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04.02.2015 09:00 Alter: 10 yrs

Sichere Energieversorgung nicht riskieren

Die strukturellen Herausforderungen für die Energiewirtschaft werden nicht geringer. Ausbau der Erneuerbaren Energien, veränderte politische Rahmenbedingungen, schwankende Rohstoffpreise – die Branche wird kräftig durchgeschüttelt. Als Reaktion auf die veränderten Anforderungen hat sich E.ON zum radikalen Schritt der Unternehmensteilung entschieden und alte Strukturen aufgebrochen. Der Wettlauf um die besten Lösungen für die Energiezukunft ist in vollem Gange, erklärte Dr. Johannes Teyssen, Vorsitzender des Vorstandes der E.ON SE, zum Auftakt der 22. Handelsblatt Jahrestagung Energiewirtschaft 2015 in Berlin, aus der wir hier exklusiv zentrale Aussagen dokumentieren.


Unsere Branche wird weiterhin durchgeschüttelt von disruptiven Veränderungen bei Technologien, Regulierungsansätzen und neuen Geschäftsmodellen, bei unternehmerischen Strukturen und Kulturen. Langfristige Planungen stehen wie nie zuvor auf schwankender Grundlage. Die bloße Extrapolation vergangener Entwicklungen ist heute nicht mehr möglich. Auf die Frage nach den künftigen Chancen und Margen im Energiegeschäft gibt es nicht mehr die eine, evidente Antwort. Es öffnet sich eine Welt neuer Möglichkeiten, groß genug, dass in ihr jeder auf seine Weise Recht haben oder eben auch irren kann. Das ist die Sicht von E.ON. Andere mögen das anders sehen – und tun es auch und das ist im Wettbewerb um Kunden und Innovationen auch gut so.

Vielfalt der Veränderungen in den Blick nehmen

Wer über die Zukunft des Energiegeschäfts nachdenkt, muss die ganze Vielfalt der Veräderungen in den Blick nehmen. Diese werden mit der deutschen Chiffre „Energie wende“ nur sehr unvollkommen beschrieben. Wir haben es heute aus globaler Sicht mit einer Vielzahl politischer Konzepte, technologischer Trends, Geschäftsmodelle und Kun den wünsche zu tun. Es ist eine bunte Land schaft des globalen Energiewandels entstanden, die ihr Profil ständig ändert. Und die mit branchenübergreifenden Trends wie vor allem der zunehmenden Digitalisierung aller Be reiche eng verbunden ist.

Eine erste Feststellung ist hier für mich wichtig: Die Vorstellung einer Energiewende als rein politisches Konstrukt oder Projekt, das von der nationalen Politik für Jahrzehnte geplant und gesteuert wird, ist überholt und wird so scheitern. Zwar war die Politik in Europa und vor allem in Deutschland bislang der hauptsächliche Treiber von Wandel. Das EEG war, trotz aller berechtigten ordnungspolitischen Kritik, ein mächtiger Hebel für den Ausbau der Erneuerbaren. Inzwischen aber haben neue Akteure die Regie übernommen: der vielfältige und manchmal widersprüchliche technologische Fortschritt und die sich damit entfaltenden sehr unterschiedlichen Kundenwünsche und –bedürfnisse.

Erst in Konturen ist erkennbar, was aus dem Zusammenspiel von immer neuen Innovationen und immer differenzierteren Kundenwünschen entstehen wird. Pakete aus einer PV-Anlage plus Batterie dürften – national abhängig von der konkreten Regulierung – in vielen Märkten schon in näherer Zukunft wettbewerbsfähig werden.

Kräftige Impulse kommen auch von der zunehmenden Digitalisierung. Big Data wird zum Werttreiber auch in der Energie versorgung. Das Internet verbindet heute eine Milliarde Menschen über PCs und 6 Milliarden über mobile Geräte. Das „Internet of Things“ soll Prognosen zufolge schon 2020 weltweit 28 Milliarden Geräte verbinden. Deshalb muss es gelingen, die digitale Agenda in die industrielle Wertschöpfung hineinzubringen. Es nicht den großen digitalen Playern der Welt zu überlassen, die reale Wert schöpfung auf sich zu ziehen. Auch unsere Branche muss diese Herausforderung offensiv angehen.

