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< Wasserstoff entfesseln – und rechtspolitisch groß denken
20.12.2022 15:20 Alter: 2 yrs

Notwendig ist eine sinnvolle Transformation unserer Energienetze

Traditionell lädt die Kanzlei Becker Büttner Held (BBH) im Mai zur Regulierungskonferenz nach Berlin. Tenor der diesjährigen Expertenrunde: Mit Blick auf die Umstellung der Energieversorgung bis 2035 scheint angesichts aktueller geopolitischer Entwicklung das Thema Netze in den Hintergrund zu treten. Was wir benötigen, ist eine sinnvolle Transformationsperspektive für unsere Energienetze, unterstreicht Rechtsanwältin und BBH-Partnerin Prof. Dr. Ines Zenke in einem Gastbeitrag für THEMEN!magazin.


Prof. Dr. Ines Zenke, Rechtsanwältin/ Partnerin von BBH Foto: Nanna Heitmann

„Die Diskussion über die Zukunft der Gasnetze kann nicht losgelöst von anderen Energienetzen geführt werden. Gas-, Wärme- und Stromnetze sind alle Teil unseres komplexen Energiesystems, und der Weg in die Klimaneutralität erfordert einen ganzheitlichstrukturellen Umbau.“ Prof. Dr. Ines Zenke

Ein wirtschaftspolitisches Thema der Stunde ist die Frage, wie wir unseren Gasbedarf in den kommenden Monaten decken. Die Lage auf den Gasmärkten ist angespannt. Ob und wann wird Russland den Gashahn ganz zudrehen? In dieser Situation ist es folgerichtig, mit Blick auf LNG die Bezugsquellen für Gas zu diversifizieren und Lieferverträge mit Drittländern auszuhandeln. Die Versorgungssicherheit mit Energie und Wärme auch in den nächsten Wintern muss schließlich unter allen Umständen gewahrt bleiben.

Infrastruktur muss resilient sein

Und danach? Mit Blick auf die deutschen, europäischen und globalen Klimaschutzziele war auch schon vor dem Ukrainekrieg klar, ein Verbrennen von fossilem Gas (Erdgas) wird keine langfristige Perspektive über die Jahrhundertmitte hinweg haben. Diese Entwicklung wird durch den Wegfall einer „billigen“ Quelle wie Erdgas nun vielleicht beschleunigt. Das heißt aber nicht, dass es zukünftig keine gasförmigen Energieträger mehr geben wird. Klimafreundliche Gase, Biogase, kohlenstoffarme Gase, Wasserstoff … der Bedarf wird noch da sein, sei es in der Industrie, bei der Wärmeerzeugung oder in netzstabilisierenden Kraftwerken. Somit lohnt sich der Blick auch weiterhin auf die Infrastruktur, die sowohl in der kurzfristigen als auch der langfristigen Perspektive zuverlässig und resilient funktionieren muss, um alle Verbraucher zuverlässig beliefern zu können. Stand heute haben wir die Infrastruktur. Unser Gasnetz mit einer Gesamtlänge von mehr als einer halben Million Kilometer und einem Wiederbeschaffungswert von mindestens 270 Milliarden Euro ist Garant für eine hohe Versorgungssicherheit. Dafür sorgen die über 700 Gasnetzbetreiber in Deutschland. Und sie investieren jährlich 1,7 Milliarden Euro in die Instandhaltung und in den Ausbau der Netzinfrastruktur. Tendenz steigend, denn die Netze müssen mit den neuen Strukturen, die sich durch Energie- und Klimawende ableiten, Schritt halten. Das gilt natürlich nicht nur für Gas-, sondern in gleichem Maße für Stromnetze. Das Budget für Netzbetreiber wird allerdings nicht größer, sondern immer kleiner. Die Bundesnetzagentur hat den EK-Zins für Netzbetreiber in der 4. Regulierungsperiode erneut gesenkt und damit die Investitionsmöglichkeiten in die Netze stark begrenzt.

Haben wir die Infrastruktur auch morgen noch?

Die Gaswirtschaft steht vor einem sehr grundsätzlichen Dilemma. Sie muss weiter in ihre Netze investieren und muss sie sogar ausbauen aufgrund der allgemeinen Anschlusspflicht von Letztverbrauchern. Dass die Investitionszyklen in der Energiewirtschaft sehr langfristig orientiert sind, ist allgemein bekannt. Die Energiewirtschaft hat einen weiten Planungsrahmen vor Augen, der in Planungs- und Genehmigungsverfahren formal eingebettet ist. Genau dieser existentielle Planungsrahmen ist den Gasnetzbetreibern verloren gegangen. Denn es wird von der Politik die Frage gestellt, welchen Platz die Gasnetzinfrastruktur in Zukunft überhaupt noch in der Energieversorgung haben wird.

