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Nicht alles auf eine Karte setzen: Verkehrswende technologieoffen gestalten
Während Energiewirtschaft, Industrie und der Gebäudesektor ihre Treibhausgasemissionen in den zurückliegenden knapp drei Jahrzehnten deutlich reduzieren konnten, bewegen sich die CO2-Emissionen des Verkehrssektors weiterhin auf hohem Niveau. 2017 sind sie abermals angestiegen und liegen nun sogar über dem Stand des Basisjahres 1990. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Konzept einer Vollelektrifizierung des Straßenverkehrs immer mehr Unterstützung. Aber ist dieser Ansatz tatsächlich der effektivste und effizienteste Weg zur Reduktion des Treibhausgasausstoßes im Verkehrssektor?
Dr. Constantin H. Alsheimer, Vorstandsvorsitzender der Mainova AG, verweist auf das große Potenzial von Erdgas sowie regenerativem Gas im Mobilitätssektor und plädiert für Technologieoffenheit und Wettbewerb.
Ein Diskussionsbeitrag von Dr. Constantin H. Alsheimer, Vorstandsvorsitzender Mainova AG
Im Zuge des Dieselskandals ist in Deutschland eine Debatte über die Zukunft des Verkehrssektors entbrannt. Klar ist, dass eine substanzielle Reduktion der verkehrsbedingten CO2-Emissionen nur durch eine Abkehr von klassischen Benzin- und Dieselmotoren erreicht werden kann. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Konzept einer Vollelektrifizierung des Straßenverkehrs zunehmend Anhänger. Doch eine voreilige Festlegung auf E-Mobilität als einzige Option für die Verkehrswende und – damit verbunden – auf eine bestimmte Art der Kopplung von Elektrizitäts- und Mobilitätssektor, ist sowohl aus Klimaschutzgründen als auch aus volkswirtschaftlichen Erwägungen problematisch.
Kriterium Klimaschutz
Stellt man allein auf den CO2-Ausstoß pro gefahrenem Kilometer ab, dann fällt die Klimabilanz von Elektroautos heute in der Regel besser aus als die vergleichbarer Modelle mit den emissionsärmsten Diesel- oder Benzinmotoren neuester Bauart. Da allerdings jedes Elektroauto eine enorme CO2-Hypothek aus der Werkshalle mit auf die Straße bringt, ist bei einer Gesamtbetrachtung die ökologische Vorteilhaftigkeit des Elektroautos unter den gegenwärtigen Bedingungen in vielen Anwendungsfällen immer noch fraglich.
Laut einer Meta-Studie des IVL Swedish Environmental Research Institute im Auftrag des schwedischen Staates werden nur für die Herstellung von Lithium-Ionen-Akkus gegenwärtig rund 350 bis 650 Megajoule Energie pro kWh Akku-Speicherkapazität benötigt. Die Studie betrachtet die gesamte Herstellungskette und legt dann die nationalen Strommixe der Hauptproduktionsstandorte zugrunde. Das schwedische Institut kommt so auf Treibhausgas-Emissionen von aktuell rund 150 bis 200 Kilogramm CO2-Äquivalente pro kWh Akku-Speicherkapazität.
Bezogen auf einen VW e-Golf (2014er Modell) bedeutet das: Allein bei der Erzeugung des 24,2-kWh-großen Akkus, der eine Reichweite von etwa 130 km ermöglicht, entstehen ungefähr so viele CO2-Emissionen, wie das Dieselmodell VW Golf 1.6 TDI BlueMotion gemäß ADAC-Test auf 30.000 bis 40.000 km insgesamt ausstößt. Eine grundlegende Verbesserung der Klimabilanz von Elektrofahrzeugen wäre nur erreichbar, wenn der zur Herstellung und zum Betrieb der Fahrzeuge erforderliche Strom weniger CO2-Emissionen verursachen würde, als dies gegenwärtig der Fall ist. Dies gilt erst recht, wenn der Trend zu höheren Akku-Ladekapazitäten anhält.*
Lässt sich unter ökologischen Gesichtspunkten aktuell also keine allgemeine Empfehlung für eine bestimmte Antriebsart aussprechen? Doch – und zwar für Erdgas-Autos! Sie sind die bessere Alternative. Legt man die spezifischen CO2-Emissionen des deutschen Strommix von 2015 zugrunde (534 g CO2 kWh), wies der gasbetriebene VW Golf 1.4 TGI Blue Motion im ADAC-Test mit 98 g CO2 pro gefahrenem Kilometer praktisch denselben Wert auf wie der e-Golf (97 g CO2 pro km). Zugleich aber verursacht die Herstellung von Erdgas- Autos deutlich weniger CO2-Emissionen als die Herstellung vergleichbarer Elektrofahrzeuge mit ihrem Energiemehraufwand für die Produktion des Fahrzeugakkus.