 

Energiewende geht nur europäisch

Anstatt den Entwicklungen hinterher zu laufen, sollte die Politik endlich wieder langfristig verlässliche Rahmenbedingungen für Unternehmen und private Akteure setzen – mit ehrgeizigen Zielen, aber zugleich möglichst großer Flexibilität für alle Marktteilnehmer. Das europäische Energie- und Klimapaket kann in diesem Sinne dem schnellen und nachhaltigen Wandel der Märkte gerecht werden, wenn die Mitgliedstaaten jetzt ihre nationalen Programme konsequent zurückfahren und den gemeinsamen Emissions - handel wirklich wieder als europäisches Leitinstru ment etablieren.

Manche Stimmen sagen: Weil Öl in der Welt so billig geworden ist, können wir uns eine Energiewende in Europa nicht mehr leisten. Dann wären wir nicht mehr wettbewerbsfähig. Ich halte das für kurzsichtig. Niemand kann velässlich sagen, wie sich der Ölpreis in Zukunft entwickelt. Auch ist ja das Klima pro blem nicht plötzlich verschwunden. Im Ge genteil, weltweit steigen die CO 2 -Emissionen weiter an.

Richtig ist aber, dass wir noch mehr auf Effizienz in der Energiewende achten müssen. Das heißt: Marktkräfte nutzen, wo immer möglich, vor allem durch einen wirksamen Emissionshandel. Außerdem gilt es, mit Kunden und Innovationen neue und bessere Lösungen in die Märkte zu bringen und nicht nur bekannte Technologien subventioniert auszurollen. Was wir uns in Europa jetzt wirklich nicht mehr leisten können, ist das ineffiziente Neben- und Gegeneinander zahlloser nationaler Ziele, Programme und Maßnahmen.

Erforderlich ist ein Instrument für ganz Europa. Ein Instrument mit Anreizen für moderne, klimaschonende Kraftwerke, für Erneuerbare Energien, für Energieeffizienz und Nachfragemanagement. Dieses Instrument ist der europäische Emissionshandel. Damit es endlich wieder wirken kann, muss die Marktstabili sierungsreserve schon 2017 eingeführt und die vorläufig aus dem Markt genommenen CO 2 - Mengen in diese Reserve überführt werden. Wann, wenn nicht bei den aktuell niedrigen Marktpreisen und vor der großen Klimaschutzkonferenz in Paris soll dies geschehen? Daneben brauchen wir übrigens nicht noch nationale Alleingänge bei der Kohleverstromung wie vor einigen Monaten in Berlin diskutiert.

Sichere Energieversorgung nicht riskieren

Eine weitere grundsätzliche Anmerkung: Überholt ist die Erwartung, immer mehr Erneuerbare Energien könnten die konventionelle Energieerzeugung einfach ersetzen. Entstanden ist vielmehr eine Doppelstruktur. Wind und Sonne können in unseren Breitengraden vorläufig konventionelle Kraftwerke nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Notwendig wären vielfältige und in Summe sehr große Energiespeicher, die große Energiemengen für mehr als ein paar Tage kostengünstig vorhalten können. Davon sind wir noch weit entfernt.

Konventionelle Kraftwerke am Netz zu halten und die Erneuerbaren weiter auszubauen, wird notwendig zu einem neuen Marktdesign führen. Es sei denn, man wolle sehenden Auges die sichere Energieversorgung eines der führenden Industrieländer riskieren. In Deutschland wollen es manche Politiker zunächst damit versuchen, extreme Preisspitzen zu erlauben und höhere Risiken einzugehen.

Das wird aber Akzeptanzrisiken bei Bürgern und Kunden und Unverständnis bei vielen europäischen Nachbarn mit sich bringen.

Deshalb müssen nach meiner Überzeugung jetzt klug gestaltete Kapazitätsmärkte in Deutschland und Zentraleuropa kommen. Dabei ist uns klar, ein Ka pazitätsmarkt will wohl überlegt sein. Je eher aber ein Modell steht und für die Betreiber und Investoren als belastbare Per spektive erkennbar wird, umso früher kann der Kraft werkspark darauf ausgerichtet werden. Und es kann so besser gewährleistet werden, dass die Versorgungssicherheit nicht wackelt. Denn Versor gungssicherheit ist notwendig, braucht aber einen fairen Markt und Preis. Welchen Weg die Politik aber auch gehen mag: Konventionelle Kraftwerke bleiben noch lange unersetzlich.

