Nachricht
Kategorie: Transformation
Systemintegration von erneuerbaren Erzeugungsanlagen
Die Versorgungssicherheit muss auch bei einem wachsenden Anteil von Wind- und Sonnenstrom zuverlässig, umweltverträglich und kosteneffizient bleiben. Die steigenden Anteile erneuerbarer Erzeugung, die allerdings je nach Wetterlage starke Schwankungen aufweist, stellen den Strommarkt und seine Akteure vor Herausforderungen. Insbesondere Netzbetreiber sind davon betroffen. Am Beispiel einer optimierten Datenintegration zwischen dem Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) TenneT TSO und führenden Verteilnetzbetreibern (VNB) in der Regelzone verweisen Geschäftsführer mehrerer Netzbetreiber im folgenden Beitrag auf die Brisanz dieser Situation, zeigen aber auch Lösungsansätze für Datenaustausch und Effizienzpotentiale auf.
Je 40 % der deutschen Wind- und PV-Einspeisung fallen gegenwärtig in die TenneT-Regelzone, in Summe sind dies über 40 GW an installierter Leistung aus Erneuerbaren Energien, davon rund 17 GW aus Wind und 15 GW aus PV. TenneT ist damit der am meisten von der veränderten Erzeugungsstruktur betroffene Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB). Rund 70 % dieser installierten Leistung entfallen auf die Top 7 Verteilnetzbetreiber (VNB) in der TenneT-Regelzone. Netzübergreifende Systemintegration von EE-Anlagen durch optimierte Datenintegration zwischen dem ÜNB TenneT TSO und führenden VNB in der Regelzone kann hier ein Lösungsansatz sein.
Gefährdung der Netzstabilität
Beispielhaft verdeutlicht ein Blick auf das Gebiet der EWE NETZ die Herausforderungen. Die installierte EE-Leistung beträgt bereits heute 220 % der Jahreshöchstlast der EWE NETZ, die EE-Produktion umfasst mehr als 75 % der durchgeleiteten Strommenge.
Zentrale konventionelle Energieträger werden durch dezentrale erneuerbare Energieträger sowie (zentrale) Erneuerbare im Offshore-Bereich verdrängt. Hieraus resultieren eine Änderung der Lastflussrechnung und -richtung als auch Herausforderungen bei der Spannungshaltung und im Blindleistungshaushalt im Übertragungs- und Verteilnetz.
Mit Engpässen in den Übertragungs- und Verteilnetzen bei parallel abnehmender gesicherter Kraftwerkskapazität führt dies zu Schwierigkeiten bei der Aufrechthaltung der Netzstabilität durch die ÜNB und erfordert eine zunehmende Netzreserve und Regelleistungsabruf.
Für die Beseitigung von Engpässen sind mehr und mehr dezentrale Partner (in unterlagerten oder überlagerten Netzen) zu beteiligen. Netzbetreiber müssen aktiv Systemdienstleistungen einsetzen bzw. von Anlagenbetreibern einfordern, um ihre Verteilnetze stabil zu halten und damit einen hochqualitativen Netzbetrieb zu gewährleisten.
TenneT und EWE NETZ setzen sich deswegen für eine stärkere Einbeziehung der Erneuerbaren Energieträger in die Bereitstellung von Systemdienstleistungen ein, z. B. die Bereitstellung von Regelleistung. Hier arbeitet TenneT an verschiedenen Konzepten und steht mit Anlagenbetreibern in engem Austausch, z. B. bei Regelleistung aus Power-to-Gas-Anlagen und Schwarmspeichern. EWE NETZ arbeitet bereits seit vielen Jahren an neuartigen Konzepten zur Bereitstellung von Blindleistung durch Erzeugungsanlagen zur Optimierung der statischen und dynamischen Spannungshaltung sowie des Blindleistungshaushaltes im Verteilnetz. Erste grundlegende Konzepte befinden sich bei EWE NETZ bereits erfolgreich in der Operationalisierung.
Einfluss lokaler Erzeugungsgradienten
Je ungleichmäßiger dezentrale und fluktuierende Erzeuger und damit deren Leistungsdichte verteilt sind, umso stärker wirken sich lokale Erzeugungsgradienten durch Böen und Wolkenzug auf die beschränkteren Kapazitäten der Verteilnetze aus. Bei lokaler Betrachtung von Wind- und PV-Anlagen haben derartige Phänomene immensen Einfluss auf das Einspeiseverhalten, denn Böen und Wolkenzug können bei großer Leistungsdichte zu sehr großen Sprüngen in der Erzeugungsleistung führen.
