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Mit grünen Gasen Energiewende neu gestalten
Deutschland hat seit dem Jahr 2000 etwa 270 Milliarden Euro in Erneuerbare Energien investiert, und die Verbraucher werden bis Ende diesen Jahres 200 Milliarden Euro für die EEG-Umlage gezahlt haben. Doch auch wenn wir in einzelnen Regionen bereits tageweise mit 100 Prozent Strom aus Erneuerbaren leben, stockt seit 2009 die Senkung der jährlichen Gesamt-CO2-Emissionen. Die Nutzung der bestehenden Gasinfrastruktur mit „grünem Gas“ kann die Kosten der Dekarbonisierung deutlich senken, gleichzeitig die Versorgungssicherheit sowie die Akzeptanz für die Energiewende erhöhen.
Ralph Bahke, Geschäftsführer der ONTRAS Gastransport GmbH benennt die aus seiner Sicht anstehenden Gesprächsthemen.
Foto: ONTRAS
Herr Bahke, kommt man mit Gas schneller und preiswerter zum Klimaschutz?
Die jährlichen CO2-Emissionen erreichen permanent einen Wert zwischen 900 und 950 Millionen Tonnen und sie haben 2017 in den Mobilitäts- und Industriesektoren gegenüber dem Vorjahr sogar zugenommen. Es ist also Zeit, die Energiewende neu zu denken, vor allem sich technologieoffen wieder auf das eigentliche Ziel, die Senkung der Treibhausgas- Emissionen, zu fokussieren.
Der Energieträger Gas kann der Energiewende neue, entscheidende Impulse geben. Im Gegensatz zu einer stromdominierten Energiewende, die über Jahrzehnte noch weitere hunderte von Milliarden Euro Investitionen in Infrastruktur, den Umbau im Anwenderbereich sowie Forschung und Entwicklung erfordern wird, benötigt ein Konzept, das Gas mit einbindet, deutlich weniger der für die Stromwende veranschlagten Investitionen.
Zudem sind Infrastruktur und Anwendungen sofort verfügbar, markterprobt und kostengünstig. Mehrere Studien unter anderem der Deutschen Energieagentur dena und des FNB Gas belegen, dass eine Energiewende mit Gas die volkswirtschaftlich effizienteste, kostengünstigste und sinnvollste Möglichkeit ist, die Klimaziele von Paris zu erreichen. Die Schätzungen der Kostenersparnis in den einzelnen Studien gegenüber stromdominierten Szenarien bis zum Jahr 2050 liegen zwischen 140 und 400 Milliarden Euro. Zudem erfährt eine Energiewende mit Gas auch am ehesten eine höhere Akzeptanz von der Bevölkerung, da gerade die Endverbraucher ihre Geräte kaum anpassen müssen.
Welchen Ansatz haben Sie im Blick?
Nach Vorschlägen des DVGW Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches kann die Energiewende mit Gas in drei Schritten gelingen. Der Wechsel von Kohle bzw. Öl zu Gas senkt schnell die Treibhausgas-Emissionen (Fuel Switch). Parallel dazu gelangen zunehmend grüne Gase (Biomethan sowie Wasserstoff und synthetisches Methan aus Powerto- Gas) ins Netz (Content Switch), bis sie lokal und regional Erdgas ganz ersetzen und Gas klimaneutral wird.
Mit einer intelligenten Sektorenkopplung könnten dann alle Bereiche ihre individuellen Vorteile ausspielen und im Ergebnis eine optimale klimaschützende Wirkung erzielen (Modal Switch). Mehrere, parallel betriebene Energiesysteme schaffen zudem Redundanzen und bieten so insgesamt auch mehr Versorgungssicherheit.
Und letztlich behalten die wertvollen kommunalen Netze ihre Funktion. Eine schleichende unnötige Wertevernichtung kommunalen Eigentums, die bei abnehmender Nutzung oder sogar vollständigem Rückbau der Gasinfrastruktur zu befürchten wäre, bliebe aus.
Und wie sehen Sie die Situation im Verkehrsbereich?
