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01.02.2019 17:09 Alter: 6 yrs

Nord Stream 2: Nicht drohen, sondern fair diskutieren

Im Europäischen Binnenmarkt für Gas wird die Anbindung von neuen Quellen und neuen Pipelines wie der Nord Stream 2-Pipeline zu mehr Wettbewerb und Versorgungssicherheit führen - nach geltenden Marktregeln. Politische Intervention durch Regierungen von LNGExporteuren sind wohl fehl am Platz.


Prof. Dr. Friedbert Pflüger ist Direktor des European Centre for Energy and Resource Security (EUCERS) am King‘s College London. In einem Gastbeitrag verweist er auf die Notwendigkeit, die Evolution des europäischen Gasmarkts nicht aufzuhalten.

Foto: © Faceland Fotostudio

Der US-Botschafter in Berlin, Richard A. Grenell, hielt es für richtig, am 3. Januar 2019 den deutschen Partnerfirmen von Nord Stream 2 einen Drohbrief ins Haus zu senden. Ohne Neujahrsgruß ging er gleich im ersten Satz zur Sache: „As you are aware, the United States strongly opposes Nord Stream 2“. Der Brief enthält die unmissverständliche Warnung, dass fortan ein „sanctions risk“ über den Firmen schwebe.

Die Unternehmen, die den Brief erhielten, sind seit Jahrzehnten gute Geschäftspartner amerikanischer Firmen. Eine von ihnen, Uniper, hat sogar angekündigt, mit amerikanischen Firmen über Lieferungen von Flüssiggas zu verhandeln und die alte Idee eines LNGTerminals in Wilhelmshaven wieder aufleben zu lassen. Herr Grenell muss sich schon fragen lassen, ob die hier gewählte Form des Umgangs unter Freunden und Partnern nicht ein wenig ungewöhnlich ist …?

Es ist das gute Recht der Amerikaner, Nord Stream 2 abzulehnen und den Versuch zu unternehmen, die europäischen Partner zu überzeugen. Sanktionen dagegen mögen etwas für Nordkorea sein, nicht aber für NATOPartner! Heftiger Streit muss unter Freunden und Partnern möglich sein. Die Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen ist reich an Kontroversen - von den Konflikten über die Nuklearstrategie über die SDI-Pläne Ronald Reagans bis hin zu der Kontroverse Gerhard Schröders mit George W. Bush über den Irak-Krieg. Aber Tonlage und Drohgebärde der letzten Monate zeugen von einer neuen Qualität. Das geht nicht zuletzt engen Freunden der USA (zu denen der Verfasser dieses Artikels stets gezählt hat) zu weit. Vielleicht sollten unsere amerikanischen Freunde in der Debatte ein wenig abrüsten? Es gibt gute Argumente auf beiden Seiten - und wir sollten die Kraft haben, sie fair auszutauschen.

Es geht im Kern um drei Punkte: 1. Abhängigkeit von russischem Gas?

Gegner von Nord Stream 2 behaupten, dass die europäische Energiesicherheit bereits heute durch eine übermäßige Abhängigkeit von russischem Gas beeinträchtigt sei. Tatsächlich schwankt der in den USA häufig aufgebauschte Anteil zwischen einem Viertel und einem Drittel. 2018 kamen 40 Prozent des in Europa verbrauchten Gases aus Russland, derselbe Anteil wie aus Norwegen. Auch für Deutschland gilt zur Zeit: 40 Prozent des verbrauchten Gases stammen aus Russland. Noch wichtiger ist, dass die EU nach den ukrainischen Gaskrisen 2006 und 2009 – die in einigen zentral- und osteuropäischen Staaten zu ernsthaften Lieferkürzungen und Sorgen führte – entscheidende Maßnahmen ergriff, um im Rahmen der Energie-Union ihre Energiesicherheit durch Diversifizierung zu erhöhen. Ergebnis ist ein hochflexibler europäischer Gasmarkt ohne einschränkende Zielklauseln (destination clauses), aber mit neuen Verbindungsleitungen (interconnectors), Speichereinrichtungen, Rückflusskapazitäten (reverse flow) und über 30 europäischen LNGImportterminals, die mit 200 Milliarden Kubikmetern Kapazität im Jahr über die Hälfte der EU-Nachfrage bedienen können. Zahlreiche weitere, als „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ von der EU finanzierte Energieprojekte, die den Wettbewerb stärken sollen, sind im Bau oder in der Planung – sowie eine neue Baltic Pipe, die Gas aus Norwegen nach Polen transportieren soll, oder die Gas-Pipeline-Verbindungen zwischen Estland und Finnland oder Bulgarien und Griechenland. Auch LNG-Terminals sollen trotz Überkapazität laut jüngsten Aussagen von Kommissionspräsident Juncker weiter gefördert werden. Auch Deutschland diskutiert derweil über LNG: ein neues Terminal in Wilhelmshaven, Stade oder Brunsbüttel? Während die EU noch vor einem Jahrzehnt für eine Erpressung anfällig gewesen sein könnte, sehen wir inzwischen eine stark verbesserte Energieinfrastruktur und die Entwicklung hin zu einer wahren Energieunion, in der Gas nicht mehr als Waffe benutzt werden kann.

