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Kategorie: Digitalisierung
Strukturwandel durch Innovation im Mitteldeutschen Revier
Prof. Dr. Ralf B. Wehrspohn, Vorstand für Technologiemarketing und Geschäftsmodelle der Fraunhofer-Gesellschaft, bis Ende September 2019 Leiter des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle (Saale ), wurde im Juni 2018 als Mitglied der Kommission »Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung« berufen.
In einem Gastbeitrag für THEMEN|:magazin unterstreicht Prof. Wehrspohn seine Überzeugung, Innovation sei der entscheidende Schlüssel für die erfolgreiche Gestaltung des Strukturwandels im Mitteldeutschen Revier. Und Mitteldeutschland könne zur Wissens-, Forschungs-, Transferund Bildungsregion werden.
Die Entwicklung einer weitgehend CO2-neutralen Energieversorgung und die Entstehung zirkulärer Wirtschaftsprozesse sollten wir nicht als klimapolitisch getriebene Gängelung begreifen, sondern als Motor für neue Wertschöpfungspotenziale. Hierbei ist Innovation ein entscheidender Schlüssel für den Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier.
Unter »Strukturwandel« verstehen wir nicht nur den Ausstieg aus der Kohleverstromung. Letztlich gilt es, industrielle Prozesse insgesamt ressourcenschonend und klimaneutral zu gestalten. Die von der Kommission erarbeiteten Empfehlungen berücksichtigen die Dimension dieser Herausforderung ebenso wie die Komplexität der Materie: Tagebaue, Datensicherheit, Prozesswärme, Schienennetze, Strompreise, Gipsindustrie, Erderwärmung, Arbeitsplätze – all das und vieles mehr spielt zusammen und muss zusammen betrachtet werden, um das Klima ebenso zu schützen wie den sozialen Frieden und die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen.
Die Fraunhofer-Gesellschaft ist als größte Organisation für anwendungsorientierte Forschung in Europa ein entscheidender Partner in diesem Prozess. Wir unterstützen Politik und Unternehmen mit Exzellenz, Kreativität und nicht zuletzt mit Präsenz in der Region, um dort gemeinsam mit Partnern innovative Technologien und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die Voraussetzung für gute neue Jobs in den einstigen Braunkohlerevieren sind. Uns leitet die Überzeugung, dass die Entwicklung einer weitgehend CO2-neutralen Energieversorgung als Motor für neue Wertschöpfungspotenziale dienen kann.
Dualität von Wasserstoff und Kohlenstoff
Eine herausragende Rolle spielt dabei die Dualität von Wasserstoff und Kohlenstoff. Im Bereich Energie und Rohstoffe kann aus Grünem Strom mittels Elektrolyse Grüner Wasserstoff werden, der in der Produktion von Kunststoff und zahlreichen Produkten der chemischen Industrie fossile Rohstoffe als Ausgangsmaterial ersetzen kann. Nachwachsende Rohstoffe, Reststoffe und kohlenstoffhaltige Abfälle stellen nachhaltigen Kohlenstoff bereit, der im Kreislauf geführt werden kann, statt am Ende der Produktlebenszeit in Form von CO2 das Klima zu belasten.
Beide Ansätze ermöglichen eine klimaneutrale Industrie und eröffnen darüber hinaus enorme Potenziale für den Mobilitätssektor, etwa mit wasserstoff- und batterieelektrischen Antrieben oder synthetischen Kraftstoffen. Um aus diesen Konzepten marktreife Technologien zu generieren, arbeitet Fraunhofer in zahlreichen Projekten eng mit den Hochschulen im Mitteldeutschen Revier und auch mit zahlreichen Unternehmen zusammen.
