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Offener Brief an den Bundestag: Wir brauchen einen Reset beim Regierungsneustart
Mit einem Offenen Brief zu Verbesserungen bei Infrastruktur, urbaner Logistik, Qualifizierung und Planungsverfahren hat sich die Bundesvereinigung Logistik (BVL) e. V. als Veranstalterin des 34. Deutschen Logistik-Kongresses gemeinsam mit unterzeichnenden Partnern aus Industrie, Handel und Logistikdienstleistung mit fünf Hauptforderungen an die Mitglieder des Deutschen Bundestages und damit an die politisch Verantwortlichen in Parlament und künftiger Regierung gewandt.
Wir sprachen mit Prof. Dr.-Ing. Thomas Wimmer, Vorsitzender der Geschäftsführung, zum Anlass dieser Wortmeldung an die Politik.
Foto: BVL/Kai Bublitz
Herr Prof. Wimmer, die Lage muss ernst sein, wenn ein Offener Brief an den Bundestag gerichtet wird?
Wir haben als BVL gerade das Jahrestreffen der Logistiker und Supply Chain Manager aus Industrie, Handel, Logistikdienstleistung und Logistikwissenschaft mit mehr als 3.400 Teilnehmern und Gästen aus rund 40 Ländern unter dem Thema „Neues denken, Digitales leben“ abgeschlossen. In 65 Stunden Kongressprogramm mit rund 120 Rednern beschäftigte sich der Kongress mit dem Ansatz, Digitalisierung nicht nur als technologisches Konzept zu verstehen, sondern in ihr den intelligenten Treiber für Veränderungen zu sehen – und sie tatsächlich in der betrieblichen Praxis umzusetzen.
Damit Industrie, Handel und Dienstleistung in Deutschland und aus Deutschland heraus wettbewerbsfähig tätig sein können, brauchen wir verlässliche Planungsgrundlagen, eine exzellente Infrastruktur aber auch wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen. Hier gibt es hinreichendes Potenzial und das wollen wir den politisch Handelnden am Beginn einer neuen Legislaturperiode aufzeigen und Unterstützung einfordern. Wobei wir als BVL jedoch nicht nur Forderungen an die Politik formulieren, sondern auch die gemeinsame Entwicklung von Konzepten anbieten.
Warum wurde gerade der BVL-Kongress für den Offenen Brief gewählt?
Die Bundesvereinigung Logistik (BVL) mit insgesamt mehr als 11.000 Mitgliedern, Fachund Führungskräften aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft versteht sich als ein Wissens- und Kompetenznetzwerk von Menschen, die für das effiziente und wirksame Miteinander in einer global tätigen Wirtschaft eintreten. Es zog sich wie ein roter Faden durch das Jahrestreffen, die fünf politischen Handlungsfelder besitzen höchste Relevanz für die volkswirtschaftliche Stellung der Logistik in den kommenden Jahren. Die Themen Verkehrsinfrastruktur, digitale Infrastruktur, urbane Logistik, Bildung und Beschleunigung von Planungsverfahren sind außerdem von grundlegender Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Also eine gute Plattform, um den Inhalt des Offenen Briefes den Teilnehmern zu Beginn des Kongresses bekannt zu geben.
Daraus leitet sich die Frage ab nach dem Stellenwert der Logistik in Deutschland?
Logistik ist der drittgrößte Wirtschaftsbereich Deutschlands und ein wichtiger Motor für wirtschaftliches Wachstum und den Arbeitsmarkt. Logistik wirkt als Querschnittsfunktion in allen Wirtschaftsbereichen: Damit Waren und Services in Industrie und Handel verfügbar sind, müssen Planungen durchgeführt, Einkäufe getätigt und Waren bewegt werden – fehlerfrei, sicher, zuverlässig und just-in-time. Über drei Millionen Beschäftigte arbeiten in Deutschland in logistischen Fachfunktionen. Sie erwirtschafteten im Jahr 2016 eine Leistung von 258 Milliarden Euro – in sehr unterschiedlichen Berufen.
Welche Aussagen trifft der Offene Brief zu den fünf politischen Handlungsfeldern?
Zum Ersten sehen wir die Verkehrsinfrastruktur mit Brücken, Straßen, Schienenund Wasserwegen sowie Luftverkehr.
Der „Logistikweltmeister“ Deutschland lebt vielerorts nur von der Substanz. Hier müssen die Weichen gestellt werden, damit nachhaltig in die teilweise marode Verkehrsinfrastruktur investiert wird – und zwar gleichermaßen in Erhalt und Ausbau. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 wird die dramatischen Engpässe nur in Teilen beseitigen. Hier fordern wir die Politik auf: Legen Sie nach! Auch das Luftverkehrskonzept enthält wichtige Maßnahmen für eine nachhaltige Stärkung der deutschen Luftverkehrsindustrie. Die Umsetzung sollte nun aber endlich in Angriff genommen werden.
