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Kartellrechtsaufsicht im Strommarkt 2.0
Mit dem im Juli 2016 verabschiedeten Strommarktgesetz hat sich der deutsche Gesetzgeber für einen Strommarkt 2.0 entschieden. Dieser setzt auf den bestehenden Marktmechanismen auf und entwickelt diese weiter, indem bestehende Fehlanreize und Wettbewerbsverzerrungen abgebaut werden. Dabei ist elementar, dass unverzerrte Preissignale in den Markt gelangen, die beispielsweise Knappheiten angemessen widerspiegeln und die richtigen Investitionsanreize setzen. Andreas Mundt, seit 2009 Präsident des Bundeskartellamtes beleuchtet in seinem Gastbeitrag die Verantwortung des Bundeskartellamts zur Kartellrechtsaufsicht im Strommarkt 2.0.
Die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers gegen einen Kapazitätsmarkt und für einen optimierten Energy-Only-Markt begrüßt das Bundeskartellamt. Wir haben uns bereits frühzeitig gegen die Einführung eines Kapazitätsmarktes ausgesprochen. Ein Kapazitätsmarkt ist aus heutiger Sicht nicht erforderlich und hätte einen tiefen Eingriff in die Marktprozesse bedeutet. Der Strommarkt ist heute bereits durch regulatorische Eingriffe geprägt, die die Preissignale verzerren können.
Das Ziel des Strommarktgesetzes, die Preissignale als Knappheitssignale auf dem Strommarkt zu stärken, befürworten wir. Nur ein möglichst ungestörtes Wirken von Preissignalen kann ein effizientes Funktionieren des Strommarktes gewährleisten. In der Diskussion zum künftigen Strommarktdesign wurde teilweise vorgetragen, dass das kartellrechtliche Missbrauchsverbot wie eine implizite Preisobergrenze auf dem Stromerstabsatzmarkt wirke. Diese Bedenken sind jedoch unbegründet. Das kartellrechtliche Missbrauchsverbot beinhaltet kein grundsätzliches Verbot, Kapazitäten mit einem Aufschlag auf die Grenzkosten („Mark-up“) anzubieten, sondern greift nur dort ein, wo ein marktbeherrschendes Unternehmen Preise missbräuchlich in die Höhe treibt.
Kartellrecht verhindert keine knappheitsbedingten Preisspitzen
Das Bundeskartellamt hat den gesetzlichen Auftrag, alle Märkte im Hinblick auf Missbrauch von Marktmacht zu überwachen. Es soll sichergestellt werden, dass marktbeherrschende Unternehmen ihre Marktmacht nicht missbräuchlich ausnutzen. Dies gilt genauso auch für Stromerzeugungsmärkte. Dieser Auftrag des Bundeskartellamts ist sowohl im deutschen Gesetz als auch in den EU-Verträgen verankert. Er steht nicht zur Disposition des Bundeskartellamts und auch nicht zur Disposition des deutschen Gesetzgebers.
Das Missbrauchsverbot richtet sich ausschließlich an marktbeherrschende Unternehmen. Bei der Prüfung, ob eine marktbeherrschende Stellung vorliegt, betrachtet das Bundeskartellamt nicht einzelne Knappheitssituationen, sondern typischerweise ein vollständiges Jahr. In der Sektoruntersuchung Stromerzeugung/Stromgroßhandel hat das Bundeskartellamt eine marktbeherrschende Stellung eines Stromerzeugers erst dann vermutet, wenn dieser in mindestens 5 % der Stunden eines Jahres (d. h. mindestens 438 Stunden) unverzichtbar für die Deckung der Stromnachfrage ist. Diese Untersuchung bezog sich auf die Jahre 2007 und 2008. Damals haben wir eine marktbeherrschende Stellung von drei bzw. vier Unternehmen ermittelt. Seitdem hat die Marktmacht einzelner Unternehmen auf dem Strommarkt stark abgenommen. Eine aktuelle Untersuchung des Bundeskartellamts liegt jedoch nicht vor, da es keine Beschwerden und keinen Anlass zur Prüfung gab.
