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< Macht uns unser Sicherheitsbedürfnis unflexibel?
08.09.2020 15:26 Alter: 4 yrs

Lokale Energiemärkte: Marktorientierung auch im Verteilnetz

So wie der wöchentliche Gang zum Wochenmarkt in vielen Regionen zum festen Bestandteil der Einkaufskultur der Konsumenten gehört, könnten dies Lokale Energiemärkte (LEM) bei Energie in Zukunft auch ermöglichen.   In einem Gastbeitrag plädiert Michael Lucke, Geschäftsführer der Allgäuer Überlandwerk GmbH, für lokale Energiemärkte, für ein neues Konzept der Energiewende und die Stärkung des Verteilnetzbetreibers. Die Allgäuer Überlandwerke begehen in 2020 ihr 100-jähriges Betriebsjubiläum.


Michael Lucke, Geschäftsführer, Allgäuer Überlandwerk GmbH

„Die Allgäuer Überlandwerke schreiben 100 Jahre Firmengeschichte. 100 Jahre, in denen wir das Allgäu, die Menschen und die Entwicklungen aktiv begleitet haben: als regionaler Energiedienstleister, als fairer Arbeitgeber, als innovatives Unternehmen.“

Eine zunehmende Anzahl an Erneuerbare-Energien-Anlagen und ein steigender Bedarf an elektrischer Energie durch Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen wird den Betrieb von Verteilnetzen, dem Rückgrat der Energiewende, zunehmend komplexer machen. Die Automatisierung der Steuerung von Flexibilitäten wird daher zu einer wichtigen Aufgabe. Zudem stehen in den nächsten Jahren viele Anlagenbetreiber nach dem Ende Ihrer gesetzlich zugesicherten Einspeisevergütung vor der Herausforderung, eine alternative und neue Vermarktungsmöglichkeit für ihre Anlage zu finden. Auch die wachsende Kundennachfrage nach regenerativer Energie aus der Region reflektiert eine Entwicklung, auf die Energieanbieter reagieren müssen. Durch die Umsetzung des Clean Energy Package for all Europeans (sog.Winterpaket) sind zudem deutliche Impulse in der nationalen Gesetzgebung zu erwarten.

Neue Rolle der Flexumer

Heute gibt es eine steigende Zahl an Endverbrauchern, die Energie nicht nur verbrauchen, sondern als Prosumer auch selber Strom oder Wärme produzieren und in das Netz zurückspeisen. Mit steuerbaren Flexibilitäten wie Heimspeichern, Wärmepumpen oder E-Ladestationen werden Prosumer zu sogenannten Flexumern, die durch aktive Anpassung von Stromerzeugung, -speicherung und –verbrauch die Integration der erneuerbaren Energien in dezentrale Energiesysteme besser unterstützen. Allerdings erwarten Privathaushalte oder KMUs, dass solche Energiesysteme und -märkte zuverlässig und selbstständig funktionieren. Mit einem lokalen Energiemarkt kann man diesen Herausforderungen am besten begegnen. Er bietet eine Vermarktungsmöglichkeit für erneuerbare Energien, kann bisher nicht genutzte Flexibilitätspotentiale durch Preisanreize heben und so zu einem effizienteren Betrieb des Verteilnetzes beitragen. Automatisiert und sicher kann man so lokale Wertschöpfung ermöglichen und Anreize bieten, den Strom dann zu nutzen, wenn er besonders günstig verfügbar ist.

Das Konzept für einen solchen Energiemarkt wird durch AÜW gemeinsam mit Partnern im Projekt „pebbles“ bereits unter realen Bedingungen in einem Feldtest erprobt. Im Herbst 2020 erfolgt der Einstieg in die Demonstrationsphase des Marktgeschehens. Parallel werden verschiedene Marktkonzepte simulativ analysiert und im Hinblick auf ihre Funktionstüchtigkeit und wirtschaftliche Tauglichkeit untersucht.

„Frische Bioeier und noch eine Kilowattstunde aus meiner PV-Anlage Herr Nachbar?“

Erzeuger und Verbraucher kommunizieren automatisiert über Software-Agenten Gebote für Strom und handeln über eine Plattform. Es werden ebenfalls Flexibilitätsgebote für Batteriespeicher und steuerbare Lasten wie Wärmepumpen oder Ladestationen für Elektrofahrzeuge durch den Markt berücksichtigt. Der Verteilnetzbetreiber kennt die dem LEM-Marktgebiet zugrundeliegende Netztopologie und jeden Teilnehmer. Er berechnet die zulässigen Leistungsgrenzen für den LEM, die er vorab an die Plattform kommuniziert. Die Marktplattform maximiert dann die lokal handelbare Energie unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Verteilnetzes und der Gebote von Erzeugern und Verbrauchern.