Zeitalter fossiler Energien ist nicht vorbei

Nicht mehr haltbar ist die Annahme, das Zeitalter der fossilen Energien sei unwiderruflich vorbei. So wurde als sicher prognostiziert, dass Öl, Gas und Kohle unweigerlich immer knapper und teurer würden. Öl wird aber gerade immer billiger. Auch der Kohlepreis ist stark gefallen. Fossile Energien können in relevanten Zeiträumen nicht mehr als knapp gelten. Der technologische Fortschritt bei der Förderung insbesondere unkonventioneller Öl- und Gasvorkommen hat bisherige Erwar tungen physischer Knappheitsgrenzen gesprengt. Die fossile Energiegewinnung und -erzeugung, die hier tätigen Unternehmen, das Wissen und Können ihrer Mitarbeiter – das alles ist nicht von gestern und wird vielmehr noch lange gebraucht. Insgesamt müssen wir davon ausgehen, dass kein eindeutiger, linearer Weg in die Energiezukunft führt. Vielmehr haben wir es mit einer sehr differenzierten Entwicklung zu tun, in der herkömmliche und neue Energiestrukturen noch eine lange Zeit nebeneinander existieren werden. Auf der einen Seite entsteht mit zunehmender Dynamik die künftige Energiewelt, geprägt durch Erneuerbare Energien, intelligente Netze und kunden - nahe Energielösungen. Auf der anderen Seite steht die klassische Energiewelt der großvolu - migen Produktions- und Handelsstrukturen für Strom, Gas und weiteren Commodities.

 

Zwei Energiewelteneigene unternehmerische Ansätze

Nach unserer Analyse haben sich beide Welten bereits so weit voneinander entfernt, dass sie eigene unternehmerische Ansätze erfordern. Bei E.ON erleben wir schon länger, dass unsere Geschäfte von sehr unterschiedlichen Werttreibern und Chancen, Denk weisen und Fähigkeiten geprägt sind. Beispielsweise hat der Betrieb eines Großkraftwerks nicht mehr viel gemeinsam mit der Entwicklung innovativer Kundenlösungen. In der klassischen Energiewelt geht es vorrangig darum, einen wirkungsvollen Beitrag zur Versorgungssicherheit zu leisten. Systemdenken zählt. Leistungsfähige, effiziente Anlagen an guten Standorten und mit möglichst geringen Kosten sind entscheidende Wettbewerbsvorteile. Nicht minder wichtig sind herausragende Fähigkeiten im Engi nee ring und im globalen Energieeinkauf und -handel. Hier gilt es gute Erträge aus vorhandenen Anlagen zu erzielen.

Schnelligkeit, Agilität, Innovation und Digitalisierung charakterisieren hingegen die neue Energiewelt. Hier kommt es vor allem auf wache Augen für alles an, was dem Kunden nutzen könnte. Und auf die Fähigkeit, dies dann auch schneller als andere an den Markt zu bringen. Hier wachsen wir mit un - seren Kunden und neuen Investitionen.

Für uns steht fest, dass wir unsere Geschäfte jeweils auf eine der beiden Welten fokussieren müssen, um künftig unternehmerisch erfolgreich sein zu können. Deshalb werden wir unsere heutigen Geschäfte so aufteilen, dass zwei Unternehmen entstehen, die über die richtige Aufstellung und Ausrichtung für ihre jeweilige Welt verfügen.

Der Wettlauf um die besten Lösun - gen für die Energiezukunft ist in vol lem Gange. Die unterschiedlich sten Produkte und Geschäfts mo delle treten an, aber auch sehr verschiedene Geschäftsstrukturen und -kul tu ren. Nicht jede neue Idee wird Bestand haben und vieles, was sich bewährt hat, bleibt noch lange im Spiel.

Am Ende gilt, was Charles Darwin über die Evolution sagte: „Nicht die stärkste Art überlebt, auch nicht die intelligenteste, sondern die wandlungsfähigste.“

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