2. Ein ökonomisches Projekt?

Gegner von Nord Stream 2 bezweifeln auch den ökonomischen Sinn der Pipeline. Aber nicht nur Russland erkennt die Chancen auf dem europäischen Gasmarkt. Zu den gegenwärtigen und künftigen Mitbewerbern gehören neben Russland Norwegen, Qatar, Aserbaidschan (ab 2020 mit der „TAP“) und, nicht zuletzt, die USA mit ihrer Shale-Gas-Industrie. Der amerikanische Kongress hat sein Ziel, Schiefergas nach Europa zu senden, sogar in seine Gesetzgebung geschrieben. Erst Ende letzten Jahres unterzeichneten Israel, Zypern, Griechenland und Italien ein Memorandum für die Konstruktion der weltweit längsten Unterwasserpipeline, die Europa über 2000 Kilometer jährlich mit 16 Milliarden Kubikmeter Gas versorgen soll. Also glaubt offenbar nicht nur Russland, dass Europa auch in Zukunft ein attraktiver Markt für Gas bleibt.

Das ist eine gute Nachricht für die EU. Das wachsende und diverse Portfolio der Gasimporte trägt zur gesamten Versorgungssicherheit, zu Wettbewerb und damit zu erschwinglichen Gaspreisen für Privathaushalte und Industrie bei.

3. Schaden für die Ukraine?

Aber auch wenn Nord Stream 2 wirtschaftlich begründet werden kann, beanstanden manche Kritiker das Projekt aus geopolitischer Sicht. Liegt es nicht in unserem Interesse Nord Stream 2 abzulehnen, um eine eindeutige Antwort auf russische Übergriffe in der Ukraine zu geben, statt Gazprom mit einem zusätzlichen Marktzugang zu belohnen? Werden der Ukraine lebenswichtige Transitgebühren entzogen, das Land geschwächt?

Ein Stopp von Nord Stream 2 würde der Ukraine jedoch nicht helfen. In einer Studie für das European Centre for Energy and Resource Security (EUCERS) am King’s College London legt Andreas Goldthau dar, dass das Land tatsächlich Transitgebühren verlieren würde, wenn der Großteil des Gasflusses nach Westeuropa sein Leitungsnetzwerk umginge. Andererseits stärken aber die neuen westlichen Importoptionen die ukrainische Position bei Preisverhandlungen und senken ihre Gasrechnung. Das wäre keine Premiere: Die Fertigstellung von Litauens schwimmendem LNG-Terminal in Klaipeda im Jahr 2014 führte sofort zu einer 20-prozentigen Preisreduzierung für russische Gasimporte, und zwar bevor signifikante Mengen von verflüssigtem Gas den baltischen Staat erreicht hatten.

Wichtiger noch: Gesetzt den Fall, dass Herrn Grenell’s Hoffnung auf einen Baustopp von NS 2 sich erfüllen würde: Glaubt jemand im Ernst, dass die Russen dann – sozusagen als Belohnung – mehr Gas durch die Ukraine nach Europa schicken würden? Niemand muss mehr als Kiew an einem „grand bargain“, an einem Kompromiss interessiert sein! In diesem Sinne wirken die EU-Kommission und Angela Merkel.

Vor diesem Hintergrund sollten amerikanische Politiker und Diplomaten zweimal überlegen, bevor sie genau das tun, was sie Russland vorwerfen: Energie als politische Waffe zu benutzen. Pipelines wie Nord Stream 2 sind keine Unterwerfung unter Russland. Sie sind Anzeichen einer gegenseitigen Abhängigkeit, die lange Zeit – auch in Phasen größerer Konflikte – eine stabilisierende Rolle im Verhältnis zu Russland spielte. Sogar in den heikelsten Perioden des Kalten Kriegs blieb Energie der einzige bedeutsame Bereich, in dem Ost und West belastbar und fair kooperierten. Europa und die USA wären gut beraten, wieder Ruhe und Gelassenheit in diese Debatte zu bringen.

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