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< Gas – ein Schlüssel für das Energiesystem der Zukunft
20.06.2019 15:21 Alter: 5 yrs

Reallabore – zukunftsbezogene Experimentierräume der Energiewende

Im Rahmen des 7. Energieforschungsprogramms hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) die Fördersäule „Reallabore der Energiewende“ mit dem Ziel geschaffen, in solchen zeitlich und räumlich begrenzten Experimentierräumen neue Technologien und Geschäftsmodelle zu erproben.


Jörg Müller, Vorstandsvorsitzender ENERTRAG AG in Dauerthal formuliert auf die Initiative der Bundesregierung in ausgewählten Thesen sein Energiewende-Plädoyer und sieht seine Wortmeldung zugleich als Diskussionsbeitrag.

Foto: Roland Horn

Reallabore als Testräume für Innovation und Regulierung dienen dazu, unter realen Bedingungen Erfahrungen mit digitalen Innovationen zu sammeln. Hier stellen sich jedoch zentrale Leitfragen: wie können die Kostenvorteile der erneuerbaren Energien genutzt werden und was bedeutet das konkret für die Ausgestaltung der Reallabore?

Verzahnung aller Energiesektoren

Reallabore demonstrieren Sektorkopplung ohne Verbrennungskraftmaschinen: Der wichtigste Kostenvorteil ergibt sich durch die Verzahnung aller Energiesektoren und deren Umstellung auf erneuerbare Energie. Dabei wird der Energieverbrauch auf ein Drittel des heutigen Wertes sinken. Energiewende bedeutet im Kern, dass Verbrennungskraftmaschinen mit hohen Verlusten durch hocheffiziente elektrische Antriebe und Brennstoffzellen ersetzt werden, weil Strom und Wasserstoff zu Primärenergieträgern werden. Damit ist zudem eine erhebliche Kostenersparnis verbunden.

sie kein CO2 erzeugen, sind Reallabore von allen Abgaben und Umlagen auf Energie befreit. Damit alle Energiesektoren gleichermaßen CO2-frei werden, müssen alle Energieträger entsprechend ihrer CO2-Emission gleich belastet werden (level-playing-field). Solange fossile Energieträger deutlich geringere Abgaben und Umlagen zu tragen haben als erneuerbarer Strom kann Sektorkopplung unmöglich wirtschaftlich werden.

Reallabore sind am besten Verbundkraftwerke

Der derzeitige Netzausbau erhöht unnötig die Systemkosten. Die Regulierung der Stromnetze umfasst eine garantierte Eigenkapitalverzinsung von rund 9 % für die Eigentümer der Netze. Dabei ist es weder sinnvoll noch erforderlich oder von der Bevölkerung gewünscht die öffentlichen Netze mit ihren teuren Sicherheitsanforderungen massiv für den Anschluss von Wind- und PV-Anlagen auszubauen. Verbundkraftwerke mit viel einfacheren eigenen Netzen sind der günstigere Weg. Dieser aber wird nicht eingeschlagen, weil es für die Betreiber der Windkraft- und PV-Anlagen billiger ist, den für sie kostenlosen aber für den Verbraucher teuren Netzausbau in Anspruch zu nehmen.

Wasserstoffgewinnung, um Netzausbau zu minimieren

Reallabore nutzen Windkraft- und PVAnlagen. Um dies überhaupt zu ermöglichen, muss die Einspeicherung von erneuerbarem Strom in Wärme- und Wasserstoffspeicher lastenfrei gestellt werden. Es ergibt keinen Sinn, darauf EEG-Umlage zu erheben. Gasspeicher kosten weniger als 10 % gegenüber Akkus. Gas aus erneuerbarer Energie rechnet sich aber nicht, weil darauf EEGUmlage zu zahlen ist und so ein Wettbewerb mit Gas und Öl in Wärme und Mobilität nicht möglich ist.

Die Wasserstoffgewinnung sollte vielmehr beim Bau neuer Wind- und Solaranlagen verpflichtend werden, um den Netzausbau zu minimieren. Denn das Gasnetz kann zu geringsten Kosten viel mehr Energie transportieren als das Stromnetz. Die Wandlung in speicherbare Energieträger sollte in unmittelbarer Nähe der Erzeugung erfolgen. So können die Fluktuationen aus der Erzeugung herausgeschnitten werden, ohne das Netz zu belasten. Und so entsteht auch mehr Wertschöpfung im ländlichen Raum.

