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Klimaneutralität ist unser Kompass
Klimaneutralität bedeutet nicht weniger als die grundlegende Transformation fast aller Wirtschafts- und Lebensbereiche: Sie betrifft den Verkehrssektor, die Art und Weise, wie wir zur Arbeit fahren oder reisen, wie wir unsere Wohnungen heizen, welche Technik wir einsetzen, wie wir unsere Gewerbe betreiben, wie die Wirtschaft, wie die Industrie arbeitet. Ein Gastbeitrag von Georg Friedrichs, Vorstandsvorsitzender der GASAG AG.
„Es kommt nicht mehr darauf an zu diskutieren, ob wir das Klimaziel im Jahr 2045, in 2040 oder doch erst 2050 erreichen können. Wirklich wichtig ist, dass wir uns jetzt auf das konzentrieren, was wir in den nächsten Monaten und den nächsten Jahren bewegen können, um unserem Ziel Schritt für Schritt näher zu kommen. Je länger wir warten, desto steiler wird die Transformationskurve werden“. Georg Friedrichs
Noch gute 23 Jahre bleiben uns, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Das komplette – immer noch überwiegend fossile – Betriebssystem unserer Gesellschaft, der Energiesektor muss und wird sich ändern. Wir müssen uns also fragen: Was schaffen wir in den verbleibenden Wochen und Monaten des Jahres 2021, was nehmen wir uns für 2022 konkret vor, was für die Jahre danach. Denn wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Wir als GASAGGruppe nehmen diese Aufgabe an.
Wir überprüfen nicht nur unseren eigenen CO2 -Fußabdruck, sondern auch unsere gesamten Prozessketten und Geschäftsmodelle unter diesem Blickwinkel: Wo können wir Emissionen einsparen, wo können wir sie vermeiden – wo müssen wir kompensieren? Wir werden eine Roadmap entwickeln, um die GASAG-Gruppe bis spätestens 2045 zu einem klimaneutralen Energieunternehmen zu machen - möglichst deutlich früher.
Wir brauchen Vertrauen zwischen Politik und Wirtschaft
Die Bewältigung des klimaneutralen Umbaus ist im Kern eine wirtschaftliche Aufgabe. Dafür braucht es vor allem ein neues Vertrauen der politischen Akteure, dass die Wirtschaft mit ihr an einem Strang zieht und die politischen Ziele teilt. Für die Umsetzung der Klimaziele brauchen wir also nicht nur Grenzwerte, Ziele und Planungen für das Jahr 2045, sondern wir brauchen vor allem die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft.
Die Herausforderungen sind gewaltig. Allein in Berlin, unserem Kern- und Heimatmarkt, müssen wir über 70 Prozent des Wärmemarktes verändern und umstellen: Heizöl, Kohle und Erdgas sind hier in zentralen und dezentralen Systemen die wichtigsten Energielieferanten. Das ambitionierte Ziel ist, die Wärmeversorgung einer Millionenmetropole in wenigen Jahren in großen Teilen komplett neu aufzustellen. Die vor uns liegende Transformation gerade im Wärmemarkt ist nicht nur gewaltig, sondern auch kostenintensiv: Allein in Berlin und Brandenburg reden wir über ca. eine Million Wohngebäude, deren Heizungen in nicht einmal zwei Jahrzehnten klimaneutral werden sollen.
Klimaneutralität ist der neue Kompass für die GASAG-Gruppe
Es ist klar, dass dieses Ziel für ein Unternehmen, das heute auch mit fossilem Erdgas handelt, nicht leicht umzusetzen ist. Wir analysieren deshalb im ersten Schritt unsere Emissionen. Dazu gehören zunächst die von uns unmittelbar verursachten Emissionen – aus unseren Büros, aus unserem Fuhrpark. Auch die Emissionen aus den Energieanlagen, die wir als Contractor bei unseren Kunden betreiben, zählen hierzu.
Außerdem betrachten wir unsere indirekten Emissionen, zum Beispiel aus der Produktion des von uns zugekauften Stroms. Der weitaus größte Bereich aber betrifft die Emissionen, an denen wir nur mittelbar beteiligt sind. Dies sind die Emissionen aus den Energieanlagen unserer Kunden, denen wir Gas liefern oder denen durch unsere Netze Gas geliefert wird. Das bedeutet, dass die Klimaneutralität in diesem Bereich nicht allein in unserer Hand liegt. Wir können sie nur zusammen mit unseren Kunden erreichen. Über 97 Prozent unserer Emissionen gehören zu dieser Kategorie.
Erste Priorität hat das Vermeiden von Emissionen. Wir schauen alle Vorgänge in der gesamten Unternehmensgruppe an. Welche Emissionen sind vermeidbar, weil die sie verursachenden Prozesse verzichtbar sind? Müssen wir uns gegebenenfalls von Produkten oder Tätigkeiten ganz trennen, um unser Ziel zu erreichen? Das erfordert eine erhebliche Offenheit im internen Dialog.
