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Neue Lösungen für das Netz der Zukunft
Der Netzausbau ist eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende. Gleichzeitig ist er aber wegen der Diskussion um Akzeptanz und die gewaltigen Herausforderungen technischer und finanzieller Art auch ihre Achillesferse. Deshalb müssen Übertragungsnetzbetreiber mit Blick auf den immer weiter steigenden Anteil von erneuerbaren Energien im System schon heute darüber nachdenken, wie etwa nach 2030 der notwendige Netzausbau reduziert werden kann. Ein Gastbeitrag von Dr. Urban Keussen, Vorsitzender der Geschäftsführung, TenneT TSO GmbH.
Der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung wächst schnell. Er liegt schon bei rund 30 Prozent. Das von der Bundesregierung festgelegte Ausbauziel für 2020 – 35 Prozent – haben wir damit schon fast erreicht. Gleichzeitig nehmen die flexiblen Kraftwerkskapazitäten, auf die wir bei geringer Erneuerbaren-Einspeisung zurückgreifen müssen, ab.
Langsamer Netzausbau
Weniger gesicherte, flexible Kraftwerkskapazität und mehr dezentrale, volatile erneuerbare Energien bedeuten für Stromnetze und Versorgungssicherheit eine Belastungsprobe. Besonders in Zeiten hoher Wind- und Solareinspeisung kommt es verstärkt zu Transportengpässen: Denn während sich die Erneuerbaren auf der Überholspur bewegen, hat der Netzausbau noch nicht ausreichend an Boden gewonnen. Lange Genehmigungsverfahren, eine teils fehlende aktive Unterstützung durch die Politik und der Widerstand von Anwohnern gegen neue Leitungen führen dazu, dass der Netzausbau mit dem Ausbau der Erneuerbaren nicht Schritt halten kann. Die Folgen sind hohe Kosten für die Verbraucher und eine zunehmende Anspannung im Netz.
Milliarden für die Netzstabilisierung
Um das Netz stabil zu halten, nehmen die Übertragungsnetzbetreiber Eingriffe in die konventionelle Erzeugung vor, nutzen Netzreserve und regeln schließlich auch Windenergie ab. In den vergangenen Jahren sind die Kosten für diese netzstabilisierenden Maßnahmen deutlich gestiegen und haben die Netzentgelte in die Höhe getrieben.
„Grenzzäune“ für den Stromhandel
Die zunehmende Einspeisung der Erneuerbaren hat auch Folgen für die Deutschland umgebenden Stromnetze und Märkte. Auf der einen Seite nutzten einige Länder „Grenzkontrollen“ und „Grenzzäune“ in Form sogenannter Phasenschieber-Transformatoren, um ungewollte Stromflüsse aufzuhalten und so ihre Stromnetze zu entlasten. Auf der anderen Seite erwägt Deutschland die Begrenzung des Stromhandels mit Österreich, um in kritischen Situationen die Systemstabilität in Deutschland aufrecht zu erhalten. Beide Entwicklungen entsprechen nicht dem Ziel eines europäischen Binnenmarktes, sondern sind der Tatsache geschuldet, dass die Lücke zwischen Netzausbau und Zubau der Erneuerbaren die bestehenden Netze stark belastet.
Mehr Netze für mehr grünen Strom
Nur ein entsprechend den Anforderungen der Energiewende ausgebautes Stromnetz wird die Lage entspannen. So müssen im klassischen Wechselstromnetz mehr Transportkapazitäten in Nord-Süd-Richtung geschaffen werden, um die Ballungszentren zu versorgen. Und zukünftig werden neue Verbindungen zu den Pumpspeicherkraftwerken in den österreichischen Alpen, zu den norwegischen Wasserkraftspeichern und zu den erneuerbaren Energiequellen in Dänemark helfen, die Stromversorgung in Deutschland zu sichern. Dazu kommen noch die Gleichstromverbindungen aus Nord- und Ostdeutschland in den Süden und Südwesten, die eine große Bedeutung für den Transport von Wind- und Solarstrom über weite Distanzen haben werden.
