mittels Einsatz von Regelleistung ausgeglichen werden.
Für diese Aufgabe sollten sich auch zunehmend Kleinanlagen und flexible Verbraucher über virtuelle Kraftwerke oder Aggregatoren einbringen können. Deshalb ist es für uns ein weiterer, wichtiger Punkt zur Erhöhung der Effizienz des Redispatch-Prozesses, dass in Zukunft auch EE-Anlagen und Anlagen kleiner zehn Megawatt beziehungsweise flexible Verbraucher eingebunden werden. Die Voraussetzungen dafür sind unter anderem mit dem Digitalisierungsgesetz geschaffen.
Um diese Prozesse zu testen, entwickeln wir in dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten SINTEG-Projekt WindNODE die Flexibilitätsplattform, über die die Kommunikation mit den Flexibilitätsanbietern, aber auch eine Koordination zwischen den Netzbetreibern bei der Auswahl und dem Einsatz der Anlagen erfolgen soll. Damit wird auch eine Infrastruktur bereitgestellt, auf deren Basis die Versorgungsnetzbetreiber eigene Netzengpässe effizient bewirtschaften können.