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08.04.2025 15:32 Alter: 7 days

Klimaschutz verlangt einen globalen Marktmechanismus

„Die EU ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Daher haben wir uns ja auch im Jahr 2021 das Ziel gesetzt, 55 % unserer CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 zu reduzieren und bis 2050 klimaneutral zu sein.“


Prof. Dr. Angelika Niebler, Mitglied der EVP-Fraktion

Einen Rahmen zur Diskussion klimaschutzpolitischer Ziele geben die Weltklimakonferenzen, kurz COP. Bei der 29. Auflage in Baku stand die Vereinbarung für ein neues Klimafinanzierungsziel bis 2030 auf der Agenda. Zu wesentlichen Schwerpunkten der Diskussion sprachen wir mit Prof. Dr. Angelika Niebler, Mitglied der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Co-Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe und Vorsitzende der CSU-Europagruppe.

Frau Prof. Niebler, wie bewerten Sie das Ergebnis der Klimakonferenz in Baku?

Es ist gut, dass sich die Staaten auf einen gemeinsamen Abschlusstext einigen konnten und erste konkrete Vereinbarungen, insbesondere zur globalen Klimafinanzierung, getroffen haben. Die Verhandlungen drehten sich ja vor allem um die Frage, welche Länder welche Beiträge für die Klimafinanzierung bereitstellen und welche Länder in welcher Höhe und zu welchen Zwecken finanzielle Mittel erhalten sollen.

Was heißt dies konkret?

Die Teilnehmerstaaten haben die finanzielle Unterstützung für Entwicklungsländer von 100 Milliarden auf 300 Milliarden Dollar erhöht. Das Geld soll vor allem von Industriestaaten kommen und aus öffentlichen und privaten Geldern mobilisiert werden. Es kann aber nicht sein, dass nur die klassischen Industriestaaten für die Finanzierung aufkommen müssen, sondern es sind insbesondere auch die anderen großen Emittenten, wie China oder die Golfstaaten, wie Saudi-Arabien, gefragt.

Entscheidend ist ja, dass alle großen Emittenten einen angemessenen Beitrag zur Klimafinanzierung leisten. Nur durch öffentliche Mittel können wir die Finanzierung nicht gewährleisten. Daher halte ich es für sinnvoll, auch privates Kapital zu mobilisieren. Die EU ist beim Klimaschutz schon immer Vorreiter. Jetzt müssen andere große Emittenten nachziehen.

Wie wurde die globale Emissionsentwicklung auf der COP29 diskutiert?

Entscheidungen zur globalen Emissionsminderung wurden vertagt - es gibt also weder Fortschritte noch Rückschritte in diesem Bereich. Wenn wir aber unser 1,5-Grad Ziel erreichen wollen, brauchen wir Fortschritte bei der Emissionsminderung. Bereits im Vorfeld der 29. UN-Klimakonferenz haben diverse Berichte und Studien aufgezeigt, dass die bisherigen Klimaschutzbestrebungen der Staaten nicht ausreichen, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten.

Laut der Emissions Database for Global Atmospheric Research (EDGAR) der Europäischen Kommission wurden im Jahr 2023 weltweit etwa rund 53 Gigatonnen (Gt) CO2-Aquivalente (CO2e) ausgestoßen. Dies ist der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen, was im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg der Emissionen um 1,9 Prozent beziehungsweise 994 Millionen Tonnen CO2 bedeutet. Um die Erderwärmung zu begrenzen, brauchen wir aber eine deutliche Emissionsminderung - auch in Ländern wie China und Indien, wo die Emissionen bisher weiter ansteigen.

Bleibt das gesetzte Klimaziel für die EU erhalten?

Entwicklung der globalen Treibausgasemissionen zwischen 1990 und 2023. China, die USA, Indien, die EU, Russland und Brasilien sind die sechs weltweit größten Treibhausgasemittenten und für rund 63 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich. Deutschland ist mit einem Anteil von 21 Prozent an den EU-Emissionen bzw. und 682 Millionen Tonnen CO2 der größte Emittent der EU. Global betrachtet machen Deutschlands Emissionen allerdings nur 1,3 Prozent an den globalen Emissionen aus. Somit belegt Deutschland nur Rang 13 der weltweit größten Treibhausgasemittenten.

Davon gehe ich aus. Es gibt weder in der Europäischen Kommission noch im Parlament eine Diskussion darüber, das Ziel für 2030 oder 2050 zu ändern. Anders sieht es bei den bürokratischen Auflagen aus, die mit der Klimaschutzgesetzgebung verbunden sind. Diese müssen dringend heruntergefahren werden. Um das 2030-Klimaziel zu erreichen, haben wir in der vergangenen Legislatur das sogenannte Fit-for-55-Paket auf den Weg gebracht. Weite Teile des Pakets sind zwischenzeitlich verabschiedet und bereits in Kraft.

Wir haben beispielsweise den EU-Emissionshandel reformiert und ein separates Emissionshandelssystem für die Sektoren Wärme und Straßenverkehr beschlossen. Wir haben auch einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism – CBAM) implementiert, um die Verlagerung von CO2-Emissionen in Nicht-EU-Länder mit geringeren Klimaschutzauflagen zu vermeiden. Danach müssen Importeure bestimmter Produkte seit Oktober 2023 quartalsweise über die Emissionen der importierten Waren berichten.

Mit dem Start der Regelphase ab 2026 sind zudem für die Emissionen, die bei der Produktherstellung anfallen, CO2-Zertifikate zu erwerben. Deren Preis wird sich an den Zertifikatspreisen im EU-ETS bemessen. CBAM greift zunächst aber nur für Importprodukte aus den Sektoren Zement, Strom, Düngemittel, Eisen und Stahl sowie Aluminium. Für diese Sektoren wird das Instrument schrittweise die im Rahmen des EU-ETS gewährte kostenfreie Zuteilung ersetzen.