Konkrete Projekte
Zum Erreichen dieses Ziels hat die Fraunhofer- Gesellschaft mit ganz konkreten Aktivitäten begonnen, die zum Teil auch in den strukturpolitischen Empfehlungen der Kohlekommission für ein Strukturstärkungsgesetz berücksichtigt sind, was zusätzlichen Rückenwind für diese Projekte bedeutet. Zwei Beispiele seien stellvertretend benannt:
• Reallabor GreenHydroChem: In einem systemischen Ansatz wird hier mit zahlreichen Partnern aus der Industrie die gesamte Wertschöpfungskette von Grünem Wasserstoff untersucht. Über Teilprojekte werden dabei Großelektrolyse (Erzeugung), Wasserstoffpipeline (Transport), Wasserstoffkaverne (Speicherung) und entsprechende Großabnehmer (Verwendung) für Grünen Wasserstoff intelligent verknüpft. Dazu wollen die Partner die in Mitteldeutschland bereits bestehende Infrastruktur nutzen und erweitern.
• Versuchsanlagenverbund zirkuläre Kohlenstoffwirtschaft Mitteldeutschland in Verbindung mit Gründung eines Fraunhofer-Instituts für Wasserstoff- und Kohlenstoffprozesstechnik IWKP: Ein wichtiger Baustein dafür ist die Pilotanlage CarbonDemonstration, die in Leuna entstehen soll. Sie kann primäre und sekundäre Kohlenstoffträger, zum Beispiel Plastikmüll, in Synthesegas umwandeln, ein Ausgangsmaterial für viele Produkte der chemischen Industrie.
Innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre wollen wir Prozesse und Technologien im großtechnischen Maßstab entwickeln, die durch Wiedereinkopplung aller Kohlenstoffquellen in die Prozessketten (chemisches Recycling) den Kohlenstoff-Kreislauf schließen. Das bedeutet: Am Ende des Lebenszyklus eines Produkts wird der darin enthaltene Kohlenstoff nicht in Form von Emissionen freigesetzt, sondern in anderer Form weiter genutzt.
Standortvorteile: Braunkohle und Chemie
Mitteldeutschland verfügt über signifikante Standortvorteile, die das Revier für die Nutzung von Grünem Wasserstoff und nachhaltigen Kohlenstoffträgern sowie die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft prädestinieren: Braunkohle und Chemie haben die Region und ihre Menschen geprägt, in diesen Industriezweigen sind über Generationen Kompetenzen gewachsen. Ein Grund auch für die ungewöhnlich hohe Industrieakzeptanz und ausgeprägte Technologieoffenheit in der Region. Die Metropolen Leipzig und Halle und die starke Wissenschaftslandschaft der Region unterstützen diesen Effekt. Und die Erfahrung des Strukturwandels nach dem Ende der DDR hat das Bewusstsein geschaffen: Nur Mut, Kreativität und Innovationsstärke können dazu beitragen, das industrielle Erbe der Region zu bewahren und den Übergang in eine nachhaltige Industriegesellschaft zu meistern. Die aktuellen Fraunhofer-Aktivitäten knüpfen an erfolgreich arbeitende Cluster und moderne Strukturen an. Industrielle Symbiosen beispielsweise zwischen Energie, Chemie, Landwirtschaft und Mobilität werden erhalten und ausgebaut, für eine Modellregion zur Sektorenkopplung innerhalb der Energiewende.
Stabile Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit notwendig
Das Gelingen dieser Projekte ist natürlich kein Selbstläufer. Es gilt, die technologischen Herausforderungen zu meistern. Alle Beteiligten benötigen stabile Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit für langfristige Investitionen. Dazu gehört für die häufig energieintensive Industrie vor Ort auch eine wettbewerbsfähige und zuverlässige Energieversorgung. Ebenso sind Impulse für eine moderne Infrastruktur im Bereich Daten, Rohstoffversorgung, Transport und Verkehr gefragt, wie sie die Empfehlungen der Kommission und der Kabinettsentwurf des Strukturstärkungsgesetzes auch vorsehen. Die Politik kann überdies mit regulatorischen Freiräumen, angemessenen Beihilferegeln und starken Anreizen für Forschung und Entwicklung unterstützen.
Mitteldeutschland als ein erfolgreiches Innovationslabor für eine nachhaltige Energie- und Industrieregion, kann sich damit sowohl einen Vorsprung im Wettbewerb sichern als auch Vorbild für andere Regionen in Europa sein.
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