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28.04.2022 09:50 Alter: 2 yrs

Potenzieller Stopp russischer Gaslieferungen?

Der russische Einmarsch in die Ukraine wird zu einem massiven Umschwung in der Energiewirtschaft sowohl in Deutschland als auch in Europa führen. Vor diesem Hintergrund haben die Experten von enervis energy advisors eine Analyse der deutschen und europäischen Gasversorgung durchgeführt. Sebastian Gulbis, Partner bei enervis energy advisors GmbH skizziert einige Eckpunkte der Analyse in seinem Gastbeitrag.


Sebastian Gulbis, Partner enervis energy advisors Foto: Dirk Brzoska

„Es sollte klar definiert werden, welche Rolle Gas zukünftig in der Energieversorgung spielen soll. Ist Gas noch immer der Partner der erneuerbaren Energien? Können wir in weiten Teilen des Wärmemarktes darauf verzichten? Welche Rolle wird erneuerbarer Wasserstoff spielen können?“ Sebastian Gulbis

Russland war und ist auch in Krisenzeiten in den letzten Jahrzehnten ein verlässlicher Partner für Energielieferungen gewesen. Die auf dieser Verlässlichkeit basierende starke Abhängigkeit Deutschlands und Europas wird aufgrund des ausgebrochenen Krieges nun sehr kritisch gesehen. Weiterhin wird auch die Möglichkeit eines kompletten Lieferstopps russischen Gases diskutiert – zum einen als Sanktionsmöglichkeit des Westens gegenüber Russland oder aber auch eine Einschränkung seitens Russlands, als Antwort auf die bisherigen Sanktionspakete der EU.

Gibt es eine Quadratur des Kreises?

Unsere Analyse war zweigeteilt. Zum einen eine vereinfachte, kurzfristige Betrachtung des deutschen Gassystems unter Berücksichtigung der aktuellen Speicherfüllstände und zum anderen eine Analyse des europäischen Gassystems mit dem weltweiten Gaslastflussmodell der enervis.

In der Kurzfristanalyse haben wir einen sofortigen Lieferstopp russischen Gases unterstellt und geprüft, wie lange die deutschen Gasspeicher je nach Temperaturentwicklung dies in Deutschland kompensieren können. Im Ergebnis konnten wir feststellen, dass wenige Wochen maximal jedoch zwei Monate eine Versorgung aller Abnahmesegmente (Stromerzeugung, Industrie, GHD und Haushalte) weitgehend gewährleistet wäre. Darüber hinaus kann – gerade in kalten Szenarien - die notwendige Leistung an Gas nicht mehr bereitgestellt werden und es müsste zu Einschränkungen bei der Stromerzeugung und in industriellen Bereichen kommen.

Wird auch der Monat April eher warm, stellt sich die Situation entspannter dar, wobei es auch hier bereits zu regionalen Einschränkungen kommen kann. Unter allen Umständen wären die Gasspeicher aber zu Beginn des kommenden Winters sehr wahrscheinlich komplett leer, sofern nicht drastische Maßnahmen zur Reduktion des industriellen und Kraftwerksverbrauchs in den Sommermonaten getroffen werden. In Kombination mit der in Deutschland angedachten und wohl ab Sommer in Kraft tretenden nationalen Gasreserve stünde Deutschland vor der sprichwörtlichen Quadratur des Kreises.

Lastflussmodell reflektiert Ausfall von Liefermengen

In einer Mittelfristanalyse haben wir mittels unseres Lastflussmodells untersucht, inwiefern das europäische Gassystem überhaupt in der Lage wäre einen Ausfall russischer Liefermengen zu kompensieren. Dies wäre naturgemäß mit immensen Herausforderungen verbunden, da der Anteil russischen Gases an den Gasimporten der EU27 bei etwa 40% liegt. Wir haben in der Modellierung ein typisches Gaswirtschaftsjahr untersucht und gehen von durchschnittlichen Speicherfüllständen in ganz Europa aus. Zudem wird in keinem Szenario die NordStream 2 in Betrieb genommen.

Hiervon ausgehend haben wir zwei Varianten modelliert. Einerseits haben wir eine Variante analysiert, in der lediglich eine Abschaltung der Transitroute über die Ukraine erfolgt, wohingegen andere russische Importrouten weiterhin verfügbar wären. Zudem haben wir eine Variante untersucht, in der überhaupt kein Import russischen Gases nach Europa mehr erfolgt.

