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< Wie die Wärmewende in Deutschland gelingen kann
28.04.2022 10:05 Alter: 3 yrs

Ohne Wärmewende keine Energiewende

Für das Erreichen der europäischen und deutschen Klimaziele ist ein nachhaltiger Umbau des Wärmesektors unabdingbar. Falsch wäre es, dabei allein auf Strombasierte Systeme zu setzen und andere Technologieoptionen ohne Not abzuschneiden. Das unterstreicht Michael Riechel, Vorsitzender des Vorstandes der Thüga AG, in einem Gastbeitrag für THEMEN!magazin.


Michael Riechel, Vorsitzender des Vorstandes Thüga AG Foto: Thüga, Dirk Bruniecki

„Aus Gründen der Versorgungssicherheit, aber auch aus Gründen der Bezahlbarkeit und des schnellen Klimaschutzes sollte auf alle Technologieoptionen gesetzt werden, die hierauf einzahlen.“ Michael Riechel

In der politisch-gesellschaftlichen Debatte um die Energiewende stand in der Vergangenheit vor allem die Stromerzeugung im Vordergrund. Dabei macht der Wärmemarkt mit rund 1.300 Terrawattstunden pro Jahr mehr als die Hälfte des Endenergieverbrauchs in Deutschland aus. Den Großteil des Wärmeverbrauchs decken aktuell Erdgas, Heizöl und Kohle. Noch. Für die notwendige Dekarbonisierung muss die Wärmeerzeugung bis spätestens 2045 auf Null-CO2 -Emissionen umgestellt sein.

Wer glaubt, dies allein durch eine vollständige Elektrifizierung stemmen zu können, irrt gewaltig. Der Einbau von Strom betriebenen Wärmepumpen in Millionen Bestandsgebäude ist technisch kaum umzusetzen und häufig mit einem erheblichen und kostspieligen Sanierungsaufwand verbunden. Das würde für Millionen Hauseigentümer, Mieterinnen und Mieter zu deutlich höheren Kosten beim Heizen führen und insbesondere einkommensschwache Haushalte finanziell überfordern.

Hinzu kommt, dass das Stromnetz für die großflächige Bereitstellung von Heizstromleistung überhaupt nicht ausgelegt ist. Laut der Studie „Wasserstoff zur Dekarbonisierung des Wärmesektors“ von Frontier Economics (2021) im Auftrag des Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e. V. (DVGW) würde der geplante Zubau von fünf Millionen elektrischen Wärmepumpen bis 2030 zu einer Überlastung des Stromsystems führen. Um dies abzuwenden, müssten zusätzlich zum ohnehin schon gewaltigen notwendigen Ausbau der Stromnetze aufgrund des Hochlaufs der Erneuerbaren Energien und der Marktdurchdringung mit Elektromobilen weitere massive Ausbaumaßnahmen erfolgen. Vorausgesetzt, dieser Ausbau würde rein praktisch in den kommenden acht Jahren möglich sein – was auch eine Akzeptanzfrage mit sich bringt - würden somit auf der Stromseite weitere Kostensteigerungen auf die Kunden zukommen.

Technologieoffenheit ist gefragt

Diese negativen Folgen wären jedoch bei richtiger politischer Weichenstellung vermeidbar. Für gut gedämmte Neubauten sind Wärmepumpen sicherlich eine adäquate Wahl. Ältere Gebäude mit schlecht insolierten Fenstern, ungedämmter Gebäudehülle, unsanierten Dächern und konventionellen Heizkörpern, die knapp zwei Drittel des gesamten Bestands in Deutschland ausmachen, sind für den Einsatz von Wärmepumpen dagegen ohne hochinvestive Sanierungsmaßnahmen ungeeignet. Hier sollte die Bundesregierung im Sinne des Klima- und Verbraucherschutzes ansetzen und zunächst dafür sorgen, dass die rund vier Millionen Ölheizungen, die aktuell noch in Betrieb sind, zügig gegen moderne Gas-Brennwertkessel oder Fernwärme-Anschlüsse ausgetauscht werden. Allein durch den Einbau moderner Gas-Brennwertkessel können so bis zu 40 % CO2 -Emissionen gegenüber alten Ölheizungen eingespart werden.

