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Speicher zwischen Flexibilität und Kapazität
Mit dem steigenden Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung steigt der Bedarf an Flexibilität im Stromsystem. Zurzeit ist die Diskussion in vollem Gange, welche Möglichkeiten Speichertechnologien zu einer solchen Flexibilisierung und zum besseren Ausgleich zwischen Erzeugung und Nachfrage bieten können.
Für die Einbeziehung der Stromnetze in die Diskussion um Speicher und Flexibilitätsoptionen plädiert Boris Schucht, Vorsitzender der Geschäftsführung des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz.
Herr Schucht, sind Speicher die Antwort auf die Herausforderung der volatilen Einspeisung erneuerbarer Energien?
Speicher spielen bei der Umsetzung der Energiewende eine wichtige Rolle, keine Frage – dies vor allem mittel- bis langfristig als saisonaler Kapazitätsbeitrag zur Nachfragedeckung in einer immer erneuerbarer werdenden Erzeugungswelt. Neben diesem Kapazitätsbeitrag in längerfristiger Perspektive geht es aber kurzfristig auch um das Thema Flexibilität. Mit zunehmender dezentraler und volatiler Erzeugung von Strom muss das System flexibler werden, um auf ständige Veränderungen der Nachfrage- und der Angebotsseite reagieren zu können. Die Netzbetreiber erleben die Auswirkungen dezentraler, volatiler Energieerzeugung sehr direkt durch einen Anstieg notwendiger Eingriffe in die Produktion von Strom aus konventionellen und erneuerbaren Quellen mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten. Speicher können einen Beitrag zu mehr Flexibilität leisten. Sie sind aber nur eine von mehreren Technologien, die dafür infrage kommen. Und sie müssen sich im Markt behaupten. Weil Pricespreads bedeutend geringer geworden sind und wohl in den kommenden Jahren eher gering bleiben dürften, ist die Wirtschaftlichkeit bestehender Speicher kaum zu erreichen. Reines Arbitragegeschäft ist derzeit etwa für Pumpspeicherwerke nicht wirtschaftlich.
Ein immer höherer Anteil an Strom aus volatilen Erneuerbaren führt dazu, dass wir mit größeren Prognoseungenauigkeiten auf der Angebotsseite umgehen müssen. Daraus ergibt sich dann ein steigender Bedarf an Regelenergie, um die Prognoseabweichungen auffangen zu können. Auch hier können Speicher eine von mehreren Optionen sein. Sie müssen sich aber im Wettbewerb mit anderen Lösungen wirtschaftlich durchsetzen.
Sehen Sie wettbewerbsfähigere Alternativen zur Deckung des Flexibilitätsbedarfs?
Schwankungen in der Erzeugung von Erneuerbaren und in der Nachfrage können über große Distanzen ausgeglichen werden.
Schwankt beispielsweise die Erzeugung eines Windparks stark, ist die Summe der Erzeugung aller Windkraftanlagen in Deutschland deutlich ausgeglichener. Auch bei der Nachfrage gleichen sich regionale Schwankungen aus. Durch die größere räumliche Verbindung eines engvermaschten Netzes wird so der Bedarf an Flexibilität verringert.
Netze haben den Vorteil, dass über eine größere Entfernung auf die jeweils kostengünstigste Flexibilitätsoption zugegriffen werden kann, in Deutschland und in Europa. Angebote von viel Wind und Sonne im System könnten als „Überschüsse“ an europäische Nachbarn verkauft werden. Damit entfiele das Speichern oder Abregeln. Ist das Angebot von Erneuerbaren in Deutschland niedrig, kann Strom zurückgekauft werden. So gesehen wirkt die Netzanbindung wie ein „indirekter Speicher“. Übertragungsnetze reduzieren im übrigen auch die Gesamtsystemkosten bei relativ geringen Investitionskosten. Der bedarfsgerechte Netzausbau ist deshalb auf mittlere Sicht die kosteneffizienteste Flexibilisierungsoption.
