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Systemrelevante Stromversorgung – aktuelle und zukünftige Themen
Sichere Stromversorgung ist auch in Krisenzeiten unabdingbar. Deutschland hat weltweit die geringste Quote an Versorgungsengpässen. Entscheidenden Anteil daran haben die Verteilnetzbetreiber. Sie bringen den Strom in die Region, zuverlässig Tag und Nacht, 365 Tage im Jahr. So wie MITNETZ STROM, größter regionaler Verteilnetzbetreiber der neuen Bundesländer.
Dr. Schweer zu den Herausforderungen einer sicheren Versorgung: „Der enviaM-Netzbetreiber ist auf einen möglichen Krisenfall gut vorbereitet. Wir haben für den Betrieb unserer Strom- und Gasnetze umfangreiche Notfallpläne erarbeitet, die eine Aufrechterhaltung des Betriebes sicherstellen.“
Herr Dr. Schweer, die Corona-Krise fordert uns derzeit alle heraus, auch die Infrastrukturbetreiber. Wie gut ist MITNETZ STROM auf einen Krisenfall vorbereitet?
Unter den kritischen Infrastrukturen KRITIS nimmt die elektrische Energieversorgung eine herausragende Stellung ein, da alle anderen Infrastrukturen unmittelbar darauf angewiesen sind. Wir haben deshalb schon seit 10 Jahren gemeinsam mit dem Technischen Hilfswerk THW, dem BBK, den Bundesländern, den Landkreisen und den Feuerwehren mehrere Fachtagungen, Workshops und Übungen durchgeführt. Ziel war es, Maßnahmen zu planen und zu sensibilisieren, um auf großflächige Stromausfälle vorbereitet zu sein. Beispiel ist hier der Kooperationsvertrag der MITNETZ STROM mit dem THW, den in Folge auch andere große Verteilnetzbetreiber abgeschlossen haben. Und diese Zusammenarbeit hat auch die Partner einander näher gebracht.
Die Corona-Krise ist für uns alle eine große Herausforderung. Wir haben bereits frühzeitig für den Betrieb unserer Strom- und Gasnetze umfangreiche Notfallpläne erarbeitet, die eine Aufrechterhaltung des Betriebs sicherstellen. So sind unsere Mitarbeiter weiterhin im Bereitschaftsdienst bei Störungen und Reparaturen vor Ort. Sie beachten dabei streng die behördlich angeordneten Verhaltens- und Hygieneregeln. Wichtig ist jedoch, dass wir in den Quarantäne-Gebieten schnell in die Verordnungen der Behörden einbezogen werden, da wir bei Stromausfällen und zur Gefahrenabwehr auch in diesen Orten unterwegs sein müssen.
Und wie steht es um die Kollegen in der Schaltleitung?
Natürlich müssen wir die Kollegen in geschäftskritischen Bereichen – und damit auch für den Betrieb der Leitstellen unserer Strom- und Gasnetze- besonders schützen und sensibilisieren. Wir haben diese Bereiche frühzeitig räumlich getrennt. Eine Option wäre auch, die Mitarbeiter für eine bestimmte Zeit von Familie und Außenwelt persönlich zu trennen. Dies war aber bislang noch nicht erforderlich.
Jedes Jahr bauen Sie im Stromnetz, um dieses fit zu halten auch für die Einspeisung mit eneuerbaren Energien. Wie gehen Sie aktuell mit dem Baugeschäft um?
In 2018 stammte 104 Prozent des Letztverbraucherabsatzes aus erneuerbaren Energien. Im vergangenen Jahr stieg dieser Anteil auf 111 Prozent an. Das heißt, wir haben in wind- und sonnenreichen Zeiten viel mehr Strom aus erneuerbaren Energien als im Netzgebiet verbraucht wird, zum Teil das 4-5-fache. Die installierte Leistung erhöhte sich ebenfalls um rund 2,8 Prozent auf 9.119 Megawatt (2018: 8.873 Megawatt). Dies stellt uns im Hinblick auf die Maximallast von zirka 3000 Megawatt, die sich jetzt Covid-19 bedingt noch reduziert hat, vor große Herausforderungen im Stromnetz. Für eine stabile und zuverlässige Stromversorgung ist daher ein weiterer Ausbau unsere Netze notwendig.
