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09.09.2016 16:23 Alter: 8 yrs

Novelle der Anreizregulierungsverordnung: Evolution statt Revolution

Netzbetreiber gehören zur wichtigsten Kundengruppe der CONSULECTRA Unternehmensberatung. Die kürzlich verabschiedete Novelle der Anreizregulierung beschäftigt die Marktakteure. Ein Gastbeitrag von Dr. Thorsten Pape, Geschäftsführer, CONSULECTRA Unternehmensberatung GmbH.


Die seit 2009 gültige Anreizregulierungsverordnung (ARegV) bildet gemeinsam mit der Strom- und Gasnetzentgeltverordnung (StromNEV/ GasNEV) die gesetzliche Grundlage für die Entgeltregulierung. Das Bundeskabinett hat am 3. August 2016 die Novelle der ARegV mit den vom Bundesrat vorgeschlagenen Maßnahmen beschlossen.

Grundlage der Novellierung war der Evaluierungsbericht, den die Bundesnetzagentur (BNetzA) im Januar 2015 vorgelegt hat. Wesentlicher Anlass für die Neuregelung des Entgeltrahmens ist der stark ansteigende Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Diese dezentralen Erzeugungsanlagen werden zu über 90 Prozent über die Verteilnetze angeschlossen. Damit erhöht sich für die Verteilnetze in den kommenden Jahren der Ausbau- und Modernisierungsbedarf. Der Branchenverband BDEW schätzt ein, bis 2032 müssen bis zu 50 Milliarden Euro in die Verteilnetze investiert werden. Mit dem neuen Regulierungsrahmen will man Investitionen fördern und gleichzeitig die Aspekte Effizienz und Kosten für Energieverbraucher im Blick behalten. Darüber hinaus sollen durch zusätzliche Veröffentlichungen die Entscheidungen der Regulierungsbehörde sowie die Kosten und Erlöse der Netzbetreiber transparenter gemacht werden.

Besser als gedacht – ein hartes Stück erfolgreiche Lobbyarbeit

Von den Branchenverbänden VKU und BDEW sowie von direkt betroffenen Netzbetreibern wird bei der nun beschlossenen Novelle begrüßt, dass die Regulierungsperiode und der Effizienzpfad im Gleichlauf von fünf Jahren beibehalten werden. Der Systemwechsel vom Budgetprinzip zum Kapitalkostenabgleich, der den Zeitverzug für Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen beseitigt, sei ein echter Fortschritt. Für die Verteilnetzbetreiber sei von zentraler Bedeutung, dass sie damit ab der nächsten Regulierungsperiode Investitionen zeitnah refinanzieren können. Positiv wird auch hervorgehoben, dass das sogenannte vereinfachte Verfahren für kleinere Netzbetreiber erhalten bleibt. Ursprünglich geplante zusätzliche Verschärfungen wie übermäßig strenge Zeitvorgaben zur Erreichung von Effizienzzielen konnten abgewendet werden. Das Regulierungsprinzip werde durch den Wegfall des sogenannten Erweiterungsfaktors und der Investitionsmaßnahme künftig schlanker. Kritisch ist zu werten, dass für die zwischen 2007 bis 2016 getätigten Investitionen aufgrund des Systemwechsels ein gewichtiger Teil der positiven Sockeleffekte einfach wegfällt, wodurch nach Ansicht der Verbände und Netzbetreiber rückwirkend kommunales Eigentum massiv entwertet werde. Die in der Novelle vorgesehene Übergangsregelung bei den positiven Sockeln für die dritte Regulierungsperiode reiche hier nicht aus. Der Bundesrat hat in einem Entschließungsantrag die Bundesregierung aufgefordert, während der dritten Regulierungsperiode zu prüfen, ob die Übergangsregelung um weitere fünf Jahre ausgeweitet werden sollte. Das Thema bleibt der Branche also noch erhalten. Hinsichtlich der angekündigten Verbesserung der Transparenz werden teilweise datenschutzrechtliche Bedenken geäußert.

