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Siglinde stellt Netzsteuerer vor große Herausforderungen
Das Sturmtief „Siglinde“ hat am 23. Oktober 2018 nicht nur den Norden Deutschlands auf die Probe gestellt, sondern auch 50Hertz, einen der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber, (ÜNB) zu einer Rekord-Einspeisung der Windenergie geführt. Bereits heute speisen in der Regelzone von 50Hertz rund 36 Prozent aller in Deutschland installierten Windenergieanlagen in die Mittel- und Hochspannungsnetze der regionalen Verteilungsnetzbetreiber und in das Höchstspannungsnetz ein.
Mit Dr. Dirk Biermann, Geschäftsführer Märkte und Systembetrieb bei 50Hertz, sprachen wir zu den Licht- und Schattenseiten einer solchen Einspeisungsquote.
Foto: Jan Pauls
Herr Dr. Biermann, freut Sie diese Rekordeinspeisung?
Das Positive vorangestellt, zum ersten Mal hat 50Hertz mehr als 15.000 MW Windenergie sicher ins Netz eingespeist, 15.382 MW, um genau zu sein. Dieser neue Rekord entspricht in etwa der Leistung von 15 großen konventionellen Kraftwerksblöcken. Im 50Hertz-Netzgebiet gab es Ende 2017 bereits rund 18.500 MW installierte Windkraftleistung. Diese erfreuliche Entwicklung bedeutet jedoch zugleich, dass die Transportkapazitäten des Netzes immer häufiger nicht mehr ausreichen, um den kompletten Windstrom aufzunehmen und zu den Verbrauchern zu transportieren. Deshalb mussten wir trotz moderater Windgeschwindigkeiten von Sturmtief Siglinde als Übertragungsnetzbetreiber Maßnahmen zur Wahrung der Systemsicherheit ergreifen. Wir haben während des Sturms zeitweise mehr als 3.000 MW konventionelle Kraftwerksleistung in unserem Netzgebiet gedrosselt und gleichzeitig in anderen Netzbereichen erhöht – also Redispatchmaßnahmen durchgeführt. Zudem mussten knapp 3.000 MW Windkraft temporär abgeregelt werden, weil keine weitere Absenkung der konventionellen Einspeisung mehr möglich war. Das ist ein Stück weit systembedingt, weil wir das Netz nicht für seltene extreme Einspeisesituationen ausbauen wollen, andererseits aber ist es immer bedauerlich, wenn grüner Strom nicht genutzt werden kann.
Wo liegen die Probleme?
Die Netzbetreiber sind laut Erneuerbare- Energien-Gesetz (EEG) verpflichtet, vorrangig erneuerbar erzeugten Strom ins Netz aufzunehmen. Anders als bei konventionellen Kraftwerken unterliegt die Stromerzeugung durch Windenergieanlagen starken Schwankungen und verteilt sich auf eine Vielzahl von dezentralen Anlagen. Somit ist die Absenkung der Windkraft in diesen Größenordnungen eine operative Herausforderung, für die es dringend weiterer Prozessverbesserungen zur Datenübermittlung und Steuerung der Anlagen bedarf. Ohne die „Südwest-Kuppelleitung“, eine 380-kV-Leitung von Sachsen-Anhalt über Thüringen nach Bayern („Thüringer Strombrücke“), die im September 2017 komplett in Betrieb ging, wäre die Notwendigkeit zum Redispatch noch höher gewesen. Trotz dieser zusätzlichen Übertragungskapazität und unserer Eingriffe waren alle unsere Leitungen in den Süden Deutschlands sehr hoch ausgelastet, was weitere betriebliche Herausforderungen z. B. in der Spannungshaltung mit sich bringt.
Dies zeigt erneut, dass der Netzausbau dem Ausbau der erneuerbaren Energien weiterhin hinterherhinkt. Deshalb sind die von der Bundesregierung ins Auge gefassten Beschleunigungsmaßnahmen beim Netzausbau mittel- und langfristig ein wirklich positives Signal. Und kurzfristig brauchen wir zusätzliche Instrumente für den sicheren Anlagenbetrieb - sowohl technisch als auch energiewirtschaftlich.
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