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Kann sich die Energiewende erfolgreich finanzieren?
Wo steht die Realisierung der Energiewende und wie steht es um die Finanzierung? Beim Segeln dient die Wende zur Durchführung größerer Kurskorrekturen, bei denen das Schiff mit dem Bug durch den Wind dreht und deren Erfolg eindeutige Kommandos des Skippers sowie disziplinierte Kommandoausführung seiner Crew erfordern. Der Begriff Energiewende wird seinem nautischen Ursprung bisher nicht gerecht. Und die Finanzierung ist entscheidend für den Erfolg der Energiewende, betonen Dr. Volker Flegel (re.) und Hans-Jürgen Cramer von der Celron GmbH, München in ihrem Gastbeitrag.
Die Energiewende soll einen Kurswechsel der Energiebereitstellung von fossilen und nuklearen Brennstoffen auf Erneuerbare Energien erreichen. Die Realisierung der Teilziele Energieeffizienz und Klimaschutz droht jedoch massiv aus dem Ruder zu laufen, da derzeit die Erneuerbaren Energien Arm in Arm mit der massiven Braunkohleverstromung die Säulen der Energiebereitstellung bilden, moderne Steinkohle- und Gaskraftwerke reihenweise stillgelegt werden und gesunkene CO2-Preise keinen Innovationsschub mehr auslösen können. Die regionalen Zielsetzungen der Energiewende weisen ein zu breites Spektrum auf: Beispielsweise hat Nordrhein-Westfalen eine internationale Energie- und Klimaschutz- Führungsposition gesetzlich verankert und in Baden-Württemberg wurden Energie- und Klimaziele bis 2050 verabschiedet, während der Zielhorizont in Bayern bereits 2021 endet. Auch auf lokaler Ebene entsteht infolge partikularer Interessen häufig der Eindruck, dass es statt einer Energiewende entsprechend der Anzahl der Kommunen in Deutschland ca. 11.400 (Tendenz steigend) unterschiedliche Energiewenden zu geben scheint.
Finanzierung bestimmt die Energiewende
Die Energiewende ist kein Selbstläufer. Analog zur Wende beim Segeln kommt auch hier der Wind von vorne: Der Bundesrechnungshof attestiert, die Bundesregierung habe "keinen hinreichenden Überblick über die finanziellen Auswirkungen der Energiewende". Nach Steigerungen der Stromkosten um 107 % seit 2000 ist der Anteil der Befürworter höherer Stromkosten infolge der Energiewende erstmalig auf deutlich unter 50 % gesunken und gegen geplante Hochspannungstrassen, Pumpspeicherkraftwerke und Windenenergieanlagen besteht massiver öffentlicher Widerstand. Die Novellierung des EEG hat Investitionssicherheit für Wind-Onshore-Energieanlagen zunächst bis 2019 und sonstige Erneuerbare Energieanlagen bis 2017 geschaffen. Nach weiteren, zu erwartenden Kurskorrekturen durch die Novellierung des EnWG wird der Erfolg des Jahrhundertprojekts Energiewende letztlich maßgeblich von dessen Finanzierbarkeit abhängen.
Finanzierungsbedarf erreicht auch Stadt- und Gemeindewerke
Für die zu erwartenden Gesamtkosten der Energiewende wurden vielfältige Szenarien entwickelt. Laut der im mittleren Bereich einzuordnenden Prognose des DIW – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung werden insgesamt annähernd 800 Mrd. € bis 2050 für die Realisierung der Energiewende veranschlagt. Nach dem durch Photovoltaik getriebenen Investitions-Hype zu Beginn dieses Jahrzehnts wird mittelfristig bis 2020 eine Abschwächung der Investitionen infolge Deckelung des Zubaus Erneuerbarer Energieanlagen, Sättigungseffekten sowie Finanzierungshemmnissen durch Risikofokussierung erwartet.