Fehlende Teile im Puzzle

Einen erheblichen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit des Netzbetriebs werden der künftige Eigenkapitalzinssatz und der Produktivitätsfaktor für die nächste Regulierungsperiode haben. Die BNetzA hat am 6. Juli 2016 ihre Entwürfe der Festlegungen der zukünftigen Eigenkapitalzinssätze für die Elektrizitäts- und Gasnetzbetreiber veröffentlicht. Die BNetzA hat einheitlich einen Eigenkapitalzinssatz für Neuanlagen von 6,91 Prozent vor Körperschaftssteuer ermittelt. Für Altanlagen wurde ein Vor-Körperschaftssteuer- Zinssatz von 5,12 Prozent ermittelt. Die neuen Zinssätze gelten für Gasnetzbetreiber ab 2018, für Stromnetzbetreiber ab 2019. Das Konsultationsverfahren endete am 10. August 2016. Eine endgültige Entscheidung soll im September 2016 ergehen.

Wesentliche Schieflagen bei den Netzentgelten, die dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) bereits im Juni 2015 von der BNetzA in ihrem Bericht zur Netzentgeltsystematik Elektrizität angezeigt wurden, hat der Gesetzgeber mit der Novelle der ARegV aber nicht behoben. Die BNetzA geht von unvermeidbar höheren Netzkosten in Verbindung mit der Energiewende aus. Nach einer Absenkung der Netzentgelte von 2006 bis 2011 steigen diese seit 2012 wieder an. Dabei entscheidet die Netzentgeltsystematik wesentlich über die Verteilung dieser zusätzlichen Kosten. Neben einem insgesamt steigenden Niveau gibt es nach wie vor eine deutliche regional differenzierte Entwicklung der Netzentgelte. Die höchsten Netzentgelte zahlen Abnehmer in ländlichen Gebieten in den neuen Bundesländern.

Die Ursachen für diese erhebliche regionale Spreizung der Netzentgelte ist nicht nur auf klassische Faktoren wie die Auslastung der Netze und die Besiedlungsdichte zurückzuführen, sondern beruht vermehrt auf der Integration der Erneuerbaren Energien und der Zahlung von vermiedenen Netzentgelten an Betreiber von dezentralen Erzeugungsanlagen. Die BNetzA empfiehlt die Abschaffung des nicht mehr zeitgemäßen Systems der vermiedenen Netzentgelte. In den vorgelagerten Übertragungsnetzen zählen insbesondere der Netzausbau Onshore, die Redispatchmaßnahmen und die Kosten für Reservekraftwerke zu den Treibern. Bei der Anbindung von Offshore-Anlagen war der Gesetzgeber schon so schlau, diese bundesweit zu wälzen, was damit auch bundesweit zu einem gleichmäßigen Anstieg der Netzentgelte führt. Eine weitere Angleichung des Netzentgeltniveaus wäre durch ein einheitliches Entgelt auf Übertragungsnetzebene möglich. Auch sollte man Stromversorger angemessen an den Netzkosten beteiligen. Ferner spricht sich die BNetzA für die Erhebung eines reinen Leistungsnetzentgelts für Speicher aus.

Koevolution von Energiewende und Netzentgeltsystematik

Die Schieflage in der Netzentgeltsystematik bleibt auch nach der jetzigen Novelle der ARegV bestehen. Immerhin hat das BMWi dann aber im Juli 2016 die Erarbeitung von Optionen zur Weiterentwicklung der Netzentgeltsystematik ausgeschrieben. Der Dienstleister hat hierfür 16 Monate Zeit, so dass wir 2018 wieder davon hören dürften – soweit die zwischenzeitliche Bundestagswahl hier keinen Strich durch die Rechnung macht. Schade, hat die dem BMWi nachgeordnete Behörde BNetzA die jetzt ausgeschriebene Leistung doch eigentlich schon erbracht.