Regulatorische Rahmen- bedingungen vereinfachen

In Moment erschweren es die rechtlichen Möglichkeiten lokalen Strom wirtschaftlich auszutauschen. Denn eine wirtschaftlich tragfähige Umsetzung eines LEM wird durch verschiedene regulatorische Rahmenbedingungen unnötig erschwert. Unsere Erfahrungen zeigen, dass folgende Punkte ein neues regionales Marktdesign ermöglichen:

• Explizite Berücksichtigung des Konzepts „Lokaler Energiemarkt“ im Design des deutschen Energieversorgungssystems

• Mitgestaltungsmöglichkeit bei der Verrechtlichung der REDII-Directive

• Verringerung der Markteintrittsbarrieren zum lokalen Markt für Kleinerzeuger und -Verbraucher mit Nachfrageflexibilität

• Explizite rechtliche Definition von Energiespeichern und Verbrauchern mit Nachfrageflexibilität, die die volle Entfaltung des vorhandenen Flexibilitätspotentials zulässt und

• Transparente Herkunftsnachweise – diese sind näher an der physischen Wirklichkeit.

Markt auch im Verteilnetz!

Die heutige Regulierung und Netzentgeltsystematik entspricht nicht dem neuen dezentralen und digitalen Zeitalter. Aktuell bevorzugt die Regulierungssystematik Investition in Kupfer. Dies muss sich ändern und smarte, weniger kapitalintensive Lösungen müssen den kapitalgetriebenen Investitionen wirtschaftlich gleichgestellt werden.

Zudem sollten wir die noch starre Netzentgeltsystematik ins Digitalzeitalter überführen und dynamisch und flexibel gestalten. In der heutigen Zeit von dezentraler Stromerzeugung und flexiblem Verbrauch, passt die aktuelle Berechnungssystematik nicht mehr zur realen Welt. Daher sollten sich die Netzentgelte am netzdienlichen Verhalten der Verbraucher und Erzeuger vor Ort orientieren.

Netznutzer mit Flexibilitätspotenzial sollten Anreize erhalten, ihren Verbrauch und Erzeugung sauber zu prognostizieren und diese Daten dem Netzbetreiber zugänglich zu machen. Da ein Anreiz in Investitionen und Betrieb von intelligenten Lösungen volkswirtschaftlich sinnvoll ist, sollte dies kapitalgetriebenen Investitionen wirtschaftlich gleichgestellt werden. Und wir sollten Netzentgelte neu denken – mit Schaffung von Anreizen für netzdienliches Verhalten der Marktplatzteilnehmer durch finanzielle Belohnung auch für die Bereitstellung von Flexibilität.

Dezentrale Energiewende mit LEM

Mit dem Konzept des Lokalen Energiemarkts werden die Interessen von Energieversorgern, Netzbetreibern und vor allem der Netznutzer berücksichtigt. LEM spiegeln zudem eine logische Reaktion auf die Trends der Energiewende wie Dezentralität, Digitalisierung und Dekarbonisierung), auf die größer werdende Sensibilität der Bevölkerung für das Thema Nachhaltigkeit und auf die Wiederentdeckung regionaler Produkte wider. LEM lösen mehrere Probleme bei einem weiteren Umstieg auf 100% Erneuerbare Energien. Sie helfen den nötigen Netzausbau zu optimieren. Sie stellen die Betreiber und Flexumer in den Mittelpunkt und können zu einer höheren Akzeptanz für die Energiewende in der Bevölkerung führen. Sie führen volatile Erzeugung und flexible Verbraucher auf lokaler Ebene zusammen, damit sinkt der Bedarf an Energietransport und -speicherung. Und sie optimieren - angepasst auf die Bedürfnisse des Einzelnen- den Preis für jeden Teilnehmer. Die Potentiale dieses Konzepts gilt es jetzt schnell nutzbar zu machen. Voraussetzung dafür ist, dass ein zeitgemäßes Regulierungssystem geschaffen wird. Weitere Information unter:

www.auew.de und www.pebbles-projekt.de

Die Projektpartner AÜW, AllgäuNetz, Fraunhofer FIT, die Hochschule Kempten und die Siemens AG betreiben gemeinsam den Energiecampus Wildpoldsried, der für das Projekt „pebbles“ eine wichtige Rolle spielt. Der Feldtest „pebbles“ ist ein plattform-basiertes Kooperationsmodell für Technologieanbieter, Plattform-Betreiber, -Teilnehmer sowie Verteilnetzbetreiber im Peer-to-Peer Energiehandel auf der Basis von Blockchains.

Foto: Sebastian Suchy