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16.04.2021 17:19 Alter: 4 yrs

Klimaschutz geht nur mit Gas – Nutzen von Nord Stream 2

Die politisierte Nord Stream 2 (NS2) Debatte ist scheinheilig und ignorant. Klimaschutz kommt nicht vor. Der wird nicht durch ideologische Erneuerbaren Postulate, sondern durch CO2-Reduktion bewerkstelligt. Dafür braucht es Gas. Dr. Wolfgang Peters belegt dies in seinem Gastbeitrag. Er führt mit der Gas Value Chain Company (Friedrichskoog) sein eigenes Beratungsunternehmen und ist seit mehr als 30 Jahren in der Öl- und Gasindustrie tätig.


Dr. Wolfgang Peters, Managing Director, Gas Value Chain Company Foto: Gas Value Chain Company

„Die Darstellung der CO2- Reduktionen seit 1990 ist irreführend. Die CO2- Emissionen sanken Anfang der 90er kräftig. Das lag am Strukturwandel in den östlichen Bundesländern. Seit Inkrafttreten des EEG 2000 ist der CO2-Ausstoß, außer im Stromsektor, nur geringfügig gesunken. Um das zu ändern, braucht es den verstärkten Einsatz von Gas in allen Segmenten.“

Der steigende Erneuerbaren Anteil am Strommix ist irreführend. Strom macht nur ~20 % der Primärenergie aus. Der Verkehrssektor hingegen ~30 % und der Wärmemarkt ~ 40 %. Ölprodukte liegen zwischen 1990 und 2019 unverändert bei 35 %. Gas stieg von 15 % auf 25 %, u.a. weil niedrige Gaspreise und steigende CO2-Emissionspreise Kohle in der Meritorder verdrängten. Erneuerbare machen ~15 % aus, davon Wind 3,1 und Sonne 1,3 %.

Dekarboniserung mit Gas vorantreiben

Fossiles Gas ein Auslaufmodell? Gegen NS2 wird eingewandt, weitere fossile Energie brauche man nicht. Es besteht aber eine klare Korrelation zwischen dem Grad der Dekarbonisierung und der Beschaffenheit der Gasmoleküle. Bis zu ~75 % stiftet fossiles Gas enormen Nutzen, danach wird es ‚nicht-fossil‘: u. a. Wasserstoff (siehe Grafik Seite 29).

Die Energiedichte gasförmiger Moleküle ist erheblich größer als die von Elektronen. Bei Vollelektrifizierung steigen die Transport- und Verteilkosten von ~€ 21 Milliarden 2015 auf ~€ 41,5 Milliarden 2050. Die Diskussion über Spitzenlastglättung zur Vermeidung astronomisch steigender Netzkosten gibt einen Vorgeschmack. Bei Weiternutzung der Gasnetze steigen die Kosten lediglich von € 5,3 Milliarden 2015 auf € 5,5 Milliarden 2050.

Wasserstoffgewinnung von Ideologie befreien

Die Gasindustrie arbeitet an der Gewinnung von Wasserstoff aus Methan für einen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. In Deutschland steht Ideologie im Wege: nur grüner Wasserstoff! Ein Onshore-Windrad hat ~1900 Volllaststunden. Nur bisher zu Negativpreisen ins Ausland verkaufter oder entschädigungspflichtig abgeregelter Überschuss würde in den Elektrolyseur eingespeist. Bei z. B. 400 Volllaststunden eine Auslastung von ~4,5 %. Der Import aus nordafrikanischen Ländern ist problematisch. Elektrolyse benötigt Frischwasser und das ist dort knapp. So entsteht eine Konkurrenz zwischen Trinkwasserversorgung und Stromerzeugung.

Daher sollte man die Wasserstoff-Bemühungen, egal welcher Farbe, begrüßen. NS2 ist wasserstoff-fähig, könnte also auch in der Schlussphase der Dekarbonisierung großen Nutzen stiften. Auch bei der anstehenden EU CO2-Lieferketten-Bepreisung ist NS2 best in class.

