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28.04.2022 10:03 Alter: 2 yrs

Stadtwerke sind Umsetzer der Wärmewende vor Ort

Zum Erreichen ihrer Klimaschutzziele hat sich die Ampelkoalition große Wegmarken gesetzt. Doch Klimaschutz und Versorgungssicherheit ohne Einbeziehung der Stadtwerke geht nicht. Zu aktuellen Herausforderungen der Stadtwerke mit einem Blick auf den Wärmemarkt ist THEMEN!magazin im Gespräch mit Paul-Vincent Abs, Partner bei der FICHTNER MANAGEMENT CONSULTING AG.


Paul-Vincent Abs, Partner, Fichtner Management Consulting AG Foto: FMC

„Um die Herausforderung der Dekarbonisierung des Wärmemarkts zu schaffen, scheint ein Zusammenspiel verschiedener Energieträger volkswirtschaftlich am sinnvollsten.“ Paul Vincent Abs

Herr Abs, vor welchen Herausforderungen stehen aktuell Stadtwerke?

Stadtwerke tragen als entscheidendes Bindeglied zwischen Erzeuger und Verbraucher eine Hauptlast bei Versorgungsfragen, sie sind im politischen Raum aber weitgehend ausgeblendet. In den vergangenen Monaten gerieten die Portfolien der Stadtwerke massiv unter Druck. Die sprunghaften Anstiege der Strom- und Gaspreise machen den kleinen und großen Versorgungsunternehmen weiterhin stark zu schaffen.

Problematisch ist zudem die Ungewissheit der weiteren Entwicklung. Der Ukraine-Konflikt sorgt derzeit für große Verunsicherung. Ungewisse künftige Energielieferungen treffen auf historisch niedrige Gasspeicherstände in Deutschland. Dies führt uns unsere Abhängigkeit von Energieimporten, insbesondere aus Russland, vor Augen. Werden wir in einen Versorgungsengpass fallen?

Besonders ist diese Frage im Wärmemarkt relevant, da dieser zum Großteil auf importierte fossile Energieträger, hauptsächlich Erdgas, angewiesen ist. Somit liegt ein Schatten auf dem Energieträger Erdgas, der bislang als Brückentechnologie der Energiewende zählte. Da Stadtwerke bei der Umsetzung der klimapolitischen Ziele der Ampelkoalition ohne Frage einen Platz an vorderster Front einnehmen werden, müssen sie sich als kommunale Versorger daher auf ein beschleunigtes Tempo zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 einstellen.

Der Wärmemarkt ist in der Diskussion um Klimaschutzziele unterbelichtet, welche Ursachen machen Sie aus?

Im Strommarkt wurden durch die EEG-Förderung in den vergangenen beiden Jahrzehnten wesentliche Technologieentwicklungen und Ausbaupfade erreicht, so dass mittlerweile fast 50 % des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammt. Der Wärmemarkt steht bei diesem Umschwung hin zu Klimaneutralität noch am Anfang. Die Anreize zur Umstellung auf bzw. Nutzung von Erneuerbaren Energien waren dort bisher gering.

Dabei könnte der Wärmemarkt doch entscheidend zur Verbesserung der Klimabilanz beitragen?

Richtig. Mit der Einführung des CO2 -Preises im Wärmemarkt und der Verschärfungen der Regularien bei Neubau und Sanierung geht der Trend mittlerweile klar in Richtung CO2 -neutrale Energieversorgung. Trotzdem ist ungefähr die Hälfte der Wohnfläche derzeit mit Erdgas und ein Viertel mit Erdöl beheizt. Bei der Gewerbefläche ist der fossile Anteil noch höher. Dieser Anteil muss bis 2045 komplett verschwinden. Dazu ist die Energieeffizienz zu steigern, wodurch der gesamte Energieverbrauch im Wärmemarkt reduziert werden kann. Umfassende Gebäudesanierungen und Steigerungen der Geräteeffizienz werden dazu beitragen. Der verbleibende Bedarf an Energie muss klimaneutral zur Verfügung gestellt werden. Ein großer Hoffnungsträger ist die Wärmepumpe, die in den vergangenen Jahren erhebliche Effizienzgewinne verzeichnet hat und voraus sichtlich in den kommenden Jahren einen starken Markthochlauf erleben wird. Mittels Einspeisung von Biomethan und sauber erzeugtem Wasserstoff kann perspektivisch die verbleibende Gasinfrastruktur dekarbonisiert werden.

