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Macht uns unser Sicherheitsbedürfnis unflexibel?
Eine hochentwickelte Gesellschaft glaubt naturgemäß, ihre Risiken abgeschafft zu haben. Versicherungen, Verkehrshinweise, Sozialsysteme, Gesetzgebung, letztendlich Vorgaben aller Art wägen uns in einem Korsett von Sicherheit des eigenen Handelns, das kaum negative Konsequenzen haben kann. Ein Gastbeitrag von Dipl.-Ing. Jens Focke (BIL eG, Bonn) und RA Markus Heinrich (Wolter Hoppenberg Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Hamm).
BIL steht für ein bundesweites Informationssystem zur Leitungsrecherche. Als genossenschaftliche Initiative von Leitungsbetreibern in Deutschland stellt BIL seit Online-Start im Februar 2016 ein kostenfreies Online-Bauanfrageportal zur Verfügung. BIL verfolgt keine kommerziellen Interessen und unterstützt den Leitungsauskunftsprozess von Leitungsbetreibern aller Sparten.
Infrastruktursicherheit kann ein hohes Gut sein, auf dessen Funktionieren wir Tag für Tag angewiesen sind, sei es als Verkehrsteilnehmer, Energiekunde oder bei der Nutzung des Internets. Gerade die COVID-19-Krise macht uns deutlich, dass Digitalisierung zu einer volkswirtschaftlichen Pflichtaufgabe geworden ist.
Deutschland verfügt über die weltweit höchste Dichte unterirdischer Infrastruktur. Bedingt durch den schnellen Breitbandausbau ist aktuell ein hohes Maß an Baumaßnahmen in Parallellagen zu existierenden Leitungen zu beobachten, was stets mit Risiken währendder Tiefbauarbeiten verbunden ist. Gleichzeitig stoßen Maßnahmen bei Bau und Betrieb neuer Infrastruktur auf Ablehnung. Die Angst vor Digitalisierung und der Betrieb von Leitungen und Anlagen erzeugen Blockadehaltungen, die das Erreichen der gewünschten Effekte mit einer „schnellen Leitung“ erschweren.
Macht uns unser Sicherheitsbedürfnis unflexibel?
Für die Zeit nach COVID-19 gilt: verkrustete Strukturen aufbrechen und berechtigte Ängste überwinden - zwei maßgebliche Maxime, die unserer Gesellschaft helfen, sich auf zukünftige Anforderungen besser vorzubereiten und ihnen gerecht zu werden. Unser Sicherheitsbedürfnis bei der Nutzung von Handy-Apps bis zu Internetplattformen darf uns dabei nicht lähmen. Diese Applikationen müssen in ihrer Effektivität ausgeschöpft werden, damit wir egal ob als Nutzer, Kunde oder Betroffener besseren Service geben und empfangen können. Zum Nutzen aller gesellschaftlichen Akteure.
Übersehen wir Lösungsmöglichkeiten, weil Teilprobleme ein zu hohes Gewicht erhalten?
Ein Beispiel hierfür ist der Gesundheitssektor. Angesichts des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) vom Oktober 2019 war bereits vor der COVID-19 Pandemie die Debatte über die Digitalisierung des Gesundheitswesens wieder brandaktuell. Diese trägt mitunter eigenartige Züge. Während der Rest der Welt über die Chancen redet, die sich aus neuen Technologien und Algorithmen für Patienten und Ärzte ergeben, sind wir in Deutschland hauptsächlich damit beschäftigt, Bedenken zu tragen. Die Pseudonymisierung und Sicherheit der verwendeten Daten sind fraglos Grundvoraussetzung für eine verantwortungsvolle Forschung. Beides darf jedoch nicht als Totschlagargument gegen eine systematische Datenerfassung und -auswertung missbraucht werden.
Digitaler Nachholebedarf?
Verfügbarkeit und Qualität der strukturellen Voraussetzungen der Digitalisierung können gesteigert werden. In diesen Tagen ist mitunter festzustellen, dass der Verweis auf die Verantwortung Dritter gerne vorgeschoben wird, um am „Nichts-tun“ festzuhalten. In einer Pressemitteilung vom 20. Januar 2020 teilt der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) mit, dass knapp 60 % der Geschäftsführer und Vorstände in Deutschland angibt, beim Thema Digitalisierung noch ein Nachzügler zu sein.