Wir brauchen die Bereitschaft der Kundinnen und Kunden
Neben der ernsthaften Bereitschaft, alle Geschäftsmodelle zu hinterfragen und neben einer Ausprägung von neuem Vertrauen zwischen Politik und Wirtschaft werden wir auf dem Weg zur Klimaneutralität vor allem die Bereitschaft der Kundinnen und Kunden brauchen, diesen Weg mitzugehen. In der Marktforschung lesen wir immer wieder, dass die Kundenseite nachhaltig versorgt werden will, aber nicht bereit ist, dafür auch mehr zu bezahlen. Seit einigen Monaten machen wir hier aber eine neue Erfahrung. Seit Mai bieten wir unseren neuen Gaskunden die Option „Klima Pro“, die eine Kompensation der CO2 -Emissionen beinhaltet und stellen fest, dass sich ein signifikanter Teil der Kunden trotz höherer Kosten hierfür entscheidet.
Auch eine andere „Branchen-Weisheit“ ist nicht in Stein gemeißelt, nämlich die, dass institutionelle Kunden ausschließlich nach dem günstigsten Preis suchen. Wir erleben in den letzten Jahren eine steigende Nachfrage nach „grüneren“ Lösungen, denn für immer mehr Investoren und Projektentwickler ist „Nachhaltigkeit“ nicht mehr nur Dekoration, sondern ein immer relevanteres Verkaufsargument. Das gilt auch für öffentliche Auftraggeber und Kunden: 2020 konnte die GASAG wieder den Berliner Stadtvertrag für Gas gewinnen und liefert der Hauptstadt weitere drei Jahre Erdgas, nun aber mit einem Anteil von über 15 Prozent Bio-Erdgas. Damit setzt Berlin bundesweit Maßstäbe.
Seit 2014 sorgt die GASAG mit ihrem Energiekonzept auf dem EUREF-Campus dafür, dass die Klimaschutzziele der Bundesregierung von 2050 schon heute erreicht werden.
Moderne Regulierung für Gasnetze nötig
Wesentlich, um unsere Kunden künftig mit CO2 -freier Wärme versorgen zu können, ist die Frage, wie wir die Infrastrukturen weiterentwickeln. Dies zum jetzigen Zeitpunkt solide zu beantworten, ist alles andere als banal. Denn niemand weiß heute genau, wie sich im Rahmen der Wärmewende künftig die Nutzung von Gas und der Gasinfrastrukturen entwickeln wird.
Wir haben es derzeit mit zwei Denkrichtungen zu tun. Auf der einen Seite stehen die, die auf grüne Gase setzen und davon ausgehen, dass wir in naher Zukunft in einem so großen Maße grünen Wasserstoff zur Verfügung haben werden, dass wir ihn schnell genug, also vor 2045, auch im Wärmemarkt einsetzen können. Auf der anderen Seite stehen die, die nahezu alle Energiebedarfe mit grünem Strom bedienen wollen. Nach diesem Szenario hätten wir auf längere Sicht nur noch begrenzte Anwendungsmöglichkeiten für klassische Gasverteilnetze. Diese beiden Pole zeigen die Unsicherheiten, unter denen wir unsere Investitionsentscheidungen derzeit treffen müssen. Denn für keines dieser Szenarien ist die gegenwärtige Regulierung der Gasnetze ausgelegt: Weder der Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur, noch die H2 -Fähigkeit der bestehenden Netze bilden sich hier ab. Und die bestehenden Abschreibungszeiträume von 40 Jahren passen in keiner Weise mehr zu dem enormen Wandel, der direkt vor der Tür steht.
Aus meiner Sicht ist es am wahrscheinlichsten, dass wir Elemente beider Szenarien erleben werden. Eine zeitgemäße Regulierung muss die Veränderung des Energiesystems ebenso reflektieren wie die Bezahlbarkeit von Energie und diskriminierungsfreie Netzzugänge. Diese Regulierung zu schaffen ist eine, wenn nicht die zentrale Aufgabe der Energiepolitik in den nächsten ein, zwei Jahren.
»Unsere Kompetenz und auch unsere Leidenschaft werden wir in den Dienst der Energie- und Wärmewende in der Hauptstadtregion stellen.«
Klimaneutralität bietet neue Chancen
Uns ist bewusst: Viele unserer heutigen Geschäftsmodelle sind endlich. Aber auf dem Weg zur Klimaneutralität werden sich auch große unternehmerische Chancen bieten: Vor unseren Augen entsteht mit Blick auf den gewaltigen Transformationsbedarf ein riesiger Markt, der intensiv und schnell bearbeitet werden will. Wer soll diese große Aufgabe schultern, wenn nicht die regionalen, kompetenten und gut vernetzten Versorger?
Aber das werden wir nicht alleine schaffen. Neben unserer ehrlichen Bereitschaft, ausgetretene gedankliche Pfade unserer Branche zu verlassen, wird es eine Politik brauchen, die dafür die richtigen Rahmenbedingungen setzt – und vor allem die Kundinnen und Kunden, die unsere Leidenschaft für eine nachhaltige Energieversorgung teilen und die starke, schnelle und hoch effiziente Maschinerie namens Markt in Gang setzen.