Zunächst als Brückentechnologie auf dem Weg in die Klimaneutralität bis 2045 angelegt, gibt es Stimmen, die die Gaswirtschaft auffordern, den Rückbau der Gasnetze vorzubereiten. Wann genau mit der Durchleitung von Gas Schluss ist, kann aber heute niemand mit Bestimmtheit sagen. Noch bauen wir Terminals für importiertes LNG und schließen diese an das Netz an. Auf welcher Basis und mit welcher Perspektive sollen die Gasnetzbetreiber also nun ihre Investitionen planen? Und lohnt sich das denn alles überhaupt noch? Diese Ungewissheit ist Gift für die Lebensrealität im Netzgeschäft und eine Pauschalaufforderung zum Rückbau ist gefährlich.

Natürlich werden mit dem Fokus auf Wärmepumpe und Co. die Rolle von Gas in der Wärmeerzeugung und damit die Zahl der Anschlussnutzer sinken. Allerdings darf man nicht vergessen, dass der Anteil Erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung aktuell bei nur 15 % liegt. Eine all-electric-Wärmeversorgung ist damit kaum kurz- oder mittelfristig zu realisieren. Wenn überhaupt. Wir werden Erdgas in der Wärme jedenfalls noch eine ganze Weile brauchen.

Kommunale Wärmeleitplanung

Für den Netzbereich ist aber nicht nur der Zeitraum entscheidend, sondern auch die geographische Verteilung. An welchen Stellen werden wir nach wie vor Gasnetze brauchen und wo können wir tatsächlich einzelne Gasnetze substituieren, etwa durch Großwärmepumpen, Nah- oder Fernwärmelösungen? Diese Fragen müssen wir uns jetzt stellen. Das richtige Instrument dafür ist die kommunale Wärmeleitplanung. Kommunen und die kommunalen Versorger kennen die örtlichen Gegebenheiten ihrer Versorgungsstrukturen und sie sind es, die hier am Zug sind. Durch eine genaue Analyse lässt sich herausfinden, welche Potentiale für verschiedene Arten der Wärmeversorgung jeweils vorhanden sind.

Die Zusammenschau der einzelnen Wärmeleitplanungen ergibt ein Gesamtbild, mit dem sich die zukünftigen Energieversorgungsstrukturen gut planen lassen. Und Auskunft geben, welche Netze auch über die nächsten Jahrzehnte hinaus für die Durchleitung klimaneutraler Gase notwendig sind und wie eine zukünftige Gasnetzinfrastruktur mit rückläufigen Nutzerzahlen aussehen kann. Auch, welche Rolle der Wasserstoff in der Wärmeversorgung der Zukunft spielen kann und soll.

Klar ist: Die Gasnetzbetreiber sind agil und zukunftsgerichtet. Sie wollen keine Gegebenheiten aus der alten Welt perpetuieren. Im Gegenteil: Sie wollen die Klimawende aktiv mitgestalten und ihren Beitrag leisten, indem sie sich von Gasnetzbetreibern zu Wasserstoffnetzbetreibern weiterentwickeln. Ein schneller Hochlauf von Wasserstoff ohne die Gasnetzinfrastruktur ist jedenfalls undenkbar. Allein: In der aktuellen politischen Diskussion scheint es an Unterstützung für dieses commitment zu fehlen. Doch ist die politische Debatte über diesen Entwurf aktuell in vollem Gange.

Einstieg in die Transformation

Die Diskussion über die Zukunft der Gasnetze kann nicht losgelöst von anderen Energienetzen geführt werden. Gas-, Wärme- und Stromnetze sind alle Teil unseres komplexen Energiesystems, und der Weg in die Klimaneutralität erfordert einen ganzheitlich-strukturellen Umbau. Blicken wir auf die Stromnetze, so müssen diese den steigenden Zubau der Erneuerbaren Energien aufnehmen und verteilen. Bis spätestens 2035 soll die Stromversorgung weitgehend durch Erneuerbare Energien abgedeckt werden, die sehr oft dezentral errichtet werden. Zugleich sollen Heizungen und Mobilität elektrifiziert werden.

Unter diesen Perspektiven brauchen wir auch hier massive Investitionen in die Netze, um den notwendigen Ausbau zu finanzieren. Und hierfür wiederum den passenden Regulierungsrahmen, Stichwort EK-Zins. Wir brauchen eine sinnvolle Transformationsperspektive für unsere Energienetze. Dies ist nicht die Zeit für einen Ausstieg. Dies ist die Zeit für einen Einstieg in die Transformation.

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Ein schneller Hochlauf von Wasserstoff ohne die Gasnetzinfrastruktur ist undenkbar.

Foto: imantsu