Die Anstrengungen für Klimaschutz im Verkehrsbereich laufen ins Leere, auch in diesem Sektor steigen die CO2-Emissionen. Und wir erleben ja die Diskussion um Fahrverbote aufgrund zu hoher Schadstoffbelastungen. Durch den konsequenten Einsatz von Gasen im Verkehrssektor können Treibhausgasemissionen sehr schnell und auch kosteneffizient gesenkt werden. Denn Mobilitäts- und Kraftstoffstrategien liegen vor und in der Praxis werden bereits eine Vielzahl von nachhaltigen Mobilitätsstrategien erprobt. Dies betrifft nicht zuletzt den Einsatz alternativer und gasbasierter Kraftstoffe.
Kann die Power-to-Gas-Technologie ein zentrales Bindeglied in solchem Szenario sein?
Dies kann man klar mit ja beantworten. Denn Erneuerbarer Strom erzeugt mittels Elektrolyse Wasserstoff, der entweder direkt als Zumischung ins Gasnetz gelangt oder unter Zugabe von CO2 zu synthetischem Methan gewandelt und in die Netze eingespeist wird. So lassen sich große Energiemengen über weite Distanzen transportieren und speichern. Das entlastet die Stromnetze, deren zusätzlicher Ausbau dann deutlich reduziert werden könnte. Das Abschalten von Windkraft- und Solaranlagen wegen ausgelasteter Stromnetze wird damit ebenfalls überflüssig. Das erspart jährlich viele hundert Millionen Euro an Entschädigungszahlungen. Gerade der Wärmesektor ist ohne eine solche Technologie nicht in der Lage die saisonalen Schwankungen abzubilden.
Schließlich kann das grüne Gas das Backup für lang anhaltende Dunkelflauten liefern, indem es wieder zur Stromproduktion eingesetzt wird. Unter dem Strich wird ein solches Kombi-Szenario aus erneuerbarem Strom und erneuerbaren Gasen besser funktionieren und deutlich weniger kosten und einen höheren Grad an Versorgungssicherheit gewähren als eine reine „all electric“-Welt.
Gibt es bereits tragfähige Anwenderbeispiele?
Erste Power-to-Gas Anlagen in Deutschland stellen unter Beweis, dass dieses Konzept in der Praxis technisch auch funktioniert. Allerdings arbeitet noch keines der etwa 30 Powerto- Gas-Pilotprojekte wirtschaftlich. Denn der eingesetzte EE-Strom wie auch das erzeugte regenerative Gas werden weiterhin mit allen Verbraucherabgaben sowie Steuern belegt. Dabei sind diese Anlagen systemdienliche Transformatoren, die keine Energie produzieren, sondern je nach Markterfordernissen den Strom in Gas umwandeln oder durch Rückverstromung des grünen Gases dem Stromsystem wieder zur Verfügung stellen. Wären also Power-to-Gas-Anlagen von den sachlich nicht gerechtfertigten Doppelabgaben befreit, könnten sie bereits heute wirtschaftlich betrieben werden.
Kann „Going green“ Leitvision für eine CO2-neutrale Energiezukunft sein?
Der Fernleitungsnetzbetreiber ONTRAS Gastransport aus Leipzig hat seine Vision „going green“ bereits in der alten Erdgas-Welt entwickelt. Seither arbeitet das Unternehmen zusammen mit verschiedenen Partnern daran, erneuerbare Energien in die Gasinfrastruktur zu integrieren und setzt sich für eine intelligente Sektorenkopplung mit Gas ein.
Einer der Schwerpunkte ist die CNG Mobilität. Hier kann Gas statt Benzin oder Diesel schnell und kostengünstig die CO2-, NOx-, Feinstaubund Lärmemissionen drastisch senken. CNGFahrzeuge unterschreiten die Abgasnorm Euro 6 deutlich. Schon jetzt vermeiden die knapp 100.000 CNG-Fahrzeuge in Deutschland jährlich 320.000 Tonnen CO2-Äquivalent. Mit zunehmendem Anteil grüner Gase sinken die Emissionen weiter, bis wir zu 100 Prozent CO2-neutral Auto fahren.
Wie stellt sich ONTRAS für diese Technologie auf?