Lokal wirkt sich das je nach Größe der Anlage unter Umständen gravierend aus, auf ein größeres Netzgebiet bzw. auf mehrere Anlagen unterschiedlicher Bauart und Größe bezogen, können sich solche Effekte ausmitteln, so dass die Leistungsgradienten deutlich flacher sind.
Es kann jedoch auch das genaue Gegenteil eintreten, so dass sich die Effekte summieren, z.B. wenn eine entsprechend breite Windfront über ein Gebiet mit vielen ähnlich gearteten Windkraftanlagen zieht. Die Vorhersage für einzelne Anlagen bzw. lokal auftretende Engpässe ist somit äußerst schwierig und aufgrund der ungenauen Wetterprognosen nur mit geringem zeitlichem Vorlauf möglich.
Diesen Tatsachen ist es geschuldet, dass z. B. bei der Main-Donau Netzgesellschaft viele Regelungsmaßnahmen anhand einer "Worst-Case/Best Case Betrachtung" und unter Zugrundelegung aller gesetzlichen Vorgaben (z. B. Diskriminierungsfreiheit) durchgeführt werden, so dass die Netzsicherheit auch bei stark fluktuierender Einspeisung stets gewährleistet wird.
Zunahme von Redispatch
Erforderliche Netzeingriffe nehmen dabei auf ÜNB- und VNB-Ebene deutlich zu. So wurden durch TenneT Eingriffe in die Kapazität konventioneller Kraftwerke (Redispatch) im ersten Halbjahr 2014 in insgesamt 537 Fällen initiiert, im 1.Halbjahr 2015 stieg diese Zahl auf 718 Eingriffe, eine Steigerung um mehr als 30 %. Auch beim Einspeisemanagement erwartet TenneT eine massive Steigerung um 200 % in 2015 (voraussichtlich 1.000 GW) im Vergleich zu 2014 (326 GW).
Die Netzleitstelle der EWE NETZ muss immer öfter die Einspeiseleistung von Anlagen, die zu viel Strom aus erneuerbaren Quellen einspeisen, zeitweise reduzieren, sonst wäre das Netz überlastet. Im 1. Halbjahr wurden mit knapp 1.050 Eingriffen für Einspeisemanagement die Eingriffe des gesamten Jahres 2014 (in Summe 650) übertroffen. Bis zu über 90 % der Eingriffe sind Anforderungen aus dem vorgelagerten Netz, mit steigender Tendenz. Diese Erkenntnisse untermauern auch Zahlen aus dem Netz der Main-Donau Netzgesellschaft. Die meisten geplanten Netzab- und Netzumschaltungen zwischen März und Oktober im Mittel- und Hochspannungsnetz der Main-Donau Netzgesellschaft sind ohne vorherige Einspeise-Engpassanalyse und entsprechende Gegenmaßnahmen kaum noch durchführbar. Selbst nach Ausschöpfung aller netzbezogenen Maßnahmen bleibt in vielen Fällen nur noch die temporäre Reduzierung der Einspeiseleistung von EE-Anlagen als ein letztes Mittel zur Wahrung der Netzsicherheit, mit steigender Tendenz.
Datenquellen sind unverzichtbar
Die beschriebenen Aktivitäten zur Gewährleistung der Systemsicherheit und -stabilität sowie die verpflichtende EEG-Vermarktung durch die ÜNB, haben Auswirkung für die Allgemeinheit und gehen kostenmäßig in die Netzentgelte und die EEG-Umlage ein. Damit diese Kosten gering bleiben, ist eine gute Kenntnis der aktuellen Situation im Netz erforderlich. Das Übertragungsnetz ist bereits heute ein Smart Grid. In der Netzleitstelle liegen alle relevanten Daten des Netzbetriebs in Echtzeit vor. Alle Zähldaten an Einspeise- und Ausspeisepunkten werden online erfasst, das Netz wird komplett ferngesteuert. All diese Daten sind notwendig, um die fluktuierende Einspeisung der erneuerbaren Energieträger im Netz einzubinden.
Nur die genaueste Kenntnis des momentanen Netzzustandes und eine präzise Prognose von Last und Einspeisung, die regionale Verteilung eingeschlossen, gewährleisten einen sicheren Systembetrieb und führen zu einer optimalen Auslastung des Netzes. Deswegen ist der ÜNB als Systemverantwortlicher künftig mehr denn je auf einen umfassenden Zugriff auf Daten von Erzeugung und Verbrauch angewiesen. TenneT und große VNB nutzen bereits heute verschiedene Datenquellen, arbeiten mit mehreren Prognose-Dienstleistern zusammen und erzeugen aus den Einzelprognosen eine EE-Metaprognose, die fortlaufend optimiert wird. Aktuelle und ausreichend detaillierte Daten sind dabei für eine hochwertige Prognose unerlässlich.
