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Konsequent dezentral und innovativ
Mit dem Ausrufen der Energiewende war nicht nur der Anspruch verbunden, aus der Atomkraft auszusteigen, sondern auch der Schwenk vom Großkraftwerk hin zur dezentralen, von Bürgern getragenen Stromversorgung mit regenerativen Energien. Nur wenige Jahre später feiern längst abgeschriebene Kohlekraftwerke ihre Renaissance und für den Stromtransport werden HGÜ- Trassen als alternativlos diskutiert. Josef Hasler, Vorstandsvorsitzender der N-ERGIE Aktiengesellschaft stellt in seinem Gastbeitrag den zellularen Ansatz als interessantes Alternativmodell vor.
Es gibt Alternativen, die wieder dort ansetzen, wo die Energiewende begann. Ein wegweisender und noch viel zu wenig wahrgenommener Diskussionsbeitrag ist die jüngst vom VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. veröffentlichte Studie „Der Zellulare Ansatz“. Im Kern dieses ganzheitlichen Konzepts stehen drei Elemente: Erstens Dezentralität, zweitens die sektorübergreifende Umwandlung erneuerbarer Energien in speicherbare Energieträger sowie drittens intelligente Kommunikation.
Die Studie begreift die Versorgungsstruktur zellular, wobei in jeder Zelle – zum Beispiel eine Kommune – Energieerzeugung und -verbrauch durch ein intelligentes Kommunikationssystem ausbalanciert werden. Ihren darüber hinausgehenden Bedarf bzw. ihren Überschuss gleichen die lokalen Zellen mit den benachbarten Zellen aus. In der Folge müssen, so die Studie, nur geringe Strommengen in das Netz eingespeist oder daraus bezogen werden. Der Stromtransportbedarf ließe sich um bis zu 45 % reduzieren – mit der Konsequenz einer erheblichen Verringerung des Netzausbaubedarfs.
Utopie oder graue Theorie?
Ich denke nein. Viele Voraussetzungen, die von der Studie für die Realisierung des zellularen Modells beschrieben werden, existieren bereits jetzt in Ansätzen. Dies lässt sich am Beispiel des Regionalversorgers N-ERGIE Aktiengesellschaft, Nürnberg, zeigen.
Als wesentliche Voraussetzungen werden die verstärkte Nutzung von Flexibilitäten bei der Erzeugung und dem Verbrauch von Energie sowie der Einsatz von lokalen Energiespeichern in intelligente Netze beschrieben. Dies ist auf unterschiedliche Weise denkbar.
Bei der N-ERGIE beispielsweise können Industrie, Stadtwerke und Anlagenbetreiber ihre Flexibilitätspotenziale durch die Beteiligung ihrer Blockheizkraftwerke oder Biogasanlagen an einem virtuellen Kraftwerk gewinnbringend vermarkten. Die N-ERGIE bündelt darin die zur Verfügung gestellten Kapazitäten, steuert und vermarktet sie für die Kunden unter anderem als Regelleistung. Auch bereits auf der Ebene der Privathaushalte ist das Potenzial für die Entlastung der Netze durch den Selbstverbrauch des eigenerzeugten Stroms groß: Dafür interessieren sich laut einer 2013 veröffentlichten Umfrage der TNS Emnid 41 % der Deutschen. Beim Angebot N-ERGIE SOLARSTROM können Anlagen mit einer Leistung unter 10 Kilowattpeak gekauft oder als Rundum-Sorglos-Paket gemietet werden. Je nach Anlagengröße und Verbrauchsverhalten nutzen die Kunden über das Jahr betrachtet bis zu 30 % des erzeugten Solarstroms selbst.
