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Klimaneutralität über Wasserstoff?
Wir leben in energiepolitisch spannenden Zeiten. Der Energiebedarf – in Deutschland wie auch global – ist zu groß, um fossile Energien von heute auf morgen durch erneuerbare Energien ersetzen zu können. Die häufig anzutreffende Formel „fossil = schlecht, erneuerbar = gut“ greift zu kurz: denn sie beantwortet nicht, wie der Übergang in eine CO2-arme und dann CO2-freie Welt gelingen soll. Ein aktuelles Statement von Dr. Ludwig Möhring, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl und Geoenergie e. V. (BVEG) im Umfeld der Handelsblatt-Jahrestagung „GAS 2020“.
Effektiver und schneller Klimaschutz erfordert mehr als den Ausbau erneuerbarer Energien und wachsender Energieeffizienz. Die Dekarbonisierung von Verbrauchssektoren, die heute weitgehend konventionellen Energieträgern vorbehalten sind, muss vorangetrieben werden. Wasserstoff kann ein Meilenstein in dieser Entwicklung sein.
Die Corona-Pandemie hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche, auch auf unser Energiesystem und die damit zusammenhängenden Klimaschutzfragen. Zu Recht besteht die Sorge, dass weltweit Regierungen ihren Fokus auf die Erholung ihrer Volkswirtschaften legen und Klimaschutz weniger Beachtung findet. Dazu kommt die Herausforderung, dass die Menschen – in Sorge um Arbeit und Einkommen – weiterhin hinter den Klimaschutzanstrengungen stehen.
Klimaschutz heißt mehr als Ausbau erneuerbarer Energien
Ernsthafter Klimaschutz heißt, sämtliche Lebensbereiche zu dekarbonisieren – also auch den Wärme- und den Mobilitätssektor, die beide bislang unter Klimaschutzgesichtspunkten zu kurz gekommen sind. Deutschland ist dabei grundsätzlich gut positioniert, auch dank weiterhin bestehender wirtschaftlicher Stärke. Aber der nun notwendige Umbau wird zu weitergehenden gesellschaftlichen Einschnitten und Akzeptanzfragen führen. Wir dürfen nicht glauben, dass die Zustimmung der Menschen im Land zum Klimaschutz bedingungslos ist.
Wesentliche Eckpunkte auf dem Weg zu mehr Klimaschutz sind fest verankert und bleiben auch für die nächste Phase richtig: (1) Konsequenter Ausbau von Windund Solarenergie; (2) zunehmende Elektrifizierung von Verbrauchssektoren, die bislang Öl und Gas vorbehalten waren; (3) Erkenntnis, dass Strom allein die Dekarbonisierung nicht leisten kann – wir brauchen Energiemoleküle. Und zwar nicht nur, weil die erneuerbare Strommenge den Gesamtenergiebedarf nicht decken kann, sondern auch weil wichtige Industrie-, Mobilitäts- und Wärmebereiche in der Praxis nicht oder nur zu unvertretbaren Kosten elektrifiziert werden könnten. Wasserstoff gilt deshalb als zentrale molekulare Energie der Zukunft.
Mit Wind und Sonne allein wird der Umbau unserer Energielandschaft nicht gelingen, beide decken bisher weniger als sieben Prozent des Energiebedarfs in Deutschland. Selbst die weltweite Erzeugung von Strom aus Wind und Sonne war 2019 geringer als der deutsche Endenergiebedarf; das zeigt eindrucksvoll, wie groß die Herausforderung ist, vor der wir beim Ausbau der Erneuerbaren stehen. Für eine sichere Energieversorgung brauchen wir neben zunehmend erneuerbarem Strom insbesondere gasförmige Energieträger und die dazugehörige Gasinfrastruktur. Gut, dass auch die Regierung das mittlerweile erkennt. Die Diskussionen um den Kohleausstieg haben deutlich gemacht, dass Erdgas noch für Jahrzehnte gebraucht wird, auch wenn zukünftig zunehmend Wasserstoff und auch erneuerbares Methan eine Rolle spielen werden.
Erdgas ist wegen seiner Verfügbarkeit, geringer Kosten und seiner vergleichsweise geringen CO2-Emissionen der ideale Partner der Erneuerbaren. Erdgas ist aber auch Grundstoff: in der Chemie sowie zur Erzeugung von Wasserstoff. Doch auch Erdgas und die darauf basierenden Anwendungen müssen, genau wie strombasierte Anwendungen dafür sorgen, dass ihre CO2-Bilanz auch langfristig akzeptabel ist. Für die Erdgasindustrie bedeutet das, die Treibhausgas-Emissionen bei Transport und Förderung weiter zu reduzieren.
Wasserstoff: Realität und Potenziale erkennen
Wasserstoff als CO2-freier und vielseitig einsetzbarer Energieträger wird mittlerweile weltweit geradezu als Heilsbringer für die kohlenstofffreie Energieversorgung angesehen. Von zentraler Bedeutung ist dabei die CO2- neutrale Herstellung dieses in der Natur nicht frei vorkommenden Energieträgers. Wer eine Wasserstoffindustrie erfolgreich „hochlaufen“ lassen will, muss aber auch sicherstellen, dass zeitnah große Mengen Wasserstoff zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen zur Verfügung stehen.