Die Grafik stellt einen möglichen Weg zur Erreichung der Klimaziele 2030 und 2050 dar. Ausgangspunkt der enervisStudie im Auftrag der Thüga vom Mai 2021 ist der IstZustand im Jahr 2021 unter der Annahme, dass die Klimaziele erreicht werden. Für die Folgejahre wurde eine gewisse Energieeffizienz durch Neubau sowie eine Sanierungsrate und -tiefe unterstellt, aus der sich der Rückgang im Endenergiebedarf von minus 29 Prozent ergibt. Es wird deutlich, dass eine Dekarbonisierung des Wärmesektors nur zu schaffen ist, wenn – zusätzlich zur Senkung des Endenergiebedarfs von rund 30 Prozent – rund 70 Prozent der Energieerzeugung begrünt werden.

sondern über einen Gasumstieg, der die Weichen zu einer klimaneutralen und sicheren Gasversorgung stellt. Um dies zu gewährleisten, muss die laufende Transformation der Gaswirtschaft hin zur Klimaneutralität endlich zur Priorität der Bundesregierung werden.

Mittel- und langfristig können Gasheizungen ohne großen Aufwand auf den Betrieb mit klimaneutralen Gasen wie Biomethan und klimaneutralem Wasserstoff umgestellt werden. Die Gasverteilnetze sind für diese Transformation hin zu klimaneutralen Gasen jetzt schon gut gerüstet. Biomethan kann ohne Restriktionen in die Netze eingespeist werden. Und auch die Beimischung von Wasserstoff kann heute bereits zu 10% und nach der zeitnah anstehenden Anpassung der technischen Regelwerke zu 20 % erfolgen. Perspektivisch ist angedacht, die Gasnetzinfrastruktur für eine 100 %ige Aufnahme von Wasserstoff auszulegen.

Beispiel GasnetzgebietsTransformationsplan

Thüga engagiert sich hierfür, zusammen mit inzwischen über 40 weiteren Gasverteilnetzbetreibern, bei der Initiative H2vorOrt gemeinsam mit dem DVGW und dem Verband kommunaler Unternehmen e. V. (VKU) und arbeitet an einem Gasnetzgebiets-Transformationsplan (GTP). Daneben haben wir seitens Thüga bereits im vergangenen Jahr der Politik die Einführung einer Treibhausgas-Minderungsquote für Gas vorgeschlagen, mit der sich bis zum Jahr 2030 zusätzlich gut 20 Millionen Tonnen CO2 einsparen ließen – sozialverträglich, bezahlbar und versorgungssicher.

Komplexes Zusammenspiel aller Wertschöpfungsstufen

Für den vollständigen Ausstieg aus fossilen Energien im Wärmemarkt sollte die Politik vor allem drei Akteure adressieren und involvieren: Kommunen, Energieversorger und Bürger. Kommune und Energieversorger müssen bei der kommunalen Wärmeplanung eng zusammenarbeiten, um grüne, effiziente und bezahlbare Wärmelösungen möglich zu machen. Bei der Wärmeversorgung gibt es keine allgemeingültige Lösung. Stattdessen ist das komplexe Zusammenspiel aller Wertschöpfungsstufen unter den örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Nur in Kenntnis der lokalen Erzeugungsmöglichkeiten, der vorhandenen Infrastruktur und Anforderungen der Kunden vor Ort lässt sich eine klimaschonende, wirtschaftliche und zukunftssichere Lösung erarbeiten. Letztlich entscheiden die Bürger, meist über den Preis, welche Wärmequelle zum Zuge kommt.

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