Dieser Anteil erhöht sich bei Einsatz eines Stromspeichers signifikant – 60 bis 80 % sind es beim Energiespeichersystem ESS, das vom N-ERGIE Kooperationspartner Caterva im Rahmen des Innovationsprojekts SWARM entwickelt wurde. Die Besonderheit der Speicher liegt in ihrer zweiten Funktion: Jedes ESS verfügt über eine eigene Steuereinheit, die autark auf die Netzfrequenz reagiert. Die einzelnen Speicher sind mit einer Leitzentrale verbunden und werden dort als Schwarm koordiniert. Der Verbund haushaltsgroßer Solarstromspeicher zum virtuellen Großspeicher wurde kürzlich für die Erbring ung von Primärregelleistung präqualifiziert. Zunächst 65 über das gesamte Netzgebiet der N-ERGIE verteilte ESS tragen somit zur Stabilisierung des Stromnetzes bei. Der virtuelle Großspeicher steht nicht nur für einen konsequent dezentralen Lösungsansatz, sondern auch für die im zellularen Ansatz vorgesehene intelligente Vernetzung.
Ein weiteres Element des zellularen Ansatzes ist die zunehmende Anwendung von Strom in der Mobilität und im Wärmemarkt sowie ihre Sektor übergreifende Vernetzung. Bei der N-ERGIE setzen wir seit Jahren auf Elektromobilität als wichtigen Baustein zur Gestaltung der energiewirtschaftlichen Zukunft. Dabei geht es neben der Minderung von CO2- Emissionen auch um das Flexibilisierungspotenzial der Elektromobilität. Dafür sammeln wir seit Jahren Erfahrungen mit Elektrofahrzeugen im eigenen Fuhrpark und investieren in eine bedarfsgerechte Ladeinfrastruktur in Nürnberg und in der Region.
Auch die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) als effizienteste Form der konventionellen Stromerzeugung spielt im zellularen Ansatz eine wichtige Rolle. KWK-Anlagen gleichen die schwankende Erzeugung aus den erneuerbaren Energien aus und sind eine Stütze für gesicherte Stromversorgung. In Nürnberg betreibt die N-ERGIE ein Heizkraftwerk mit einer erdgasbefeuerten Gas- und Dampfturbinen- (GuD)-Anlage sowie ei- nem Biomasse-HKW. Die Anlagen erzeugen mit einem Brennstoffnutzungsgrad von über 85 % gleichzeitig Strom und Fernwärme und nutzen Erdgas, Holzhackschnitzel und Mülldampf.
Durch den Ende 2014 in Betrieb gegangenen 70 Meter hohen Wärmespeicher kann die Strom- von der Wärmeerzeugung im Heizkraftwerk zeitlich entkoppelt werden, was den Einsatz der Anlage flexibler macht und die Einspeisemöglichkeiten für erneuerbare Energien erhöht. Als zusätzliches Power-to-Heat- Element können zwei Elektroheizer mit einer Leistung von jeweils 25 MW negative Regelleistung bereitstellen und darüber hinaus auch Überschussstrom aus erneuerbaren Energien in wind- und sonnenstarken Zeiten in Fernwärme umwandeln.
Auf Ebene der Privathaushalte und des Gewerbes lässt sich dies mit dem Einsatz von Mikro-Blockheizkraftwerken, kombiniert mit Wärmespeicher und Heizstab übertragen. Interessant sind auch die im Markt noch neuen Hybrid-Wärmepumpen, die aufgrund der Kombination aus Strom-Wärmepumpe und Erdgasbrennwertgerät den Vorteil der jeweiligen Technik nutzen und damit besonders hohe Wirkungsgrade erzielen. Aktuell testet die N-ERGIE ein solches Angebot mit einem renommierten Hersteller.
Anhand der grob skizzierten Beispiele wird deutlich, dass das Potenzial für die Umsetzung des zellularen Ansatzes beträchtlich ist. Was fehlt, ist die ernsthafte Diskussion dieser Alternative und der politische Wille ihre Umsetzung anzustoßen. Dabei geht es nicht nur um die Chance, die überregional zu transportierende Strommenge von 602 auf 394 Terrawattstunden zu reduzieren – obwohl dies die Legitimationsgrundlage der Energie wende wieder deutlich stärken würde. Vielmehr geht es vor dem Hintergrund des enormen Innovationspotenzials des dezentralen Ansatzes um eine grundlegende Entscheidung: in der alten Welt des zentralen Netzausbaus verharren oder neue, intelligente Lösungen suchen?