Nachricht

< Hohe Anforderungen an Sicherheit, Resilienz und Wirtschaftlichkeit
20.12.2022 15:16 Alter: 2 yrs

Stromnetze im Kontext mit dem Klimawandel

Im letzten Jahr die Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands, in diesem Jahr die ungewöhnliche Sturmserie im Februar und zuletzt nun die Tornados. Extremwetterereignisse nehmen zu und werden zu einem steigenden Risiko für die Stromnetze. Alexander Lehmann, Diplom-Meteorologe und Geschäftsführer der deutschen UBIMET-Niederlassung informiert in einem Gastbeitrag für THEMEN!magazin zu einem der aktuellen Kernthemen der Energiewirtschaft – Stromnetze im Kontext mit dem Klimawandel.


Alexander Lehmann, Dipl.-Meteorologe, Geschäftsführer UBIMET Deutschland Foto: UBIMET

„Maßgeschneiderte, infrastrukturspezifische Wetterund Unwetterinformationen sind heute unverzichtbarer Prozess-Bestandteil im Entstörungs-, Krisen- und Risikomanagement.“ Alexander Lehmann

Wir erleben zunehmende Extremwetter durch den Klimawandel. Damit steigen auch die Anforderungen an unsere Stromnetze. Resilienz und Arbeitssicherheit erhalten einen höheren Stellenwert, um Ausfallzeiten zu minimieren und die Qualität der Stromversorgung zu sichern.

Extremwetter nehmen zu - was ist der Grund dafür?

Man hört immer wieder „das liegt am Klimawandel“ – was grundsätzlich nicht falsch ist, eine wirkliche Erklärung allerdings ist es auch nicht. Treibende Kraft beim Wetter ist in unseren Breiten der sogenannte Jetstream – ein Starkwindband in höheren Schichten der Atmosphäre, welches sich um den Globus schlängelt und auf der Nordhalbkugel in der Regel Tiefs von West nach Ost antreibt. Dieser Jetstream entsteht in erster Linie durch die großen Temperaturunterschiede zwischen der Polarregion und den Gebieten weiter südlich.

Da sich die Polarregion im Zuge des Klimawandels stärker erwärmt als andere Regionen, nehmen diese Temperaturunterschiede ab. Als Resultat wird der Jetstream schwächer, was wiederum zur Folge hat, dass bestimmte Wetterlagen deutlich länger bei uns verharren können, sie hängen teilweise förmlich fest. Das kann nasse Wetterlagen genauso betreffen wie stürmische, heiße, trockene oder auch mal kalte Wetterlagen. Unterm Strich bleibt eins – das Wetter bei uns wird extremer.

Betroffenheit durch Starkregenereignisse – das Risikobewusstsein ist meist noch gering

Mehr Wetterextreme heißt auch potentiell mehr kritische Momente für die Netze. Die Flutkatastrophe im vergangenen Jahr hat dabei deutlich gemacht, dass nicht nur Freileitungen dem Extremwetter ausgesetzt sind. Bei extremen Starkregenereignissen muss letztlich jeder Netzbetreiber mit Auswirkungen auf sein Netz rechnen, auch dann, wenn kein Fluss in der Nähe ist. Die Technische Universität Kaiserslautern hat zu diesem Thema kürzlich eine Studie veröffentlicht: „Starkregen und urbane Sturzfluten – Agenda 2030“. Darin warnt Prof. Theo Schmitt, dass kaum eine Region in Deutschland vor Starkregen und Sturzfluten sicher ist. Die TUWissenschaftler sehen massive Versäumnisse bei Landkreisen, Städten und Gemeinden. Viele würden die Gefahren, die hinter dem wachsenden Starkregen-Risiko stecken, einfach ausblenden. Die Kommunen müssten zu mehr Prävention gezwungen werden.

Ich bezweifle, dass Zwang ein geeignetes, effektives Mittel ist. Allerdings konnten auch wir im Zuge vieler Expertengespräche mit kommunalen Netzbetreibern feststellen, dass das Gefahrenbewusstsein in erster Linie dort vorhanden ist, wo bereits ein entsprechendes Ereignis stattgefunden hat, sonst aber eher weniger. Dass es praktisch jeden Ort, jedes Netz treffen kann, ist den wenigsten bewusst.