Optimierung Datenaustauschverfahren
Das bisherige Datenaustauschverfahren zwischen ÜNB und VNB basiert im Wesentlichen auf monatlich gemeldeten EEG-Überführungs zeitreihen (EUZ) der Einspeisung. Daraus resultiert ein Mehraufwand für Regelenergiebeschaffung/- bereitstellung, da die Daten mehrere Wochen alt sind, bevor der ÜNB sie nutzen kann. In den Netzen der VNB sind jedoch weitaus mehr und aktuellere Daten zu den EE-Anlagen vorhanden.
So binden die Main-Donau Netzgesellschaft und EWE NETZ seit 2009 alle Erzeugungsanlagen über 100 kW unabhängig von der Netzebene mittels bidirektionaler Fernwirktechnik an das Netzleitsystem an. Durch dieses Verfahren stehen der Netzführung mittlerweile Informationen über ca. 60% der installierten Gesamtleistung (1 GW an installierter Leistung bei der Main-Donau Netzgesellschaft; 3,2 GW bei der EWE NETZ) zur Verfügung. Auf Basis dieser Online-Werte kann ein repräsentativer Wert für die gesamte aktuelle PV-Einspeisung ermittelt werden.
Messstellen qualifizieren
Die intensivierte Zusammenarbeit der TenneT mit den VNB in der Regelzone bei EE-Anlagen mit dem Fokus einer verstärkten Daten- integration birgt weiteres Effizienzpotenzial. Heute bei großen VNBs wie EWE NETZ, Main- Donau Netzgesellschaft, Westfalen Weser Netz und EnergieNetz Mitte in Realzeit vorliegende hochfrequente und -granulare Messdaten stellen gleichsam eine datenbasierte Grundlage dar, die beim systemverantwortlichen ÜNB Kosten spart und die Systemstabilität maßgeblich verbessern kann. Bereits die Nutzung von Day After Daten der VNB führt bei der TenneT zur Reduktion von Prognosefehlern bei z. B. Biomasse und Laufwasser um mehr als 50 % in der Regelzone. Resultat ist eine Reduzierung des Regelenergiebedarfs durch eine bessere EEG-Vermarktung und Einsparungen für die Netzkunden in Millionenhöhe.
Bei stark fluktuierenden Energieträgern wie Wind und PV hingegen sind Online Daten erforderlich: TenneT treibt aus diesem Grund aktuell den Aufbau eines PV-Online Messnetzes in Kooperation mit den VNB mittels einer Netzleitstellenkopplung voran. Dabei erfolgt ein Datenaustausch zu den auf den Netzleitstellen der VNB aufgeschalteten PV-Anlagen (meist > 1 MW). Aber auch TenneT Referenz-Messstellen werden aufgebaut und eingebunden sowie lastganggemessene-PV- Anlagen mittlerer Anlagengröße in den Netzen der VNB, die dazu mit spezieller Übertragungstechnik ausgestattet werden.
Die Inbetriebnahme erster Installationen erfolgt in Kürze bei der Westfalen Weser Netz und der EnergieNetz Mitte. Weitere Datenquellen können Daten aus PV-Wechselrichtern sein, die die Firma SMA in höherer Frequenz als heute verfügbar macht.
Aus dem PV-Online-Messnetz resultieren wesentliche Vorteile für die beteiligten Netz betreiber:
- Erstellung von Einspeise-Hochrechnungen für die Netzgebiete der VNB durch die TenneT,
- Erstellung von Einspeise-Hochrechnungen für die TenneT Regelzone in noch höherer Qualität als bisher,
- Schaffung einer validen Datenbasis nach PLZ als Eingangsgröße für die durch Dienstleister erstellten Einspeiseprognosen,
- Vermarktungsprognose durch Nutzung der Online- Daten. Dies ermöglicht eine genauere Netzsicherheitsberechnung (Lastflüsse, Grenz - kapazitäten etc.) und der Einsatz von Regelleistung kann durch eine exaktere Bilanzkreisbewirtschaftung optimiert werden.