Hat die EU-Kommission mit CBAM auch die Wirtschaft im Blick?

Die größten Geberländer für die zweite Wiederauffüllung des GCF

Wir stehen zu unserem Ziel der Klimaneutralität in Europa bis 2050. Wir sehen aber, dass die Wirtschaftslage in Europa, insbesondere in Deutschland, sehr angespannt ist. Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, dass die EU-Kommission die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, einschließlich des Bürokratieabbaus, ganz oben auf die Agenda gesetzt hat. Am 26. Februar hat die Kommission auch erste konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau vorgestellt.

Mit Blick auf CBAM schlägt die Kommission vor, die de-minimis Schwelle auf 50 Tonnen zu erhöhen, um Importeure, die kleine Mengen von CBAM-Waren mit geringen Emissionen importieren, von aufwendigen Berichtspflichten zu befreien. Dies bedeutet, dass rund 99 % der Emissionen weiterhin im Geltungsbereich des CBAM bleiben, während etwa 90 % der Importeure davon ausgenommen werden. Aber auch für Importeure, die weiterhin im CBAM-Geltungsbereich bleiben, werden die vorgeschlagenen Änderungen konkrete Erleichterungen bringen.

Gleichzeitig stellt die Kommission Maßnahmen vor, die den CBAM wirksamer machen, indem effektiver gegen Missbrauch und Umgehungspraktiken vorgegangen werden soll. Weiterhin aber gilt: Der CO2-Grenzausgleich muss seine Effektivität erst noch unter Beweis stellen, insbesondere für unsere exportorientierten Unternehmen.

Die Kommission hat aber noch weitere Vorschläge zum Bürokratieabbau gemacht. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung, das Lieferkettengesetz, die Taxonomie und CBAM sollen vereinfacht werden. Beispielsweise sollen nur noch Unternehmen ab 1000 Mitarbeitenden die Vorgaben der Nachhaltigkeitsberichterstattung einhalten müssen. 80 % der Unternehmen fallen damit aus dem Geltungsbereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Auch das EU-Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz soll praxistauglicher werden. So fokussiert sich die Sorgfaltspflicht künftig zunächst auf direkte Lieferanten. Ob die Vorschläge der Kommission ausreichen oder weitere Änderungen notwendig sind, werden wir in den kommenden Wochen und Monaten im Europäischen Parlament prüfen.

Green Climate Fund:

Der Green Climate Fund (GCF) fungiert als zentrales Werkzeug für die internationale Klimafinanzierung. Die Mittel des Fonds fließen jeweils zur Hälfte in Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen. Bis dato wurden 286 Projekte mit einem Volumen von 15,9 Milliarden US-Dollar bewilligt. Seit 2022 läuft die zweite Runde zur Wiederauffüllung des Fonds. Für diese wurden bisher 6,8 Milliarden USDollar zugesagt. Davon hat allein Deutschland 2,2 Milliarden US-Dollar beigesteuert (siehe Abbildung).

Und wie steht es um die Implementierung eines globalen Marktmechanismus?

Ein globaler Marktmechanismus wäre unbestritten das wichtigste Instrument für den Klimaschutz. Artikel 6.4 des Weltklimavertrags sieht deshalb vor, einen globalen Marktmechanismus zu schaffen, der zu einer Minderung der weltweiten Treibhausgasemissionen und zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen soll. Das Prinzip ist einfach: Ein solcher Mechanismus soll es ermöglichen, Emissionsminderungen, die in einem anderen Land erreicht werden, im eigenen Klimaziel zu berücksichtigen.

Ich darf aus der vbw-Studie „Klimapolitik nach Baku“ ein plakatives Beispiel zitieren: Ein Staat könnte dann in ein Solarkraftwerk im Ausland investieren, wodurch dort weniger fossile Brennstoffe eingesetzt werden. Der Investorstaat würde für die vermiedene Menge an Emissionen Gutschriften erhalten, die er dann wiederum auf die eigene Treibhausgasbilanz und damit auf sein eigenes Klimaziel anrechnen kann. So bietet der Mechanismus die Möglichkeit, Klimaschutztechnologien in Länder zu transferieren, denen es an technischem Know-how und eigenen Finanzmitteln mangelt. Den investierenden Staaten wiederum ermöglicht er, Emissionen dort einzusparen, wo dies am kostengünstigsten möglich ist.

Welche Chancen gibt es hier für Unternehmen?

Auch insoweit darf ich auf die vorgenannte Studie verweisen. Der Mechanismus kann bei der Umsetzung der betrieblichen Klimastrategien helfen. Unternehmen könnten Gutschriften, die unter dem neuen Marktmechanismus generiert werden, dann auch auf dem freiwilligen Markt für die Kompensation handeln. Damit hätten Unternehmen die Möglichkeit, die Gutschriften zu nutzen, um anderweitig nur schwer oder gar nicht vermeidbare Emissionen zu kompensieren.

Erwähnen will ich hier auch die Regeln für freie Kohlenstoffmärkte. „Voluntary Carbon Markets“ sind gerade mit Blick auf Aufforstung oder weniger intensive Landwirtschaft wichtig. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit führt zu geringeren Kosten bei der Umsetzung der nationalen Klimapläne der Länder. Das ist auch ein großer Schritt für die Finanzierung. Jetzt gilt es, rasch mit der Ausarbeitung und Umsetzung des Instruments zu starten, damit entsprechende Gutschriften für den freiwilligen Markt zur Verfügung stehen. Die Verhandlungen in Baku haben gezeigt, dass bei der Implementierung des Mechanismus wichtige Fortschritte erzielt wurden, um das Instrument zum Einsatz zu bringen.