Der Zubau der erneuerbaren Energien macht den Ausbau des Stromnetzes notwendig. Die Frage ist, ob und wie der Netzausbau nach 2030 reduziert werden kann.
Coyright: TenneT
Alternativen zur Netzausbau-Spirale
Die Energiewende braucht also den Netzausbau. Aber die Akzeptanz des Netzausbaus entwickelt sich zum Nadelöhr der Energiewende: Erhebliche lokale wie überregionale Widerstände gegen den Netzausbau behindern Vorhaben, die für die Umsetzung der Ziele der Energiewende bis 2025 dringend benötigt werden. Darüber hinaus besteht eine große Verunsicherung über einen in Zukunft immer weiter ansteigenden Netzausbaubedarf. Gibt es also Alternativen oder sind wir in einer Netzausbau-Spirale gefangen?
Um dieser Frage nachzugehen, haben wir eine Studie beauftragt, den Netzstresstest. Er hat untersucht, ob eine Fortsetzung der Energiewende entlang alternativer Pfade und die Erschließung von Innovationspotenzialen bei Planung und Betrieb die Struktur des Ausbaus des Höchstspannungsnetzes nach 2030 signifikant verändern können. Ergebnis: die steigende Einspeisung erneuerbarer Energien und der daraus folgende wachsende Transportbedarf können auch mit deutlich weniger Netzausbau ab 2030 intelligent gelöst werden. Voraussetzung ist, dass die heute vom Gesetzgeber festgelegten Ausbauprojekte als Basis für ein stabiles Energiewende-Netz umgesetzt werden.
Der Netzstresstest zeigt, dass sich der Transportbedarf bei alternativen Erzeugungsszenarien, die vom aktuellen Ausbaupfad der Energiewende abweichen, verringert. So würden zum Beispiel die Konzentration von Photovoltaik-Speicher-Kombinationen in Süddeutschland und entsprechend eine geringere Windenergieerzeugung im Norden dazu führen, dass signifikant weniger Strom von Nord nach Süd transportiert werden müsste. Ein Ausstieg aus der Kohleverstromung hätte nur eine netzentlastende Wirkung, wenn gleichzeitig die wegfallenden Energiemengen substituiert würden durch Photovoltaik-Speicher-Kombinationen in Süddeutschland und eine flächendeckende Erschließung von Lastflexibilitätspotenzialen durch industrielles Lastmanagement oder durch die Umwandlung überschüssiger Energie in Wärme (Power-to-Heat).
Der zukünftige Netzausbaubedarf könnte ebenfalls sinken, wenn die Stromtragfähigkeiten bestehender Leitungen flächendeckend erhöht würden. So könnte mehr Energie im Bestandsnetz transportiert werden. Damit dies umgesetzt werden kann, müsste allerdings die Immissionsschutzgesetzgebung (Lärm, elektrische und magnetische Felder) angepasst werden. Hierzu wäre eine gesellschaftspolitische Diskussion notwendig.
Auch eine schrittweise Umstellung hin zu einer automatisierten Systemführung könnte zukünftig eine weitgehend vollständige und gleichmäßige Auslastung der Netzinfrastruktur ermöglichen. Die Umsetzung dieser Maßnahmen, die heute noch nicht dem Stand der Technik entsprechen, hätte somit signifikante Auswirkungen auf den Netzausbaubedarf nach 2030. Würde diese Technologie stufenweise entwickelt und eingeführt, ließe sich ein Netzausbau über das bereits beschlossene Maß hinaus auf ein Minimum beschränken.
Für die Zeit danach ab 2030 könnten wir also mit weniger Netzausbau auskommen. Dafür müssen wir aber bereits heute energiewirtschaftliche und technologische Alternativen diskutieren und vorantreiben. Deshalb ist TenneT im intensiven Dialog mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verbänden getreten, um dieses Thema systematisch weiter zu entwickeln.
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