Das bloße Innehaben einer marktbeherrschenden Stellung ist für sich allein genommen nicht problematisch. Das Bundeskartellamt wird nur gegen den Missbrauch dieser Marktmacht tätig. Im Strombereich kann ein Missbrauch insbesondere darin liegen, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen verfügbare Erzeugungskapazitäten zurückhält und damit Preise künstlich in die Höhe treibt. Das Bundeskartellamt prüft insoweit: Welches verfügbare Kraftwerk läuft nicht, obwohl es im Geld ist? Eine Überprüfung einzelner Gebote im Stromgroßhandel wäre dagegen weder erfolgversprechend noch sinnvoll. Und auch Kapazitätszurückhaltungen greifen wir nur auf, wenn sie in erheblichem Umfang stattgefunden haben und keine Rechtfertigungsgründe vorliegen.
Nicht-marktbeherrschende Unternehmen unterliegen in ihrer Preissetzung auch in Knappheitssituationen diesen kartellrechtlichen Einschränkungen nicht, ihr individueller Verhaltensspielraum wird durch den Wettbewerb hinreichend kontrolliert. Oft dürften in Knappheitssituationen die Preise ohnehin durch lastseitige Anbieter gesetzt werden, die ebenfalls nicht marktbeherrschend sind und daher unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten frei in ihrer Preisforderung sind. Von solchen höheren Preisen profitieren alle Stromerzeuger, auch marktbeherrschende Unternehmen. Preisspitzen, die auf echte Knappheiten zurückzuführen sind und nicht auf die Marktmacht einzelner Anbieter, werden somit durch die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht weder verhindert noch aufgegriffen.
Das Bundeskartellamt ist eine selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Sein Sitz wurde im Jahre 1999 im Rahmen des Regierungsumzugs von Berlin nach Bonn verlegt. Das Bundeskartellamt hat rund 345 Mitarbeiter.
Maßnahmen für mehr Transparenz
Auch wenn das Bundeskartellamt die teilweise vorgebrachten Bedenken hinsichtlich der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht nicht teilt, zeigt die Diskussion doch einen gewissen Klärungsbedarf. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat daher in seinem Weißbuch „Ein Strommarkt für die Energiewende“ zwei Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz vorgeschlagen.
Erstens soll das Bundeskartellamt einen Leitfaden für die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht im Bereich der Stromerzeugung veröffentlichen. Dies hatten wir in unserer Stellungnahme zum Grünbuch des Bundesministeriums „Ein Strommarkt für die Energiewende“ vorgeschlagen. Der Leitfaden soll „die Zielrichtung, die Regeln für die Anwendung und die Reichweite“ der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht auf dem Stromerstabsatzmarkt verdeutlichen und so möglicherweise bestehende Unsicherheiten ausräumen. Im Rahmen der Erstellung des Leitfadens hat das Bundeskartellamt im letzten Jahr eine Konsultation durchgeführt. Dazu wurde ein Fragenkatalog erstellt, der von interessierten Unternehmen, Verbänden oder Behörden beantwortet werden konnte. Insgesamt sind lediglich acht Stellungnahmen eingegangen, die wir derzeit auswerten.
Zweitens soll das Bundeskartellamt in Zukunft regelmäßig einen Bericht zu Wettbewerbsverhältnissen in der Stromerzeugung veröffentlichen. Die gesetzliche Grundlage hierfür wurde mittlerweile im Strommarktgesetz geschaffen. Hierbei soll sich das Bundeskartellamt auf die Daten der Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas stützen. Auf der Basis dieses Berichts werden die Unternehmen in Zukunft besser einschätzen können, ob sie marktbeherrschend und damit Adressat des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots sind.
www.bundeskartellamt.de