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Smarte Stromleitungen für mehr Übertragungskapazität
Beim Forschungsprojekt PrognoNetz ( 2019 vom BMWi - Bundesministerium für Wirtschaft und Energie - gestartet ) sollen selbstlernende Sensornetzwerke auf Basis von Wetterdaten genauere Strom- Belastbarkeitsprognosen von Freileitungen ermöglichen.
Dr.-Ing. Werner Götz (l.), CEO von TransnetBW, und Alexander Lehmann (r.), Geschäftsführer von UBIMET Deutschland erklären, warum das Projekt PrognoNetz für beide Unternehmen bedeutsam ist.
Fotos: (l.) TransnetBW, (r.) UBIMET
Herr Dr. Götz, warum ist das Projekt „PrognoNetz“ für TransnetBW interessant?
Windenergie im Norden, Photovoltaik im Süden und zunehmender internationaler Stromhandel stellen immer höhere Anforderungen an das Stromübertragungsnetz. Wir stehen als Übertragungsnetzbetreiber zudem vor der Aufgabe, das zeitweilige Abschalten von Anlagen zur Stromerzeugung aus regenerativen Quellen möglichst zu vermeiden und insgesamt eine hohe Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Zugleich erleben wir, dass der weitere Ausbau von bestehender Netzinfrastruktur mit langwierigen Genehmigungsverfahren und hohen Kosten verbunden ist.
Für die Politik und für uns hat die Erhöhung der Übertragungskapazität bestehender Stromnetze daher oberste Priorität. Deshalb gibt es seit längerem Überlegungen, wie sich der Bedarf an Neubautrassen durch bessere Ausnutzung der vorhandenen Freileitungen reduzieren lässt. Zusätzlich zu einem beschleunigten Netzausbau fordert etwa der 2018 verabschiedete „Aktionsplan Stromnetz“ von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ein „konsequentes, flächendeckendes Freileitungsmonitoring in Echtzeit, um das Netz besser auszulasten“. Genau hier setzt das Forschungsprojekt PrognoNetz an.
Herr Lehmann, woraus leitet UBIMET die Beteiligung am Projekt ab?
Um Kapazitätsengpässe im Stromnetz zu vermeiden, müssen Netzbetreiber immer öfter in den Betrieb eingreifen. Auf nicht weniger als 1,44 Milliarden Euro summierten sich die Kosten für diese Eingriffe allein im Jahr 2018. Es stellt sich die Frage, wie man durch effektive Maßnahmen eine bessere Auslastung der vorhandenen Netze erreichen kann. Wie lässt sich die Übertragungskapazität beispielsweise in Abhängigkeit von den Witterungsbedingungen wie Umgebungstemperatur, Sonneneinstrahlung, Windgeschwindigkeit und -richtung gegenüber dem Ist-Zustand deutlich erhöhen?
Zusammen mit unseren Projektpartnern am Institut für Technik der Informationsverarbeitung (ITIV) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) suchen wir nach Möglichkeiten, den Stromtransport je nach Witterungsbedingungen deutlich zu erhöhen. Diese Kapazitätserhöhung ist technisch definitiv möglich, ohne die maximal zulässige Leitertemperatur zu überschreiten und ohne die Mindestabstände des Leiters zum Boden oder zu Gegenständen zu unterschreiten. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang einer Kühlwirkung des Windes zu, der zudem von der lokalen Topografie und Vegetation beeinflusst wird.
Das Projekt unterstützt uns als Anbieter energiemeteorologischer Lösungen darin, unser bestehendes Leistungspaket für das Zukunftsthema des witterungsabhängigen Freileitungsbetriebs weiter auf diesen spezifischen Anwendungsfall hin zu optimieren.
Worin sieht TransnetBW als Übertragungsnetzbetreiber den Projektnutzen?
Als Übertragungsnetzbetreiber stehen wir für die sichere und zuverlässige Versorgung von rund elf Millionen Menschen in Baden- Württemberg. Unser Übertragungsnetz ist zudem das Rückgrat einer zuverlässigen Energieversorgung und Grundlage für eine funktionierende Wirtschaft und Gesellschaft.