Der Nutzen für TenneT, die VNB und die Netzkunden übersteigt den mit dem Aufbau des PV-Online-Messnetzes verbundenen Aufwand deutlich. Bis zur Umsetzung einer umfassenden Datenintegration zwischen ÜNB und VNB sind noch zahlreiche technische, rechtliche und netzwirtschaftliche Fragestellungen von IT-Schnittstellen über Datennutzungsrechte bis hin zu Kosten anerkennung und -verrechnung zwischen den Netzbetreibern untereinander und mit der BNetzA zu klären. Auch ein noch weiter intensivierter, wechselseitiger Datenaustausch zu Netz zuständen z. B. zwischen TenneT und der Westfalen Weser Netz zur Optimierung von in die Leitsysteme integrierten Netz analysen in den 110kV Netzen wird dabei sinnvoll sein. Dadurch kann ein genaueres Verständnis im Bereich der Randnetze der Verteilnetzbetreiber über die umliegenden Lastverhältnisse sichergestellt werden, um die bei gewissen Netzzuständen auftretenden Transitströme aus dem 400kV Netz über die 110kV Netze und die 220kV Netze wieder in die 400kV Netze berücksichtigen zu können.
Die Kenntnis der für den Energiefluss erforderlichen Schalterstellungen (Sammel schienen-, Abgangs- und Leistungsschalter sowie Trenner), der Messwerte für Strom, verketteten Spannung, Leistung und Blindleistung der Abgänge und, soweit vorhanden, die verkettete Sammelschienenspannung ist dabei wesentlich. Für EnergieNetz Mitte ergibt sich aus dem Projekt heraus auch die Chance der Vereinheitlichung von Schnittstellen und Daten. Dies besonders vor dem Hintergrund, dass Daten zukünftig mit ÜNB, aber auch vor- und nachgelagerten VNB ausgetauscht werden. Einige VNB sind in zwei Regelzonen vertreten und streben aus diesem Grund regelzonenübergreifend vereinheitlichte Prozesse an. Es bleibt abzustimmen, wie zukünftig die An forderungen der ÜNB noch besser vereinheitlicht werden können und z. B. eine gemeinschaftliche Formulierung der Vereinbarungen mit den VNB realisiert werden kann.
Eine Weiterentwicklung des Datenaustauschs könnte bei der Konkretisierung des Energieinformations netzes im Rahmen des BDEW erfolgen. Bei der Anpassung der Marktprozesse kommt der Bundesnetzagentur eine führende Rolle zu. VNB und ÜNB werden sich aktiv in die Diskussionen einbringen.
Daneben sollen aber auch Demonstrationsprojekte genutzt werden, um wesentliche Elemente einer verbesserten Datenintegration konzeptionell zügig weiter voranzutreiben. TenneT und EWE NETZ sowie weitere Partner sind beispielsweise im Demonstrationsprojekt enera im Rahmen des vom BMWi aufgelegten SINTEG Förderprogramms aktiv, um die konzeptionellen Ansätze zu einer konkreten Anwendung zu bringen.
Die Main-Donau Netzgesellschaft ist sich bewusst, dass die Wahrung der Netzsicherheit neben verlässlichen Prognosen auch von einem geeigneten Grad an Beobachtbarkeit der Netzsituationen abhängt. Jeder Netzbetreiber muss diesen Grad für sich bestimmen. Er sollte die Daten erhalten, die er für den sicheren und effizienten Netzbetrieb sowie den Netzausbau benötigt.
EnergieNetz Mitte, EWE NETZ, Main-Donau Netzgesellschaft, Westfalen Weser Netz und TenneT sind sich bewusst, dass nur im koordinierten Zusammenspiel zwischen ÜNB und VNB sinnvolle, effiziente Lösungen für die Sicherstellung der Systemstabilität einerseits und die Netzstabilität im Verteilnetz andererseits erreicht werden können.
Für die Aufgaben der ÜNB und VNB müssen die relevanten Daten möglichst automatisiert zur Verfügung stehen, um unsere Netze auch zukünftig effizient auf die neuen Herausforderungen ausrichten zu können. Die konkrete Definition und Abstimmung des Zusammenspiels der Rollen für ÜNB und VNB wird dabei eine der zentralen Aufgaben der nächsten Monate sein.
Jörg Hartmann - Geschäftsführer - EnergieNetz Mitte GmbH
Gerald Höfer - Geschäftsführer - MDN Main-Donau Netzgesellschaft mbH
Dieter Kaiser - Sprecher der Geschäftsführung - Westfalen Weser Netz GmbH
Dr. Urban Keussen - Vorsitzender der Geschäftsführung - TenneT TSO GmbH
Torsten Maus - Vorsitzender der Geschäftsführung - EWE NETZ GmbH
Markus Teichmann - Partner - Celron GmbH