Das gilt für industrielle wie für private Anwendungen. Nur dann werden Großverbraucher wie die Stahlindustrie oder die chemische Industrie die notwendigen Milliarden-Investitionen stemmen können und wollen. Denn sie müssen sich im internationalen Wettbewerb behaupten und können es sich nicht leisten, hinter politischen Idealen herzulaufen, wenn der internationale Wettbewerb einen preiswerteren Zugang zu klimaneutralem Wasserstoff hat.
Es ist zu erwarten, dass dieser Hochlauf politisch flankiert, also subventioniert werden muss. Aber der Staat kann nicht alles über Subventionen lösen, auch wenn das vielfach geglaubt wird. Die Bedingungen müssen insgesamt stimmen, und dazu gehört eine Antwort auf die Frage, wie eine verlässliche und klimafreundliche Produktion großer Mengen sichergestellt werden kann. Die Antworten darauf liegen nicht auf der Hand.
Deutschland hat sich politisch fokussiert auf sogenannten grünen Wasserstoff, der durch Elektrolyse aus erneuerbarem Strom erzeugt wird. Diese Beschränkung ist aus zwei Gründen erstaunlich: (1) Der für einen ernsthaften Hochlauf notwendige Wasserstoff- Bedarf lässt sich auf absehbare Zeit nicht aus erneuerbarem Strom produzieren. Die Idee vom Import großer Mengen aus fernen Ländern in Nord-Afrika, Osteuropa oder dem mittleren Osten muss erst einmal den technischen, politischen und wirtschaftlichen Stresstest bestehen. Bislang ist sie nicht mehr als politisches „Framing“ für die behauptete Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff insgesamt.
(2) Es wird eine starke Nutzungskonkurrenz um den benötigten erneuerbaren Strom entstehen. Dieser sollte in erster Linie in Stromanwendungen genutzt werden, da ansonsten konventionelle Kraftwerke unnötig weiterlaufen. Konsequent dürfte daher eigentlich nur der erneuerbare Strom für die Elektrolyse verwandt werden, der andernfalls abgeregelt werden müsste. Das gilt jedenfalls so lange, wie Wind- und Sonnenstrom nicht im Überfluss vorhanden ist, was angesichts des steigenden deutschen Strombedarfs als Folge zunehmender Elektrifizierung erst recht nicht absehbar ist. Nur auf Basis von Überschussstrom lassen sich aber Elektrolyseure nicht wirtschaftlich betreiben.
Das Ende des Wasserstoffhochlaufs?
Mitnichten. Was benötigt wird, ist eine entpolitisierte Wasserstoff-Beschaffungsstrategie, die sämtliche Potenziale für klimaneutralen Wasserstoff umfasst. Erdgas als Input-Energie ermöglicht einen preiswerten und schnell skalierbaren Weg zur klimaneutralen Wasserstoff- Erzeugung, nämlich über Dampfreformierung verbunden mit der Einspeicherung (CCS) oder Nutzung (CCU) des entstehenden CO2, oder die Erdgaspyrolyse, bei der kein CO2 entsteht. Beide Technologien sind technisch verfügbar und werden sich rechtzeitig auch im globalen Wettbewerb skalieren lassen.
Hinter der politischen Fokussierung auf grünen Wasserstoff steckt nicht nur die beschriebene Vorstellung, dass man sämtliche Energiefragen mit Wind und Sonne beantworten kann; es steckt auch die Sorge dahinter, dass der grüne Wasserstoff gegenüber anders erzeugtem Wasserstoff nicht wettbewerbsfähig sein und damit verdrängt werden könnte.
Dieser Aspekt ist regulatorisch lösbar: grüner Wasserstoff muss – z. B. über festgelegte Quoten – in den Wasserstoff- Markt hineinwachsen können. So kann beides erreicht werden: ein möglichst preiswerter, schneller Hochlauf einer gesicherten Wasserstoff-Versorgung und das Wachstum von grünem Wasserstoff in diesen Markt. Technologieoffenheit und Wasserstoff aus Erdgas wird eine Wasserstoff-basierte Energiewirtschaft erst möglich machen und das Vertrauen der Marktakteure in einen nachhaltigen Hochlauf sichern.
Botschaft an die Politik
Die Energiewende geht in Deutschland in eine entscheidende Phase. Die Priorität des Klimaschutzes ist von den relevanten gesellschaftlichen Akteuren verstanden; die Erhaltung von industriellen Arbeitsplätzen wird dabei ebenso betont wie die Notwendigkeit, dass Energie in Deutschland bezahlbar bleiben muss. Das darf aber nicht nur ein Lippenbekenntnis sein.
Eine Politisierung der Energiewende, die sämtliche Antworten in erneuerbarer Energie sucht (und angeblich auch findet), wird nicht nur die Kosten der Energiewende in die Höhe treiben, sondern sie riskiert deren Erfolg insgesamt. Dies zeigt der aktuelle Umgang mit dem Aufbau der Wasserstoff-Industrie in Deutschland, der ausschließlich als Wettbewerb um die Entwicklung der Elektrolyse-Technologie und Wasserstoff- Anwendungen angesehen wird. Die Verfügbarkeit und Technologieoffenheit für klimaneutralen Wasserstoff verdienen mindestens die gleiche Aufmerksamkeit. www.bveg.de
[BVEG]
Erneuerbare Energien allein werden unsere Energiefragen nicht lösen können: Die weltweite Stromproduktion aus Wind und Sonne lag 2019 bei rund 2.220 TWh, der Endenergieverbrauch allein in Deutschland bei 2.500 TWh. Das zeigt eindrucksvoll, wie groß die Herausforderung beim Umbau unseres Energiesystems ist.