Herausforderungen im Zusammenhang mit Extremwettern

Die Herausforderungen, denen sich Netzbetreiber im Zusammenhang mit Extremwetterereignissen gegenübersehen, sind sehr divers. Ein Stadtwerk mit hohem Verkabelungsgrad hat auf schwere Stürme und Orkane einen anderen Blick als beispielsweise der Flächennetzbetreiber mit hohem Freileitungsanteil. Bereitschaftsstärke spielt ebenso eine Rolle wie die bisherigen Ausfallzeiten – Stichwort SAIDI. Sind die Werte schlecht, so ist der Handlungsdruck automatisch höher. Was aber alle eint, ist das Ziel, bei einem Höchstmaß an Arbeitssicherheit Versorgungsunterbrechungen zu minimieren.

Bisherige Datenlage – eher grob und nicht zum Anwendungsfall passend

Bisher ist es so, dass die weit überwiegende Zahl der Netzbetreiber bei der Einschätzung der Wetterlage auf frei verfügbare Daten setzt und diese dann nach bestem Wissen und Gewissen selbst interpretiert und Handlungen ableitet. Die eingesetzten Daten sind meist recht grob, vor allem aber nicht netzspezifisch und auch nicht auf den Anwendungsfall zugeschnitten – z.B. auf die Alarmierung, Unterstützung und Optimierung der Entstörungsteams oder im Extremfall des Krisenmanagements. Im Rahmen unserer Expertenaustausche hat sich gezeigt, dass den wenigsten Verantwortlichen klar ist, was heutzutage im Bereich der Meteorologie bereits möglich ist.

Die heutigen Möglichkeiten – passgenaue Daten

Die entscheidende Frage dabei lautet, kann man Daten netzspezifisch und punktgenau für den Einsatzort meiner Mitarbeiter oder für den Ort meiner Betriebsmittel, kann man diese liniengenau berechnen, z. B. für Punkte entlang meiner Freileitung. Und die Antwort ist eindeutig – ja, man kann.

Unsere Lösung beispielsweise überwacht mit einer geografischen Präzision von teils unter 100 Metern das jeweilige Netzgebiet. Netzbetreiber werden proaktiv gewarnt, wenn die Lage zu kippen droht. Hierzu überwachen wir Umspannwerke und Trafostationen genauso wie Freileitungen und Masten. Darüber hinaus trennen wir zwischen solchen Ereignissen, die für die Infrastruktur kritisch werden können und solchen, die für die Mitarbeiter im Feld gefährlich sind. Gerade auch der letzte Punkt unterscheidet sich wesentlich von frei zugänglichen Warnungen, bei denen eine solche Unterscheidung zwischen Netz und Personen nicht stattfindet.

Der Nutzen für Netzbetreiber

Auch wenn der Sturm oder der Starkregen nicht verhindert werden können, der Nutzen liegt dennoch auf der Hand. Aus reaktivem wird proaktives Krisen- und Risikomanagement. Mit den präzisen Unwetter-Informationen zur betroffenen Infrastruktur kann die Entstörung effektiver und schneller vorangetrieben werden; Versorgungsunterbrechungen werden kürzer, Bereitschaftszeiten optimiert. Das Ganze bei gleichzeitig erhöhter Arbeitssicherheit, weil nicht irgendeine eine beliebige Region überwacht wird, sondern der tatsächliche Einsatzort.

Und wie sieht es in Zukunft aus?

Der Klimawandel ist im Gange und damit auch die Veränderungen an der (Extrem-) Wetterfront. D. h. aber auch, dass wir bei einer entsprechenden Risikobewertung nicht mehr in erster Linie in die Vergangenheit, sprich in die Historie, schauen dürfen. Mit Hilfe von sehr spezialisierten Analyse- und Modellverfahren, die die neusten Klimaszenarien berücksichtigen, lassen sich die Veränderungen von netzspezifischen Extremwetterrisiken deutlich präziser ermitteln.

Opens external link in new windowwww.ubimet.de

[UBIMET Deutschland]

Als international agierendes Unternehmen bietet UBIMET qualitativ hochwertige meteorologische Daten, Vorhersagen und Warnungen, die es wetterabhängigen Branchen weltweit erlauben, Sicherheit und Effizienz von Geschäftsprozessen zu erhöhen. Zu den Kunden zählen im Bereich der Energiewirtschaft alle Übertragungsnetzbetreiber, die meisten großen und viele kleine Verteilnetzbetreiber, Stadtwerke sowie Direktvermarkter. Hinter UBIMET steht ein internationales Team aus mehr als 25 Nationen, welches sich zum Ziel gesetzt hat, neue Standards in der Meteorologie zu setzen.