Die Unterbrechung der Ukraine Route kann durch das europäische Gassystem weitestgehend ausgeglichen werden. Allerdings wird es zu ersten Engpässen in Mittel- und Südosteuropa kommen. Dies sind insbesondere diejenigen Länder, die bereits heute stark von russischem Gas abhängig sind. Es fehlt in diesem Fall an der notwendigen Infrastruktur zur besseren Anbindung an Westeuropa. Bereits in diesem Fall sind jedoch erhebliche Anstrengungen notwendig, so werden signifikante zusätzliche LNG Importe benötigt. Weiterhin wird es sicherlich auch zu einem Rückgang der Gasverstromung in ganz Europa kommen müssen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass diese Ergebnisse unterstellen, dass sämtliche Marktakteure – in Europa und auf dem Weltmarkt - vorausschauend miteinander kooperieren.

LNG- der Königsweg?

In der Variante eines vollständigen Lieferstopps wird das Ausmaß der Einschränkungen deutlich größer und erstreckt sich bis nach Mitteleuropa hinein, unter anderem nach Deutschland. Es zeigt sich, dass die Kapazitäten aller europäischen LNG-Terminals und die mit ihnen verbundene Leitungsinfrastruktur nicht ausreichen, um die entstehenden Lücken zu schließen und eine europaweite Vollversorgung mit Erdgas zu gewährleisten. Mehr als 15 % des europäischen Bedarfes könnten daher nicht mehr bereitgestellt werden. Diese Variante unterstellt dabei, dass auf dem Weltmarkt ausreichend LNG vorhanden ist und große Exporteure wie die USA oder Katar auch kurzfristig ihre Produktionsmengen erhöhen können. Sofern dies nicht gegeben ist, wäre die Belieferungseinschränkung in Europa noch deutlich höher. Es stellt sich die Frage, inwieweit solche Belieferungseinschränkungen kompensiert werden könnten. Dies müsste in erster Linie in den betroffenen Ländern geschehen.

Ein Flaschenhals ist dabei in diesem Szenario in der nicht ausreichenden Kapazität von LNG-Terminals in Europa zu sehen. Die Terminals waren zwar in den vergangenen Jahren oft nur zu weniger als 30 Prozent ausgelastet. Wenn kein Gas mehr aus Russland käme, würden die freien Kapazitäten aber nicht annähernd ausreichen. Weiterhin verfügen die LNG-Terminals in Spanien und Portugal zwar über erhebliche Kapazitäten, sie sind aber schlecht an das europäische Gasverbundnetz angeschlossen. Die Pipelinekapazitäten zwischen Spanien und Frankreich sind hier das Nadelöhr.

Grafik: enervis

Die Grafik zeigt das Ergebnis unserer Modellierung, wobei diejenigen Länder, bei denen Belieferungseinschränkungen auftreten würden, in orange markiert sind: Wahrscheinliche Einschränkungen der Belieferungen unter der Annahme einer kompletten Einstellung der Lieferung russischen Gases nach Europa unter der Annahme, dass der Weltmarkt genug LNG bereitstellen kann

Wie könnte einem solchen Szenario begegnet werden?

Kurzfristig ist nur eine wie erläuterte drastische Reduktion des Bedarfes denkbar, da andere Möglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. Sämtliche Maßnahmen zur Abfederung eines kompletten russischen Lieferausfalls könnten erst mit einem gewissen Vorlauf greifen. Mittelfristig wären erste Schritte sicherlich z. B. der Aufbau von LNG-Regasifizierungsterminals in Deutschland. So zeigt sich in einer Sensitivitätsanalyse, dass eine unterstellte Realisierung der geplanten LNG-Terminals in Brunsbüttel und Willhelmshaven dazu geeignet wäre, zumindest die deutsche Gasversorgung ohne Einschränkungen zu sichern. Die Probleme in den anderen Teilen Mittel- und Osteuropas würden aber bestehen bleiben. Weiteres Potenzial bestünde in der besseren Integration der europäische Märkte, wie z. B. von Spanien oder Portugal, die nur über vergleichsweise kleine Austauschkapazitäten zu Frankreich verfügen. Weiterhin könnte geprüft werden, inwiefern die Erschließung von in Europa vorhandenen Gasreserven einen Beitrag leisten kann und beispielsweise auch Fracking ins Auge gefasst werden sollte

Zusammenfassend wären also das Erschließen weiterer Exportnationen über LNG, die Erschließung von Gasvorkommen in Europa oder alternativ bzw. ergänzend dazu eine schnellere Reduktion des Erdgasverbrauchs zu untersuchen.

Fragen an den Autor: sebastian.gulbis@enervis.de