Wir planen auch für das Jahr 2020 umfangreiche Erneuerungs-, Erweiterungs-, und Instandhaltungsmaßnahmen. Dazu zählen weitere Verknüpfungspunkte zum Höchstspannungsnetz in Brandenburg und in Sachsen-Anhalt, um das Stromnetz in der Region zu entlasten. Zudem werden neue Hochspannungsleitungen gebaut oder vorhandene Leitungen verstärkt.
Strom aus erneuerbaren Energien muss zurückgespeist werden, wenn er nicht verbraucht wird. Gibt es hier neue Erkenntnisse und Lösungen?
Wir befinden uns bei der Stromversorgung in einem großen Transaktionsprozess, weg von großen zentralen, konventionellen Erzeugungseinheiten hin zu dezentralen Einheiten, die zudem Systemdienstleistungen erbringen müssen.
Dies erfordert neben dem Netzausbau die Lösung zahlreicher Fragestellungen, die wir bei MITNETZ STROM, aber auch mit den anderen Partnern/ Verteilnetzbetreibern in der ARGE FNB OST aufgesetzt haben. Hierbei handelt es sich um Forschungs- und Entwicklungsprojekte, z. B: Frequenz- und Spannungsregelung, Redispatch, intelligentes Lastmanagement, Flexibilitätsmarkt. Und wir beschäftigen uns mit Zukunftsprojekten, wie zum Beispiel der Forschung zur Wasserstoffnutzung als Teil des HYPOS-Projektes Wir müssen mehr Energie speichern und möglichst auch vor Ort nutzen können, um den Netzausbau nicht zu überfordern.
Hierfür sind aber auch noch regulatorische Fragestellungen zu lösen, denn das heutige Regime der Anreizregulierung ist noch aus der Zeit, als es nur den Weg von den Großkraftwerken zum Kunden gab. Es basiert auf der Theorie, dass gleichartige Aufgaben durch Rationalisierung immer preisgünstiger erledigt werden können. Doch es sind immer mehr und neue Aufgaben hinzugekommen. Auch auf der Kundenseite hindern uns derzeit regulatorische Hemmnisse noch daran, beispielsweise durch Lastzuschaltung Netzengpässe abzubauen.
Sie sprachen eingangs auch im Hinblick auf die Netze von langfristigen Lessons learned. Welche Schwerpunkte setzen Sie hier?
Derzeit findet infolge der Corona-Krise ein Umdenken statt. Jahrelang hat sich die moderne Gesellschaft als unangreifbar betrachtet. Infolgedessen wurden Vorbereitungen auf Krisenfälle reduziert. Seit der Wende 1990 wurden beispielsweise Notfallkrankenhäuser aufgegeben. Bei der Belieferung mit Schutzmasken und Medikamenten setzten alle Staaten auf eine Just in Time Lieferung, häufig aus einzelnen Werken in China. Aktuell werden Schutzmasken wieder in Deutschland gefertigt. Es bleibt zu hoffen, dass dies auch für andere Bereiche des Katastrophenschutzes umgesetzt wird.
Für die Energieversorgung war zuletzt vor dem Hintergrund der Erderwärmung eine Rallye von Maßnahmen aufgerufen: Abschaltung von Kern-, Braunkohle-, Steinkohlekraftwerken. Auch das Verbot von Öl und Gas für Heizung steht im Raum, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Allerdings wurden wichtige Botschaften ignoriert, dass ohne Speichermöglichkeit und Etablierung von Steuerungs- und Regelungsprozessen enorme Risiken für die Funktionsfähigkeit der Infrastruktur bestehen. Gefordert ist deshalb ein Plan, der Versorgungsrisiken, Speicherung und volatile Einspeisung aus erneuerbaren Energien betrachtet. Es bleibt zu hoffen, dass das Umdenken durch Corana zu einer langfristigen Verbesserung für die Infrastruktur und die Netzbetreiber führt.
Vielen Dank für das Gespräch.
www.mitnetz-strom.de