Zweitens benennen wir die Digitale Infrastruktur samt digitaler Standards und digitaler Sicherheit.
Deutschland ist ein Glasfaser-Entwicklungsland und belegt bei der Versorgung mit Glasfaseranschlüssen im OECD-Vergleich nur Platz 28 von 32. Das ist besorgniserregend, zumal der Ausbau zukunftssicherer digitaler Infrastruktur wesentlich für den Erfolg der Logistik sein wird. Ohne eine digitale Infrastruktur, die eines Logistikweltmeisters würdig ist, können Digitalisierungs-Potenziale nicht ausgeschöpft werden. Deshalb fordern wir von der Politik: Setzen Sie die Digitalisierung daher ganz oben auf die politische Agenda und packen Sie den Glasfaser-Ausbau entschlossen an. Schaffen Sie Rahmenbedingungen, damit die Logistik effizient – und damit ressourcenschonend – arbeiten kann. Ein weithin beachtetes Signal wäre die Einrichtung eines Ministeriums für Digitalisierung.
Drittens sind für uns übergreifende Lösungen für urbane Logistik (Nah- und Lieferverkehre in Städten) unabdingbar.
Stau, Lärm, Emissionen und Engpässe in den Innenstädten betreffen unsere Wirtschaft, die Gesellschaft – und auch unsere Umwelt. Es gibt viele gute Einzellösungen, aber keine gemeinsame Roadmap, die ganzheitliche Lösungen anstrebt und die Anliegen aller Stakeholder berücksichtigt. Selbst Modellversuche der Wirtschaft zur Verbesserung der Abläufe stecken in monatelangen Genehmigungsschleifen von Behörden fest.
Urbane Logistik ist zu einem Top-Thema zu machen und es sollten Zeichen gesetzt werden für die konstruktive Zusammenarbeit von Politik, Verwaltungen, Stadtplanern, Wirtschaft, öffentlichem Personennahverkehr und den Bürgern. Die Experten im Wirtschaftsbereich Logistik bieten ihre Unterstützung an!
Viertens sind für uns die schulische, berufliche und akademische Bildung als generationsübergreifende Vorbereitung auf das digitale Morgen unerlässlich.
Branchenübergreifend gaben in einer Umfrage der BVL 82 Prozent der Teilnehmer an, dass der Fachkräftemangel in der Logistik in den nächsten zehn Jahren negative Auswirkungen auf den Erfolg der Unternehmen haben wird. Wir sehen in der Digitalisierung von Prozessen einen Weg, dem Fachkräftemangel durch höhere Effizienz zu begegnen. Für eine neue, digitalisierte Arbeitswelt müssen aber auch Mitarbeiter und Nachwuchskräfte fit gemacht werden. Das kann nur durch eine Anpassung der Lehrpläne und Lehrmethoden in allen Schulzweigen funktionieren.
Deshalb ist es dringend erforderlich, dass Bundespolitik gemeinsam mit den Verantwortlichen in den Ländern die Curricula von überholten Inhalten entmüllt und in der Schul- und Bildungspolitik den Weg frei macht für eine international wettbewerbsfähige Bildung.
Zum Fünften benennen wir die Beschleunigung von Planungsverfahren und Projektumsetzungen.
Planungsverfahren mit einer Laufzeit von 20 Jahren und mehr behindern die infrastrukturelle Entwicklung in Deutschland. Darauf hat auch Bundeskanzlerin Merkel im Juli 2017 öffentlich hingewiesen. Das Geld für Investitionen ist vorhanden – aber die Verwaltungs- und Entscheidungsprozesse werden heutigen Anforderungen vielfach nicht gerecht. Insbesondere bei großen Infrastrukturprojekten erweist sich die föderale Struktur oft als eine Bremse.
Unsere Forderung an die Politik: Schaffen Sie, zumindest für Ländergrenzen überschreitende Großprojekte, zentrale Entscheidungsstrukturen. Nur so können Fehlentscheidungen und zeitliche Verzögerungen vermieden werden, die häufig mit der Durchsetzung von Partikularinteressen verbunden sind.
Neben den 15 Erstunterzeichnern aus dem Vorstand der BVL haben sich bisher mehr als 200 Unterstützer den Forderungen angeschlossen. Weitere Unterstützer können noch bis Ende November im Internet unterschreiben.
www.bvl.de/offener-brief