Was meinen Sie genau mit indirekten Speichermöglichkeiten?
Kurz gesagt: Skandinavien und die Alpen verbinden und generell die Errichtung von Interkonnektoren zwischen den Ländern forcieren. Über neue Interkonnektoren ist Speichervolumen in Skandinavien und im Alpenraum erschließbar. Große indirekte Spei cherpotenziale in schwedischen und norwegischen Wasserkraftwerken und Pump speicherwerken (PSW) in Österreich und der Schweiz existieren bereits.
Bemerkenswert ist auch, dass sich die Verknüpfung der Strom märkte (z. B. mit Schweden) von Beginn an wirtschaftlich, also ohne Subventionen, vollzogen hat.
Experten gehen davon aus, dass diese Speichermöglichkeiten momentan zusammen mit der eher langfristig Bedeutung gewinnenden Technologie Power-to-Gas die einzige Möglichkeit zum Ausgleich saisonaler Schwankungen bieten.
So plant 50Hertz gegenwärtig zwei Interkonnektoren mit Skandinavien, die Combined Grid Solution zwischen Deutsch land und Dänemark und die Hansa Power Bridge zwischen Deutschland und Schweden.
Speicher gelten manchem als eine „Königstechnologie“ – stimmen Sie dem zu?
Nein – und zwar nicht, weil ich Speicher als unwichtig ansehen würde, im Gegenteil. Es gibt schlicht und ergreifend nirgends eine ‚Königstechnologie‘ oder einen Königsweg. Dazu ist das System und der fundamentale Umbau, in dem wir uns derzeit befinden, viel zu komplex.
Wir müssen nach dem volkswirtschaftlich günstigsten Weg suchen, um diesen Umbau hin zu immer mehr erneuerbaren Energien so zu gestalten, dass das hohe Niveau der Versorgungssicherheit weiterhin gewährleistet bleibt und die Preise bezahlbar bleiben. Es geht also um mehrere, für das Gesamtsystem sinnvolle Lösungen und nicht um die Förderung bestimmter Technologien. Derzeit existieren sechs Hauptarten von Strom speichern: Pumpspeicher, Batterien, Druckluftspeicher, Wasserspeicher, Power-to-Heat und Power-to-Gas. Wir werden hier einen steigenden Wettbewerb mit vielen kostengünstigen Alternativen erleben. Ich gehe aber davon aus, dass es zu einer Kostendegression bei Batterien durch E-Mobilität kommen wird. Dies könnte auch zu Anwendungen im Strommarkt führen.
Das klassische Arbitragegeschäft von Stunden- oder Tagesspeichern bietet mittel- bis langfristig keine betriebswirtschaftliche Perspektive für bestehende und neue Speicher. Interessant bleiben sicher der Netzausbau und die Erschließung von indirekten Wasserspeichern in Skandinavien und den Alpen. Dies scheint aus heutiger Sicht die kostengünstigste Lösung für die nächsten 10 – 20 Jahre zu sein.
Also alles nur ein ‚Hype‘ um Speicher?
Speicher müssen sich als Teil des Systems und des Marktes am Kriterium der volkswirtschaftlichen Kosteneffizienz messen lassen. Sie konkurrieren hierbei mit anderen Lösungsansätzen, um notwendige Flexibilitäten für das Gesamtsystem bereitzustellen. Hier gibt es eine Vielzahl an Optionen. Bei der Bereitstellung von Regelenergie zum Beispiel sind die Erneuerbaren auf einem guten Weg. Oder denken wir an Demand-Side-Management.
Auf mittlere Sicht ist der bedarfsgerechte Ausbau der Stromnetze die günstigste Lösung zur Bereitstellung nötiger Flexibilität. Speicher haben ihre Berechtigung und können in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen. Zu einem Hype besteht aktuell aber kein Anlass.
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