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Kategorie: Nachhaltigkeit
Staatseinflüsse auf Preisentwicklung korrigieren
Der Energiesektor hat eine immense volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung; und die Politik hat weitreichende Eingriffe in diesen Sektor vorgenommen, mit entsprechend umfangreichen Folgewirkungen. Professor Dr. Marc Oliver Bettzüge, Direktor des Energiewirtschaftliches Institutes an der Universität zu Köln (EWI) appelliert an die neue Bundesregierung, einen tragfähigen ordnungspolitischen Rahmen für die weitere Gestaltung der Energiewende zu schaffen. Dieser Beitrag basiert auf seinem Einführungsreferat auf der diesjährigen EWI-F.A.Z. - Energietagung, die unter der Überschrift „Gibt es einen Kompass für die Energiewirtschaft?“ am 3. September in Köln stattgefunden hat.
Die sogenannte „Energiewende“ ist bislang vor allem eine „Stromwende“, während die Wärme- und Transportsektoren im Vergleich zu deren jeweiliger energiewirtschaftlicher Bedeutung eine eher untergeordnete Rolle spielen. Diese „Stromwende“ nimmt ihren Ausgangspunkt in einem politisch vorgegebenen, sehr ehrgeizigen und teilweise überbestimmten Zielsystem für die Angebots- und die Nachfrageseite der Stromwirtschaft. Ein tragfähiger ordnungspolitischer Rahmen für die Erreichung dieser Ziele fehlt jedoch nach wie vor. Im Gegenteil, die Eingriffe der deutschen Politik haben einen dirigistischen Charakter und sind von einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen geprägt. Ein kohärenter Gesamtrahmen, der sich insbesondere auch in die europäischen Vorgaben des Binnenmarktes und des Emissionshandels einpasst, ist bislang nicht erkennbar. Auf Fehlentwicklungen wird – statt mit einer Generalvision des energiepolitischen Ansatzes - nur mit weiteren Einzelmaßnahmen reagiert. In dieser Interventionsspirale kann man einen Beleg für die Gültigkeit der sogenannten „Ölflecktheorie“ nach Ludwig von Mises sehen. Diese besagt, dass ein dirigistischer Eingriff in die Preisbildung in einem zunächst abgegrenzten Teilbereich der Ökonomie unweigerlich weitere Marktbereiche beeinflusst, woraus sich ein immer weiter reichender politischer Eingriffsbedarf ergibt.
Ordnungspolitische „Sünde“ staatlich festgelegter Preise
Im Kern der derzeitigen „Stromwende“-Politik steht der Eingriff in das Preisgefüge des Strommarkts durch das EEG, dem Gesetz zur Förderung der Erneuerbaren Energien. Das EEG fixiert vielfältig differenzierte Vergütungssätze, also staatlich administrierte Preise, für erneuerbar erzeugten Strom. In den ersten Jahren der Existenz des EEG betraf diese ordnungspolitische „Sünde“ in Form von staatlich festgelegten Preisen in einem ansonsten liberalisierten Markt nur eine Nische des Strommarkts. Mittlerweile zieht diese Marktverzerrung weitreichende Folgen nach sich. Denn abgesehen von den langfristigen volkswirtschaftlichen Kosten und kritischen Verteilungseffekten führt das EEG auch im europäischen Strombinnenmarkt zu erheblichen Verwerfungen. Feste Vergütungssätze und die Zwangseinspeisung des EEG-Stroms verändern im relevanten Ausmaß den Preis auf dem Großhandelsmarkt, und das über die Grenzen Deutschlands hinaus. Gleichzeitig werden Rückwirkungen des Großhandelspreises auf die Investitions- und Einsatzentscheidungen von EE-Anlagenbesitzern ausgeschlossen. Zudem führt das Phänomen von negativen Preisen für das Gut „Strom“ zu verzerrten Anreizen auf der Nachfrageseite. Eine bereits jetzt über dem durchschnittlichen Strompreis liegende Umlage setzt volkswirtschaftlich ineffiziente Anreize, mittels Eigenerzeugung die Stromerzeugung in die eigene Hand zu nehmen und sich aus dem Markt und aus der Solidargemeinschaft auszuklinken. Die staatliche Preisfestsetzung im EEG ist daher die Hauptursache für die derzeitigen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der „Stromwende“.
