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Kategorie: Nachhaltigkeit
Kapazitätsmärkte – Politischer Entscheidungs- und Handlungsbedarf
Die energiewirtschaftliche Lage aus verschiedenen Blickwinkeln zu erläutern sowie Einblicke in die Komplexität der Energiewirtschaft und die energiewirtschaftliche Forschung zu geben, ist eine herausragende Aufgabe des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI). PD Dr. Christian Growitsch, Mitglied der Geschäftsleitung des Energiewirtschaftlichen Instituts und Direktor Anwendungsforschung, gibt im folgenden Beitrag einen Einblick in die Diskussion zur Entwicklung zukünftiger Kapazitätsmärkte.
Die deutsche „Energiewende“ zeichnet sich bisher durch ein unklares Umsetzungskonzept aus. Schon jetzt führen Fehlentwicklungen zu vermeidbaren Kostenbelastungen und erheblichen Risiken für die deutsche Volkswirtschaft. Es fehlt ein glaubwürdiger ordnungspolitischer Rahmen, der die deutschen Ziele der Dekarbonisierung der Energiewirtschaft und der Förderung der erneuerbaren Energien in ein übergeordnetes, europäisches Gesamtkonzept einbindet. Hieraus ergibt sich für die neue Bundesregierung und die neue EUKommission ein dringender politischer Handlungsbedarf.
Aktuelle Situation in Deutschland
Die aktuelle Situation in Deutschland ist durch zwei signifikante Entwicklungen gekennzeichnet:
- erheblicher Ausbau Erneuerbarer Energien und
- Überkapazitäten konventioneller Erzeugung.
Der Einspeisevorrang Erneuerbarer Energien und die dadurch resultierenden sinkenden Volllaststunden konventioneller Kraftwerke können zu Wirtschaftlichkeitsproblemen und damit zu Stilllegungen dieser Kapazitäten führen. Bis Ende 2022 werden außerdem alle deutschen Kernkraftwerke durch den politisch beschlossenen Kernkraftwerksausstieg und weitere konventionelle Kraftwerke altersbedingt vom Netz gehen. Jedoch werden konventionelle Kapazitäten zwingend benötigt, um Versorgungssicherheit auch in Zeiten geringer Einspeisung Erneuerbarer Energien zu gewährleisten. Die Situation in Deutschland ist außerdem durch ein räumliches Auseinanderfallen von Last und Erzeugung gekennzeichnet. Durch den verzögerten Netzausbau kann der Stromtransport zu den Lastzentren im Süden oftmals nicht gewährleistet werden. Um dieser Herausforderung zu begegnen, werden verstärkt Redispatchmaßnahmen als kurativer Engpassmechanismus eingesetzt. Redispatch setzt jedoch keine Anreize zum Kraftwerkszubau in Engpassregionen. Ausreichende Kapazitäten in Engpassregionen sind allerdings eine zwingende Voraussetzung für die Funktionalität des Redispatch. Ohne ausreichende regionale Kapazitäten kann die Versorgungssicherheit gefährdet sein. Es kann also trotz nationaler Überkapazitäten regional (insb. in Süddeutschland) zu Versorgungssicherheitsproblemen kommen.
Kurzfristige und langfristige Herausforderungen
Aufgrund der Rentabilitätsprobleme konventioneller Kraftwerke besteht die Gefahr, dass diese Kraftwerke heute stillgelegt werden, auch wenn sie mittel- bis langfristig benötigt werden. Diese Entwicklung induziert dynamische Ineffizienz. Ein elaboriert gestalteter, möglichst wenig markt-verzerrender Übergangsmechanismus kann mit entsprechender Ausgestaltung dieser Herausforderung entgegenwirken.
Langfristig besteht die Unsicherheit, ob der Energy-only-Markt (EOM) hinreichende Investitionsanreize für den Bau konventioneller Kraftwerke setzt. Dieser Unsicherheit kann und sollte nicht mittels eines Übergangsmechanismus begegnet werden. Um zusätzliche Investitionsanreize zu setzen, stellt sich vielmehr die grundsätzliche Frage nach dem Bedarf eines neuen zukunftsfähigen Marktdesigns und einer möglichen Ausgestaltung. Klar ist dabei auch: Ein mögliches neues Marktdesign in Form eines Kapazitätsmarktes entfaltet seine Wirksamkeit erst langfristig und adressiert keine der kurzfristigen Herausforderungen.
Politischer Entscheidungsbedarf
Grundsätzlich müssen sowohl lang- als auch kurzfristige Herausforderungen adressiert werden. Der Übergang vom EOM zu einem neuen Marktdesign sollte durch einen kurzfristigen Übergangsmechanismus begleitet werden, der dynamische Ineffizienz unterbindet. Langfristig stellt die Implementierung eines Kapazitätsmarkts einen möglichen Lösungsansatz dar. Hierbei sollten folgende Aspekte diskutiert werden:
- Umfassender vs. selektiver Mechanismus
- Zentraler vs. dezentraler Mechanismus
- Ökonomische Effizienz vs. Fokus auf Verteilungseffekte
- Fokussierung auf das ThemaVersorgungssicherheit vs. Aufnahmekomplementärer Ziele in Kapazitätsmarktdesign.
Dringender Handlungsbedarf für die Politik entsteht in Bezug auf folgende Punkte:
- Die Konkretisierung der EnWG-Novelle (Reservekraftwerksverordnung)
- Die Einführung eines Kapazitätsregister
- Die Veröffentlichung eines Versorgungssicherheitsberichtes
- Maßnahmen zur Harmonisierung von physikalischen Stromflüssen und Handel
- Konkretisierung der Zielsetzung und
- zügige Realisierung des Netzausbau, unter Einschluss der Verteilnetze.
Essentiell ist dabei die Einbettung aller nationalen Maßnahmen in das europäische Umfeld. Nur mit einem europäischen Energiebinnenmarkt und einem damit verbundenen Netzinfrastruktursystem kann ein künftiges Marktdesign langfristig tragfähig sein. Anfragen an den Autor: Christian.Growitsch@ewi.uni-koeln.de