Progressive Branchenverbände und Energieversorger wissen um die Notwendigkeit der digitalen Zentralisierung einer recherchefreien Bauanfrage und haben deshalb einen eigenen spartenübergreifenden Marktstandard geschaffen. Derartige Standards werden üblicherweise von flexiblen Marktteilnehmern geprägt, welche die Diskussionsphase zügig beenden, in der sich Gremien gerne verlaufen, weil sich Einzelinteressen durchsetzen wollen. Globaler und noch spartenübergreifender erscheint da das Beispiel der Microsoft Office Welt. Das Softwarepaket hat sich erfolgreich als weltweiter Standard zur Verarbeitung von Daten etabliert – und das ganz ohne gesetzliche Vorgaben.
Vorbehalte dürfen nicht lähmen
Die Orchestrierung sicherheitstechnischer Prozesse muss genauso gelingen, wie dies in den neunziger Jahren bei Investitionen in die kommerziellen Prozesse der weit verbreiteten SAP-Umgebung gelungen ist. Dies ist jedoch nicht überall der Fall. Ein Blick auf die digitale Prozessunterstützung und den digitalisierten Datenaustausch aus geographischen Informationssystemen zeigt, dass diese mitunter unterentwickelt sind. Dies gilt insbesondere für Planungs- und Bauvorhaben und ihre transparente Beantragung und Durchführung.
Nur 20 % deutscher Leitungsbetreiber verfügen über eine digitale Anfragemöglichkeit für Leitungsauskünfte. Digitale Planungsinformations- und Beteiligungssoftware, Bauanfrage- und Leitungsauskunftssysteme stehen heute bereit, um das Erstellen und Versenden von umfänglichen analogen Unterlagen zu vermeiden. Die Beschleunigung der damit verbundenen Prozesse wird allseits gefordert.
Schon heute erwartet das Buildung Information (Spezifikation XBau, Bauministerkonferenz 2017) nicht nur digitale Eingangsdaten, sondern benötigt für die schlanke Gestaltung des Gesamtprozesses einen vollständig digitalen Datenfluss. Der hier notwendige und nachvollziehbare Handlungsbedarf sollte nicht konservativem Beharrungsvermögen zum Opfer fallen, denn für die Schaffung derartiger Vorgehensweise braucht die Volkswirtschaft nicht einmal den Gesetzgeber.
Erfolgreiche Beispiele zeigen die Richtung, die „anzudenken“ ist.
Mutige Branchen und fortschrittliche Branchenarbeitskreise können eine Menge bewegen. Hier lohnt sich mitunter ein Blick in unsere Europäischen Nachbarländer. So liefert das Leitungsauskunftsportal der Niederlande KLIC dem Bautätigen innerhalb von 48 Stunden vollständig digitalisierte Leitungs- und Infrastrukturinformationen an jedem Fleck des Landes. Entstanden aus dem Sicherheitsbedürfnis dortiger Pipelinebetreiber und dem Effektivitätsbedürfnis der Verwaltungen hat sich dieser Standard entwickelt, der aktuell die Diskussionsgrundlage in allen west- und nordeuropäischen Ländern bildet. In Zeiten der Digitalisierung mit vorhandenen Systemlandschaften und einem wertvollen Erfahrungsschatz bzgl. deren Einsatz darf es keine Ausrede für Mitwirkung geben. Vielmehr ist hier nach volkswirtschaftlicher Solidarität gefragt, zumal sich digitale Modelle gerade in der aktuellen Situation branchenübergreifend im Positiven beweisen.
Digitalisierung ist eine volkswirtschaftliche Pflichtaufgabe
Mit der Realisierung des vollständig digitalen BIL-Prozesses wurde frühzeitig ein wichtiger Impuls für die Energiebranche gesetzt. Die Digitalisierungsoffensive, die BIL mit Live-Gang des Portals im Februar 2016 gestartet hat, erscheint heute aktueller denn je.
Gerade jetzt helfen digitalisierte Prozesse, geplante Bauprojekte fristgerecht vorzubereiten und deren Realisierung zu beschleunigen. Aus Sicht der Leitungsbetreiber ist die Entgegennahme digitaler Bauanfragen steigend und ermöglicht allen Marktakteuren eine transparente und zeitnah verfügbare Planungsgrundlage.
Weitere Information unter: www.bil-leitungsauskunft.de
Das BIL System: Information, Struktur, Vernetzung – die BIL eG bringt Leitungsbetreiber und Bautätige, Planer und Architekten zusammen. Quelle: BIL eG