Mit einer deutlichen Ausweitung des Anteils an Erdgas-Autos könnten schon heute substanzielle CO2-Einsparungen im deutschen Verkehrssektor realisiert werden. Gemäß einer Studie des EWI-Instituts Köln ließe sich mit einem Anteil von 50 Prozent Erdgasfahrzeugen an der deutschen PKW-Flotte eine Reduktion der CO2-Emissionen des PKW-Sektors um rund 20 Prozent erzielen. Außerdem könnten mit Erdgas-Autos auch die Stickoxidemissionen deutlich gesenkt werden.
* Das 2017er Modell des e-Golfs besitzt mit einer Ladekapazität von 35,8 kWh einen größeren Akku als das Vorgängermodell. Diese Ladekapazität entspricht einer CO2- Hypothek von rund 5,4 bis 7,2 Tonnen CO2 – so viel, wie das 2014er Dieselmodell VW Golf 1.6 TDI BlueMotion gemäß ADAC-Test auf etwa 45.000 bis 60.000 km insgesamt ausstößt. Der Reichweitenzuwachs wird durch ein deutlich höheres Akku- und damit letztlich auch Fahrzeuggewicht erkauft. Wohl auch deshalb besitzt das 2017er Modell einen leistungsstärkeren Motor. Der Stromverbrauch liegt gemäß Herstellerangabe bei 12,7 kWh pro 100 km Laufleistung und damit gleich hoch wie der entsprechende Wert für das 2014er Modell. Diese Werte basieren jedoch auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Testverfahren und haben mit den tatsächlichen Verbrauchswerten in der alltäglichen Praxis wenig zu tun. Der wesentlich praxisnähere Wert für das 2014er Modell aus dem ADAC-Autotest beträgt 18,2 kWh pro 100 km. Für das 2017er Modell liegt noch kein entsprechender ADAC-Autotest vor, der einen Vergleich auf Basis desselben praxisnahen Fahrprofils zur Verbrauchsermittlung zuließe. Deshalb wurde hier auf 2014er Modell zurückgegriffen.
Kriterium Wirtschaftlichkeit
Die Anhänger einer Vollelektrifizierung des Verkehrssektors wenden dagegen ein, dass mit Blick auf die Treibhausgas-Reduktionsziele für 2050 nur eine vollständige Dekarbonisierung des Verkehrssektors in Frage käme. Diese vollumfängliche Dekarbonisierung aber ließe sich allein durch die vollständige Transformation des Mobilitätssektors hin zur Elektromobilität realisieren, und dafür müsse diese Transformation durch strukturpolitische staatliche Vorgaben so schnell wie möglich und unwiderruflich eingeleitet werden.
Tatsächlich aber kommen auch andere Wege für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors in Betracht. Und einiges spricht dafür, dass diese Alternativen volkswirtschaftlich effizienter sein könnten. So bietet namentlich die Power-to-Gas-Technologie die Möglichkeit, Wasserstoff oder auch synthetisches Methan aus Erneuerbaren-Strom zu erzeugen. Bei einem Mobilitätssystem, das auf Power-to-Gas aufbaut, fallen zwar beim Syntheseprozess Wandlungsverluste an. Dafür entfallen aber die hohen Kosten, die – bewegt man sich im Szenario einer vollständigen Dekarbonisierung des Stromsektors – durch die zusätzlichen Erneuerbaren-Anlagen verursacht werden, die den gigantischen zusätzlichen Energiebedarf für die Akku-Produktion von Millionen Elektroautos abdecken müssten.
