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Paradigmenwechsel in Verteilernetzen
Erneuerbare Energien sind in das bestehende System der elektrischen Energieversorgung aufgenommen. In Deutschland waren Ende 2014 rund 76.000 MW Leistung zur Nutzung von Wind- und Sonnenenergie installiert. Einen Paradigmenwechsel in den Verteilernetzen als die nächste Entwicklungsphase in der Energiewende sieht Prof. Dr. Jochen Kreusel, Group Senior Vice President der ABB AG, Mannheim.
Wenn heute der weitaus größte Teil der Erneuerbaren Energien in die Verteilernetze eingespeist wird, dann findet die Energiewende in eben diesen statt. Die Herausforderung liegt jedoch nicht nur in der Menge, sondern auch in den für Sonnen- und Windenergie charakteristischen, prinzipiell niedrigen Auslastungsdauern, die zu hohen Einspeisespitzen führen. Die Verteilernetzstudie im Auftrag des BMWi vom September 2014 zeigte, bei Beibehaltung der traditionellen, auf Deckung des Maximalbedarfs ausgerichteten Netzplanungs- und - betriebspraxis besteht ein Ausbaubedarf der Verteilernetze von wenigstens 23 Mrd. € bis 2032. Demgegenüber steht eine deutliche Reduktion des Bedarfs und auch der Kosten, werden Einspeisespitzen gekappt sowie innovative Betriebsmittel und Betriebsführungsprinzipien in Planung und Betrieb der Netze angewendet.
Planungs- und Betriebspraxis überprüfen
Das schreibt sich einfach, bedeutet aber viel. Bisher wurden die Ver teilernetze so betrieben, dass sie für längere Zeiträume manuell konfiguriert wurden. Man konnte davon ausgehen, dass sie für alle zu erwartenden Lastsituationen ausreichten. War dabei in der Primär verteilung wenigstens noch eine ferngesteuerte Anpas sung möglich, gab es diese Möglichkeit in der Sekundär verteilung und damit in mehr als 95 Prozent der Netzstationen nicht.
Die in der Studie genannten innovativen Planungsprinzipien und Betriebsmittel sind nun alle darauf gerichtet, dass die Netze erstens nicht mehr auf jede Situation - und das heißt vor allem Einspeisesituation - ausgelegt werden. Und dass sie zweitens im Betrieb nachgesteuert werden können. Das bedeutet nun, dass neue Komponenten, beispielsweise regelbare Ortsnetztransformatoren eingesetzt werden. Zudem müssen die Netze überwacht werden und im Fall absehbarer Überlastungen sind Gegenmaßnahmen einzuleiten.
Neue Aufgaben für Verteilernetzbetreiber
Auf der Verteilungsebene stellen sich künftig Aufgaben, die prinzipiell den heutigen auf der Übertragungsebene ähneln, aber mit einem um zwei bis drei Größenordnungen größeren Mengengerüst und mit überwiegend nicht- professionellen Besitzern der Erzeugungsanlagen. So werden künftig Direktvermarkter und Anbieter von virtuellen Kraftwerken als neue Marktteilnehmer eine Rolle spielen.
Auch auf die Verteilernetzbetreiber warten neue Aufgaben: So die rechtzeitige Erkennung sich abzeichnender Netzüberlastungen als der Baustein, um Voraussetzungen für den anschließenden Schritt zu schaffen, nämlich die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen von den Akteuren im Energiemarkt anzufordern. Dies muss rechtzeitig verfolgt werden, um gegebenenfalls als letztes Mittel Eingriffe des Netzbetreibers zur Aufrechterhaltung des sicheren Betriebes einleiten zu können.
Deshalb sind die Verteilernetzbetreiber, deren Beitrag bisher vor allem in der Bereit- stellung einer ausreichenden Infrastruktur lag, zukünftig in den kurzfristigen System- betrieb eingebunden. Dies bedeutet die Abkehr von grundlegenden Prinzipien der Verteilernetzplanung und –betriebsführung. Sie als Paradigmenwechsel einzustufen, ist deshalb nicht übertrieben.
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