Politikgetriebene Scheinargumente

Die behauptete Abhängigkeit von Russland ist Yesterday’s News. Inzwischen gibt es einen globalen Gasmarkt. In Europa ist ein liquider transnationaler Großhandelsmarkt entstanden, Preise bilden sich durch Angebot und Nachfrage. Sollte Russland den Gashahn zudrehen, geht der Handelspreis durch die Decke. Dieses Preissignal wird von LNG Exporteuren mit über ~500 Milliarden m³/a destinationsflexiblem LNG wahrgenommen. Wenn in Europa mehr Geld verdient werden kann als in Asien, kommt LNG nach Europa. Die Reaktionszeit beträgt ~3 Tage. Mit ~220 Milliarden m³/a Regasifizierungskapazität können wir diese Ersatzmengen absorbieren. Der als existenzbedrohend stilisierte Transit-Einnahme-verlust der Ukraine beträgt ~2 Milliarden USD. Bei einem Haushalt von ~150 Milliarden USD sind das <2 %. Die Behauptung, die Ukraine sei ohne Transit schutzlos russischer Aggression ausgeliefert, ist falsch. Durch die Ukraine verläuft auch die Druzhba Leitung, die das viel werthaltigere russische Rohöl nach Europa transportiert. Klimaschutz fällt unter den Tisch. Gegenüber dem maroden ukrainischem System spart die NS2 Lieferkette ~11 Millionen to/a CO2 ein. 2009 war das größte europäische Import-Konzentrationsrisiko die Ukraine mit ~120 Milliarden m³/a. Die Diversifizierung der Transportwege durch Nord Stream und NS2 erhöht die europäische Versorgungssicherheit desshalb deutlich.

Polen führt eine erhöhte Abhängigkeit an, diese besteht aber gar nicht. Polen verfügt über 5 separate Lieferquellen. Die Summe der 4 nicht-russischen Quellen ist größer als der polnische Verbrauch. Dennoch gelingt es Polen, dreistellige Millionenbeträge von der EU zu ergattern. Zuletzt für die Baltic Pipe. Es wird ein Loch in die norwegische Europipe II geschlagen und eine Teilmenge von 10 Milliarden m³/a zu hohen Kosten nach Polen umgeleitet. Gaswirtschaftlich eine Farce: mit einer Entry-/ Exitbuchung Dornum/Mallnow hätte man dasselbe für ein paar Eurocent erreicht.

Polen und eine Vielzahl europäischer und amerikanischer Politiker behaupten, dass NS2 Europa spalte. Zu dem schon erwähnten nordwest-europäischen transnationalen Handelsmarkt gehört z. B. Tschechien, aber nicht Polen. Es hat seinen Markt nach Westen abgeschottet und dadurch ein deutlich höheres Preisniveau. Überschussimporte will Polen zu überhöhten Preisen an die Baltischen Staaten liefern. Wenn die Marktabschottung aufgegeben würde, könnten Polen als auch die Baltischen Staaten Teil des nordwest-europäischen transnationalen Handelsmarktes werden. Polen sitzt dazwischen wie ein Korken in der Flasche. Es ist also Polen, das Europa spaltet.

Einmischung in die Energieautonomie Europas abwehren

Die U.S. Sanktionen sind eine unerträgliche Einmischung in die Energieautonomie Europas. Man hofft mit Herrn Blinken einen Kompromiss erzielen zu können. Ein Buch von ihm handelt von den Sanktionen der Reagan Administration Anfang der 1980er Jahre gegen den ersten deutsch-russischen Gasliefervertrag. Damals gab es eine honest difference of opinion, wie man sich nach zwei Ölpreisschocks unabhängiger vom Öl macht

Die heutigen Sanktionen hingegen sind eine versteckte Marketingkampagne für U.S. LNG, begleitet von Drohbriefen. Dies sollte der Bereitschaft der Bundesregierung zu sogenannten Kompromissen enge Grenzen setzen. Die U.S. LNG Exporteure brauchen diese Hilfestellung gar nicht. 2019 und 2020 wurden große Mengen U.S. LNG nach Europa geliefert

Ein Baustopp würde die Falschen, nämlich die westlichen Investoren und Zulieferer treffen, während Russland mehr Ukraine Transit buchen und zum Schaden des Klimas ungehindert weiter liefern könnte.

Der diskutierte sog. Abschaltmechanismus, in Wirklichkeit ein Miniembargo, ist ein rechtswidriges Wolkenkuckucksheim. Die Gasdirektive wurde auf Importpipelines ausgedehnt, trifft aber nur NS2 und ist damit eine diskriminierende Lex NS2. Selbst Lex NS2 gäbe es nicht her, eine individuelle Importpipeline nach Belieben anund abzuschalten.

www.gasvaluechain.com

Quelle: Hecking/Peters, ‘The underrated long-term relevance of gas in the decarbonizing German energy space’

„Die Amerikaner bezeichnen die durch Nord Stream 2 fließenden Moleküle als ‚bösartig‘, U.S. LNG hingegen enthält ‚Freiheitsmoleküle‘. Gleichzeitig importieren die U.S.A. große Mengen russischen Rohöls. Da erscheint das Prädikat der Scheinheiligkeit durchaus angemessen.“

Dr. Wolfgang Peters