Außerdem kann eine Verkehrswende auf Basis der Power-to-Gas-Technologie die hohen Kosten vermeiden helfen, die bei einer Vollelektrisierung des Straßenverkehrs in Gestalt hoher zusätzlicher Infrastrukturkosten anfallen. Allein für den in Frankfurt erforderlichen Ausbau des Stromverteilnetzes würden im Falle einer Vollelektrisierung des PKWSektors schnell Kosten im Milliardenbereich entstehen. Hinzu kämen noch die Kosten für die Ladevorrichtungen. Eine Vollelektrifizierung des Verkehrssektors würde damit letztlich ganz Deutschland vor außerordentliche finanzielle und auch städtebauliche Herausforderungen stellen.
Technologieoffen und wettbewerblich
Fest steht: Elektromobilität kann für bestimmte Anwendungssegmente – z. B. beim Kurzstreckenverkehr im urbanen Raum – schon bald ökologisch sinnvoll und wirtschaftlich sein. Deshalb engagiert sich Mainova bereits seit 2010 im Bereich E-Mobilität im Ballungsraum Frankfurt/Rhein- Main. Substantielle Klimaschutzeffekte werden sich mit E-Mobilität aber nur dann erzielen lassen, wenn es gelingt, die deutsche Stromerzeugung erheblich zu dekarbonisieren. Ein Ausstieg aus der Braunkohle, die allein für rund 50 Prozent der CO2-Emissionen des deutschen Stromsektors und für rund 20 Prozent aller deutschen CO2-Emissionen verantwortlich ist, wäre dafür die zentrale Voraussetzung.
Was für die große Masse des straßengebundenen Verkehrs langfristig der bessere Umsetzungspfad ist, kann heute niemand mit Sicherheit für 30 Jahre im Voraus sagen. Viel spricht für Gas – auch, weil damit schon jetzt substanzielle Treibhausgas-Einsparungen und eine erhebliche Linderung der Stickoxid- Problematik in den Innenstädten realisiert werden können. Andererseits ist mit technischen Fortschritten bei der Akku-Technologie zu rechnen, um die energetische Effizienz des Herstellungsprozesses zu verbessern. Letztlich ist die Zweckmäßigkeit einer Vollelektrisierung des Verkehrssektors unter ökonomischen und Klimaschutzaspekten keineswegs zwingend und es besteht deshalb auch kein Bedarf, durch voreilige strukturpolitische Festlegungen auf einen bestimmten Pfad der Sektorkopplung unwiderruflich Tatsachen zu schaffen, die man einige Jahre später womöglich bitter bereut.
Bei der Verkehrswende sollte deshalb nicht alles auf eine Karte gesetzt werden. Vielmehr bedarf es eines Ordnungsrahmens, der auch Technologieoffenheit und Wettbewerb ermöglicht. Die effizientesten Klimaschutzlösungen sollen sich am Markt durchsetzen können. Dazu müssen die jeweiligen CO2- Fußabdrücke der verschiedenen Mobilitätskonzepte diskriminierungsfrei, somit möglichst vollständig abgebildet werden. Eine Privilegierung von bestimmten Antriebskonzepten, sei es durch willkürliche Zwangsquoten, sei es durch sachlich nicht gerechtfertigte Gutschriften auf die Flottendurchschnittswerte für Verbrauch und CO2-Ausstoß, gilt es zu vermeiden.
Auf keinen Fall darf die Möglichkeit einer Kopplung von Strom- und Verkehrssektor über die Power-to-Gas-Technologie von vornherein verbaut werden. Gas und die leistungsfähige deutsche Gasinfrastruktur in Verbindung mit Power-to-Gas sind eine wichtige Lösungsoption für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors – auf Basis von gasbetriebenen Fahrzeugen und perspektivisch nicht zuletzt auch auf Basis von Brennstoffzellenantrieben.
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