Reallabore brauchen die heutigen Betreiber von Windkraft- und PV-Anlagen: Der Neubau insbesondere von Windkraftanlagen dauert bis zu 10 Jahre, was offensichtlich viel zu lange ist. Um zügig Ergebnisse zu erlangen müssen also vorhandene Energieanlagen für Demonstrationsvorhaben einbezogen werden.

Entscheidend ist jetzt, die Technik nicht nur in kleinen F&E-Projekten zu erproben, sondern sie auch mit größeren Projekten in einem ganzheitlichen Ansatz zur Serienreife zu bringen. Hierzu wollen wir mit unserem Projekt Verbundkraftwerk Uckermark einen Beitrag leisten. Unter Nutzung des vorhandenen Leitungsnetzes kann das Projekt den Startschuss für eine Wasserstoffinfrastruktur geben, die einer deutschland- und europaweiten Wasserstoffinfrastruktur entscheidende Impulse geben kann.

Reallabore vs. Speicherung

Ein erneuerbares Energiesystem braucht preiswerte Langzeitspeicher. Die eingespeicherten Energien müssen dabei mit mindestens 60% Nutzungsgrad wieder rückgewonnen werden können. Das ist mit folgenden Technologien möglich:

am einfachsten: Großwärmespeicher für die Nutzung von Energiespitzen
am wichtigsten: Wasserstoffspeicher für Mobilität und Wärme (Brennstoffzellen)
nicht zu vergessen: Wasserstoffspeicher für industrielle Nutzungen.

Reallabore fördern keine Akkumulatoren, denn diese sind Kurzzeitspeicher. Es ist unmöglich, damit nennenswerte elektrische Speicherkapazitäten aufzubauen. Akkus sind allerdings für die Frequenzhaltung so gut geeignet, dass heute eine Förderung von Akkumulatoren bereits außerhalb von Fördersystemen möglich sind – sie rechnen sich am Markt. Sicher sollten Reallabore auch Primärregeleinheiten auf Basis von Akkumulatoren umfassen, diese sollten aber zur Vermeidung von Marktverzerrungen nicht gefördert werden und auch nicht dem regulierten Bereich zugeordnet werden.

Klockower Windpark in der Gemeinde Uckerland (Land Brandenburg). 5 Windenergieanlagen erbringen eine Leistung von insgesamt 7,8 MW, Foto: ENERTRAG

Reallabore bringen Arbeit in ländliche Räume

Erneuerbare Energie kann und muss gut bezahlte hochqualifizierte Arbeit in den ländlichen Raum bringen. Hierbei können Reallabore helfen. Dafür bedarf es finanzieller Anreize. Zum Beispiel könnte eine Windenergieabgabe eingeführt werden, welche ein Unternehmen mit den Lohnkosten seiner Mitarbeiter im ländlichen Raum verrechnen kann. Mit solch einem Modell könnte die Akzeptanz deutlich erhöht werden.

Notwendig ist jedoch, die Ausweisung von Flächen für erneuerbare Energie mittelfristig deutlich zu erhöhen. Etwa 4 % der Fläche Deutschlands wird für Windenergie insgesamt benötigt. Die Folge einer zu geringen Ausweisung ist die derzeitige Standortverknappung mit explodierenden Standortpreisen. Die Lasten tragen die Stromkunden und in den Dörfern entsteht sozialer Unfrieden, weil einige wenige unverdient reich werden.

Immer wieder zeigt sich, dass dort, wo keine Planung oder gar eine Verhinderungsplanung erfolgt, Unfrieden entsteht. Wo aber Unternehmen professionell mit Kommunen eine gemeinsame Bauleitplanung durchführen entstehen starke Mehrheiten für erneuerbare Energien, insbesondere auch für Windkraft.

Reallabore und Digitalisierung

Der Einsatz von IT ist sicher auch für Reallabore sinnvoll und erforderlich. Er darf jedoch nicht im Vordergrund stehen. Mit Digitalisierung lässt sich Energie weder erzeugen, noch transportieren oder verteilen. Sofern aber eine Förderung (wie bei SINTEG) nur über wenige Jahre anteilig auf die Abschreibung der geförderten Anlagen erfolgt, würden nur IT-Projekte gefördert, welche innerhalb von 3-5 Jahren abgeschrieben werden. Energieanlagen mit Abschreibungsdauern zwischen 20 und 40 Jahren erhielten dagegen nur ca. 5 % Förderung. Hier bedarf es neuer Förderrichtlinien, die insbesondere auch anfänglich höhere (als im Vergleich zu fossilen Anlagen) Betriebskosten fördern.

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