Ordnungspolitische Fragen an das Stromkapitel im neuen Regierungsprogramm
Übergreifend sollte das Regierungsprogramm sich zu einer europäisch und wettbewerblich ausgerichteten Marktordnung und zu einer graduellen Vereinfachung des energiewirtschaftlichen Regulierungsrahmens bekennen. Für die Stromwirtschaft sind in diesem Zusammenhang vier Bereiche von besonderer Bedeutung.
Erstens sollte sich die neue Bundesregierung auf eine Linie für die Entwicklung des europäischen Rahmens in der Periode von 2020 bis 2030 verständigen. Hierbei ist die Frage nach einer Perspektive für die Stärkung des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) und seiner Fortführung über 2020 hinaus rasch zu beantworten. Hinzu kommt die Entscheidung, ob und wie die Bundesregierung ein gemeinsames europäisches EE-Ziel für den Zeitraum 2020 - 2030 durchsetzen will, und welchen Anteil Deutschland bei der Finanzierung, also beim sogenannten „Effort Sharing“ nehmen soll. Steht ein einheitliches EE-Fördersystem für Europa ab dem Jahr 2020 auf der Agenda? Kosteneffizient wäre hierbei nur ein System, welches standort- und technologieneutral ist und der Formel „Strompreis + X“ entspricht.
Zweitens muss das Stromkapitel die Gestaltung der deutschen Förderung von EE-Neuanlagen im Zeitraum 2014 bis 2020 beschreiben. Wie kann der deutsche EE-Sektor schrittweise auf die Europäisierung der Branche ab 2020 vorbereitet werden, damit eine eigenständige deutsche EE-Förderung spätestens dann ersatzlos entfallen kann. Eine kurzfristige EEG-Reform in Deutschland muss in jedem Fall das Ziel verfolgen, die Kosten und sonstige Folgewirkungen des weiteren EE-Ausbaus nach Möglichkeit zu reduzieren.
Drittens hat sich die neue Regierung mit der Zusammensetzung des Strompreises zu befassen. Ziel sollte eine weitgehende Gleichbehandlung von eigenerzeugtem und fremdbezogenem Strom bei den diversen Steuern und Umlagen (mit Ausnahme der Umsatzsteuer) sein. Hierbei müssten Netzentgelte verursachungsgerecht berechnet werden und die Höhe der Belastung durch die Stromsteuer sollte identisch sein für eigenerzeugten und für fremdverbrauchten Strom. Eine Schlüsselfrage betrifft dabei die zukünftige Finanzierung der bereits eingegangenen Verpflichtungen für die EE-Bestandsanlagen.
Und viertens sollte sich die Bundesregierung zur Thematik der Kapazitätsmechanismen äußern. Hier müssen drei unterschiedliche Aspekte auseinander gehalten werden. Zum einen muss anhand der energiewirtschaftlichen Realitäten eine Entscheidung gefällt werden, ob, wann und wie ein deutschlandweiter Kapazitätsmechanismus zur Lösung eines möglichen, aber bislang hypothetischen „missing money“-Problems eingeführt werden soll. Daneben - und unabhängig von der Marktdesignfrage - muss der Umgang der Bundesregierung mit dem substanziellen Abschreibungsbedarf im konventionellen Kraftwerkspark, der eine unmittelbare Folge der deutschen EE-Förderung in Verbindung mit einer schwachen europäischen Stromnachfrage ist, geklärt werden. Und schliesslich besteht die Notwendigkeit einer systematischen Lösung für den real existierenden Erzeugungsengpass in Süddeutschland – solange, bis dieser durch den tatsächlichen Ausbau der Übertragungsnetze in Nord-SüdRichtung beseitigt worden ist.
Vier komplexe Herausforderungen also, denen sich die neue Bundesregierung alleine im Strombereich gegenüber sieht, und an deren Bewältigung sie sich wird messen lassen müssen. Hinzu kommen vielfältige weitere Herausforderungen. Denn der Stromsektor stellt ja nur ein Drittel der deutschen Energieversorgung dar; die neue Regierung sollte sich beispielsweise auch ausführlich mit den Wärme- und Transportsektoren befassen. Die Energiewende wird also zweifelsohne ein beherrschendes politisches Thema bleiben. www.ewi.uni-koeln.de