Wenn bis 2030 der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch 65 % erreichen soll, steigt auch der Strom-Übertragungsbedarf. Ein weiterentwickelter witterungsunabhängiger Freileitungsbetrieb bietet für uns einen innovativen Ansatz, diesen wachsenden Anforderungen an das Übertragungsnetz und die Systemführung gerecht zu werden und den Bedarf an zusätzlichem Netzbau auf ein Minimum zu reduzieren.
Herr Lehmann, wie ist UBIMET in das Projekt eingebunden?
UBIMET fokussiert sich im Projekt auf die Entwicklung einer räumlich hochaufgelösten Vorhersage von meteorologischen Parametern entlang einer Stromtrasse. Als Grundlage dafür fungieren die physisch vorhandenen Messstationen am Boden und neue intelligente Sensoren sowie „virtuelle Wettersensoren“ auf Höhe des Leiterseils. Es geht darum, die Temperatur des Leiterseils exakt bestimmen zu können, um die Strommenge entsprechend anzupassen, was heute in dieser Präzision nicht möglich ist. Mit einem intelligenten Netzwerk von Wettersensoren kann die Kühlwirkung von Wetter auf Stromleitungen in Echtzeit simuliert werden. Deren Stromaufnahmefähigkeit hängt neben dem Stromfluss im Leiter vor allem von der Lufttemperatur, dem Wind und der Sonneneinstrahlung ab. Vereinfacht gesagt: Haben wir mehr kühlenden Wind, kann auch mehr Strom durch die Leitungen fließen.
Bei PrognoNetz entwickeln die Forschungsund Industriepartner flächendeckende Sensornetzwerke mit intelligenten Sensoren, die – anders als herkömmliche Wetterstationen – direkt entlang von Freileitungen und in geringen Abständen zueinander platziert sind, um die Witterungsbedingungen präzise zu erfassen. Die Sensornetzwerke sollen auch harschen Umgebungsbedingungen standhalten und kritische Daten drahtlos und zuverlässig an die Leitzentrale liefern. Neu zu erarbeitende Algorithmen sollen den Sensoren eine selbstlernende Funktion verleihen, damit sie auf Basis verteilt gemessener Wetterdaten automatisiert genauere Strombelastungsprognosen für Stunden oder sogar Tage erstellen können. Anhand historischer Wetterdaten und topografischer Eigenschaften werden intelligente Modelle für jede relevante Leitung des Stromnetzes gebildet.
Herr Dr. Götz, welche Erwartungen stellt TransnetBW an die Projektergebnisse?
Die Messungen an den meisten Wetterstationen erfolgen nicht nah genug an den Leitungen. Darum bieten sie im Gesamtnetz meist keine geeignete Auflösung, um die häufigen hohen Schwankungen der Wetterparameter entlang der Freileitung erfassen zu können.
Unsere Netzbetriebsplanung wird aber umso zuverlässiger, je mehr detaillierte Daten wir haben. Darauf hoffen wir.
Die Entwicklung eines flächendeckenden, meteorologischen Netzwerks, das nah genug an den Freileitungen angeordnet ist und dort mit intelligenten Sensorknoten die Witterungsbedingungen erfasst, könnte helfen. Und wenn Algorithmen dazu eine selbstlernende Funktion anbieten, die zur automatisierten Erstellung genauer Strom-Belastbarkeitsprognosen auf Basis von verteilt gemessenen Wetterdaten führt, war dieses Projekt erfolgreich.
Das zu entwickelnde meteorologische Netzwerk soll zunächst an bestehende Hochspannungsleitungen und an Betriebsmitteln der TransnetBW eingesetzt werden. Bei einer erfolgreichen Demonstration wird uns das Projekt helfen, das Netz jederzeit und abhängig von den Witterungsbedingungen optimiert auszunutzen: Wenn Wind oder Kälte die Leitungen kühlt, kann mehr Strom fließen. Ein daran angepasster Netzbetrieb soll Engpässe überbrücken und eine Erhöhung des Stromtransports um ca. 15 % bis 30 % ermöglichen.