Langfristig ist jedoch ein kontinuierlich steigender Investitionsbedarf auf hohem Niveau mit einer relativ stabilen Relation zwischen Strom und Wärme (vgl. Abb. 1) zu verzeichnen. Allein von 2010-2020 werden Gesamtkosten in Höhe von über 200 Mrd. € erwartet, die sich wie folgt auf die Wertschöpfungsstufen aufteilen werden:
» Erneuerbare Energieanlagen: Ca. 130 Mrd. € insgesamt, davon ca. 70 Mrd. € für Windenergie- und ca. 50 Mrd. € für Photovoltaikanlagen;
» Konventionelle Kraftwerke: Ca. 15 Mrd. € für Retrofits und Neubauten systemkritischer Kraftwerke;
» Übertragungsnetze: Ca. 18 Mrd. € für Stromübertragungs- und ca. 2 Mrd. € für Gastransportnetze;
» Verteilnetze: Ca. 35 Mrd. € für den Netzausbau sowie zur Steigerung der Energieeffizienz.
Ein wesentlicher Anteil der Investments entfällt auf Stadt- und Gemeindewerke, deren Beitrag daher einen unabdingbaren Erfolgsfaktor für die Energiewende darstellt. Von 2012-2020 werden allein für diesen Bereich Gesamtkosten in Höhe von ca. 70 Mrd. € veranschlagt. Davon für Erneuerbare Energieanlagen ca. 35 Mrd. €, für Konventionelle Kraftwerke ca. 5 Mrd. € und für Verteilnetze ca. 30 Mrd. €. Durch die erwartete, stärkere Einbeziehung der Verteilnetz- und Anlagenbetreiber in das Angebot von Systemdienstleistungen resultieren neue Anforderungen, die weitergehende Investitionen nach sich ziehen werden.
Strom-Eigenverbraucher als künftige Investorengruppe
Die Finanzierung der Energiewende erfolgt bisher vornehmlich durch private Kapitalbereitstellung (vgl. Abb. 2). Privatpersonen sind mit Abstand die größte Investorengruppe. Energieunternehmen tragen lediglich 14% des Investitionsvolumens, auch Finanzunternehmen sind mit 11% nur relativ gering engagiert.
Einer aktuellen Befragung von Führungskräften aus Energieunternehmen zufolge wird ein stetiger Strom-Umsatzrückgang bis 2020 um -11% bzw. -8,3 Mrd. € erwartet (Bewertung von Energiemanagern zu unternehmerischen Chancen und Risiken durch die Netzparität, Berlin 2014). Der Strom-Eigenverbrauch durch Privatpersonen sowie Gewerbe- und Industriekunden wird dagegen deutlich zunehmen. Die Strom-Eigenverbraucher entwickeln sich so zu einer bedeutenden Investorengruppe und neuen Marktmacht im Mittelfeld unter den Top-10 der deutschen Energieunternehmen.
Kommunale Refinanzierungsmöglichkeiten weitgehend ausgeschöpft
Infolge der generellen Entwicklung der Energiemärkte ist die wirtschaftliche Situation der Stadt- und Gemeindewerke angespannt, exemplarische Kennzahlen für den Zeitraum 2010-2012 (lt. Berechnungen der PwC AG ) zeigen folgende Tendenzen auf:
» Verschuldung der Kommunen: +5,8 %
» Betriebsnotwendiges Kapital: +6,9 %
» Eigenkapitalrendite: -12 %
» ROCE: -19 %.
Die kommunalen Refinanzierungsmöglichkeiten sind weitreichend ausgeschöpft. Nach der ersten Insolvenz eines Stadtwerks und Analysen über unzureichende Effizienz und Effektivität bei ca. 20 % aller Stadtwerke werden marktgängige Formen der Kapitalbeschaffung aufwändiger und teurer. Auch größere Energieunternehmen stehen unter Druck: In Deutschland hat sich die Börsenkapitalisierung führender Energieunternehmen seit 2008 halbiert und die Ratings der vier größten Energiekonzerne wurden herabgestuft. Deshalb resultieren auch in diesem Segment nachteiligere Refinanzierungskonditionen.
Vor diesem Hintergrund und der bereits dargestellten angespannten wirtschaftlichen Situation werden Energieunternehmen ihr finanzielles Engagement zur Realisierung der Energiewende aus eigener Kraft nicht deutlich steigern können.
Der hohe Finanzbedarf, die ungünstige wirtschaftliche Situation der Energieunternehmen sowie die hohe Liquidität der Finanzmärkte erfordern in zunehmendem Umfang innovative Finanzierungsformen und neue Kooperationsmodelle mit Finanzpartnern. Die Gestaltung von kompatiblen Projekten für Finanzinvestoren ist dabei besonders erfolgskritisch und wird in einem ergänzenden, nachfolgenden Fachbeitrag vertieft.
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