ONTRAS will die CNG-Tankinfrastruktur in den nächsten Jahren weiter ausbauen. Wir engagieren uns im VW-Industriekreis CNG Mobility, dessen Mitglieder das Ziel haben, bis 2025 eine Million CNG-Fahrzeuge auf die Straßen zu bringen und die Anzahl der Tankstellen auf 2.000 aufzustocken. Mit unseren Kompetenzen bei Bau, Betrieb und Überwachung von CNG-Tankanlagen wollen wir dieses Geschäftsfeld mit unseren Marktpartnern über die neu gegründete MoviaTec GmbH Gesellschaft für Mobilitätsinfrastrukturen weiter voranbringen.
Wir kehren aber auch sozusagen vor der eigenen Haustür. Ende 2017 hat das Unternehmen ein umfangreiches Nachhaltigkeitsprogramm gestartet und sich konkrete Zielvorgaben für die kommenden Jahre gesetzt. Einige Maßnahmen laufen bereits.
So sparen wir mit unserer Dienstwagenflotte aus über 100 Gasfahrzeugen im Vergleich zu Diesel jährlich rund 116 Tonnen CO2 sowie 99 Prozent der Feinstaub- und 90 Prozent der NOx-Emissionen ein. Durch den Einsatz von 100 Prozent Ökostrom vermeiden wir im Vergleich zum deutschen Strommix pro Jahr rund 13.200 Tonnen CO2-Äuivalent (Jahresverbrauch = 25 GWh, CO2-Äquivalent deutscher Strommix 2016 lt. UBA 527 g/kwh). Diesen Weg werden wir konsequent ausbauen. Dazu haben wir uns für die Jahre 2020 und 2025 konkrete Nachhaltigkeitsziele gesetzt, die wir gegenüber dem Vergleichsjahr 2015 erreichen wollen.
Welche Forderungen stellen Sie an die Politik hinsichtlich notwendiger Rahmenbedingungen?
Grüne Gase und eine intelligente Sektorenkopplung müssen konsequent in die Entwicklung mit einbezogen und die entsprechenden gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. So sollten Strom- und Gasnetze künftig in einem gemeinsamen Netzentwicklungsplan fortgeschrieben werden. Damit Power-to-Gas als Schlüsseltechnologie auch funktionieren kann, müssen wir beim Markthochlauf die Entwicklung vom Stand der heutigen Pilotanlagen zum großtechnischen und vor allem wirtschaftlichen Einsatz schaffen. Dazu sind allerdings die Anlagen als Systemleistung von allen Abgaben zu befreien.
So lange Power-to-Gas nicht wirtschaftlich zu betreiben ist, weil ein entsprechendes Marktumfeld fehlt, wäre es eine Option, die Anlagen zunächst bei Gasnetzbetreibern im regulierten Bereich zu belassen. Zusätzlich könnte ein Marktanlaufprogramm wie das von ONTRAS gemeinsam mit Partnern vorgeschlagene Eckpunktepapier der Power-to-XAllianz helfen (siehe Beitrag in themen|magazin 6/2017*). Danach sollen im Förderzeitraum 2019-2027 max. 1.500 MW installierte Gesamtleistung gefördert werden. Für vermiedene Treibhausgas-Emissionen wird anfangs ein Innovationsbonus von 300 Euro je vermiedener Tonne CO2 gezahlt, der degressiv bis zum Förderende auf 150 Euro je vermiedener Tonne CO2 abnimmt. Das Eckpunktepapier wurde im November 2017 an die Partner der Koalitionsverhandlungen übergeben.
Mit einer ganzheitlichen und technologieoffenen Herangehensweise von Politik und Wirtschaft, welche die Vorteile von grünem Gas nicht mehr länger übersieht, kann die Energiewende gelingen. Deutschland würde seine Klimaschutzziele erreichen und gegenüber bisherigen, stromdominierten Szenarien auch noch erhebliche Kosten einsparen.
www.ontras.com
* Power-to-X-Allianz sind neben ONTRAS die AUDI AG, Uniper SE, aireg e. V. (Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany), DWV (Deutscher Wasserstoff- und Brennstoffzellenverband) und DVGW Deutscher Verein des Gas- und Wasserfachs e. V.