Aber warum geht es im Wärmemarkt kaum vorwärts?

Die Steigerung der Energieeffizienz geht mit einer Erhöhung der Sanierungsquote einher. Ob diese signifikant gesteigert werden kann, bleibt fraglich, da sie seit Jahren um ca. 1,0% stagniert. Das Ende des Mangels an nötigen Handwerkern ist nicht absehbar. Dazu kommen eine Verteuerung und Knappheit von Rohstoffen. Der Zubau an Wärmepumpen erfordert einen kostenintensiven und aufwändigen Ausbau der Stromnetze, der zum ohnehin nötigen Ausbau aufgrund der Elektromobilität hinzukommt. Außerdem sind Wärmepumpen nicht in jedem Umfeld einsetzbar. Ein Beispiel ist der Altbau, wo oft der benötigte Platz fehlt oder der Sanierungszustand nicht ausreicht. Beim Wasserstoff herrscht noch Ambivalenz, ob dieser überhaupt im Gasverteilnetz Einzug halten wird oder ob die künftige Wärmeversorgung „all-electric“ stattfinden wird.

Wie könnte der Wärmemarkt mehr Zuspruch erfahren?

Um die Herausforderung der Dekarbonisierung des Wärmemarkts zu schaffen, scheint ein Zusammenspiel verschiedener Energieträger volkswirtschaftlich am sinnvollsten. Neben der Elektrifizierung kann auf die bestehende Gasinfrastruktur zurückgegriffen werden, wodurch der Bedarf und somit die hohen Kosten des Stromnetzausbaus reduziert werden. Erste Reallabore zeigen die technische Möglichkeit der Umrüstung bestimmter Abschnitte des Verteilnetzes auf Wasserstoff. Dieser kann klimaneutral lokal erzeugt oder importiert werden und bisher gasversorgte Haushalte mit klimaneutralem Gas versorgen. Außerdem kann die Fernwärme ausgebaut und weiter dekarbonisiert werden, z. B. mit Wasserstoff, Solarthermie, Geothermie, Großwärmepumpen, etc.

Welche Strategie sollten Stadtwerke fahren?

Für die Führungsebene der Stadtwerke ist entscheidend, den eigenen Fahrplan zur Dekarbonisierung der Wärme zu kennen. Wo müssen Stromnetze ausgebaut werden? Wo und wie kann das Gasnetz sinnvollerweise H2 -ready gemacht werden? Welche Netzdaten werden benötigt und wie können diese erfasst werden? Wie kann die Fernwärme dekarbonisiert werden bzw. wo lohnt es sich, diese auszubauen? Wie müssen Investitionen priorisiert werden? All dies sind wichtige Entscheidungen, die bereits heute getroffen werden müssen.

Es braucht zudem eine klare Zielnetzplanung, die idealerweise mit der Dekarbonisierungsstrategie der Kommunen einher geht. Der Bedarf an Strom, Gas und Fernwärme wird sich entsprechend der Gebäude- und Regionalstruktur verändern. Stadtwerken kommt hier die Aufgabe zu, ihre Zielnetzplanung sowie ggf. lokale Erzeugung entsprechend diesen Veränderungen anzupassen und einen Transformationsplan bis 2045 zu entwickeln.

Ihr Fazit?

Der Wärmemarkt steht am Anfang eines großen Umbruchs. Stadtwerken als Motor der Energiewende vor Ort stehen neue Herausforderungen zur Dekarbonisierung des Wärmemarkts gegenüber. Bereits heute ist es entscheidend, einen bedarfsgerechten Fahrplan zur Umstellung der Wärmeversorgung vor Ort zu entwickeln, um den künftigen Anforderungen der Wärmewende gerecht zu werden und auch im Wärmemarkt bis 2045 Klimaneutralität erreicht zu haben.